Dass in Software Fehler drin sein können, ist nichts Neues. Dass bestimmte Fehler, bestimmte Sicherheitslücken dazu führen können, dass man sich beim Surfen im Netz Schadsoftware einfängt oder im schlimmsten Fall der Rechner gehackt wird, ist auch normal und ein Dauerthema. Und deswegen muss man halt möglichst regelmäßig nach Updates Ausschau halten – und die dann auch installieren. Dumm nur, wenn es für eine ziemlich verbreitete Software keine Updates mehr gibt – und gleichzeitig (mindestens…) zwei happige Sicherheitslücken wie ein Scheunentor offenstehen.
Genau das ist der Fall gerade bei QuickTime, dem Multimedia-Codecpaket von Apple. Und deswegen lautet jetzt auf einer Vielzahl von Tech-Webseiten die ganz klare Parole: Windows-Nutzer sollten QuickTime deinstallieren – und zwar sofort. Auch das Department of Homeland Security hat diese Empfehlung gestern verbreitet, nachdem die Sicherheitsfirma Trend Micro in einem Blogartikel auf die Lücken und den fehlenden Support von Apple hingewiesen hatte.
Dass der Konzern sein „Kind“ offenbar auf der Windows-Plattform schon lange nicht mehr liebt und jetzt völlig aufgegeben hat, ist ja eine legitime Entscheidung – nur dann sollte Apple zumindest auch Verantwortung übernehmen und Klartext reden – und die jetzt potentiell gefährliche Waisen-Software nicht mehr kommentarlos auf der Website oder per Apple-Update zum Download anbieten. Von diesem Verbreitungsweg einmal abgesehen – am ehesten werden Anwender QuickTime auf ihren PCs haben, die sich mit Audio- und Videobearbeitung beschäftigen. Und möglicherweise gibt es bei einer Deinstallation Fehlermeldungen, oder manche ältere Programme laufen gar nicht mehr. Das ist dann eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Notfalls bzw. sicherheitshalber kann man das alte Zeug ja auch in einer virtuellen Maschine weiterbetreiben…
DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 15.04.2016 (Moderation: Till Haase)
Nachklapp 18.04.2016 – Gerade Multimedia-Programme von Adobe setzten bislang auf QuickTime als Unterbau – das Unternehmen hat nun angekündigt, diese Abhängigkeiten demnächst durch Updates zu beseitigen.
In letzter Zeit sah es ja etwas schlecht aus für „Homo sapiens“ im epischen Duell „Mensch gegen Maschine“ – da bringt ein Artikel in der jüngsten Ausgabe von „Nature“ wieder reichlich Labsal auf unser angeknackstes Selbstvertrauen: Menschliche Computerspieler schneiden bei einem komplizierten Problem aus der Quantenphysik besser ab als ausgefeilte Algorithmen in Hochleistungsrechnern. Und das, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung von verschränkten Teilchen, Tunneleffekten und Nicht-Lokalitäten zu haben.
„Quantum Moves“ gibt es in einer Windows- und einer MacOsX-Version, kostenlos herunterzuladen auf der Webseite www.scienceathome.org – aber besser spielt man das Spiel auf einem Android- oder Apple-Tablet. Denn um die schwappende Flüssigkeit in einem beweglichen Wellental schnell und sicher in den Zielbereich zu transportieren, braucht man ein ruhiges Händchen. Das scheinbar schlichte Geschicklichkeitsspiel ist in Wirklichkeit eine sehr realistisch nachgebildete Physik-Modellierung, wenn auch um den Faktor 30.000 zeitlich verlangsamt.
Screenshot aus dem Computerspiel „Quantum Moves“
Ob nicht schon in Kürze neuronale Netze a la Alpha Go unsere intuitiv ausgeführten und trotzdem offenbar ziemlich performanten „Pi-mal-Daumen“ (bzw. hier Pi-mal-Zeigefinger…) – Operationen nachahmen und wiederum optimieren können, das ist noch eine andere Frage. 🙂
Ein bisschen sichere Verschlüsselung gab es bei Whatsapp ja schon seit einem Weilchen. Und weil die End-to-End-Kryptografie von Moxie Marlinspike ja zwar technisch tadellos konzipiert, aber eben nur lückenhaft umgesetzt war, hatten sich User bei der Messenger-Konkurrenz umgeschaut, wenn sie vertraulich kommunizieren wollten. Ab sofort ist aber auch beim Marktführer ein Komplettpaket unter der Haube – Textnachrichten und Gruppenchats, Bilder, Filme und Sprache sind nur noch vom erwünschten Gesprächspartner zu entschlüsseln, nicht aber von Behörden, Geheimdiensten. Und übrigens auch nicht von Whatsapp oder Facebook selbst.
Womit ja schon das weitere Stichwort genannt wäre, warum man bislang eher mit Alternativ-Produkten geliebäugelt hatte. Aber die rund eine Milliarden Whatsapp-User sind eine Hausnummer, an der man schlecht vorbeikommt: Der Messenger in seiner neuen Version ist auf einen Schlag das meistverbreitete End-to-End-Verschlüsselungstool auf dem Planeten. Und zwar eines, das nicht nur Experten, sondern auch blutige Laien verwenden können – App-Update installieren, gegebenfalls das Gerät neu starten – fertig. Wohlgemerkt: Vertraulich sind ab jetzt die Kommunikationsinhalte. Mit wem man gechattet oder telefoniert hat, lässt sich auch weiterhin nachvollziehen.
Wenn Behörden (oder wer auch immer…) das Smartphone und damit den privaten Schlüssel des Gesprächspartners in die Finger bekommen, dann wars das natürlich auch mit der Geheimhaltung. Aber es geht ja gar nicht um Top-Secret-Szenarien. Sondern um eine sehr einfache und sehr praktikable und angesichts der Userzahl sehr relevante Antwort auf die „anlasslose“ Komplettüberwachung unserer gesamten Kommunikation. Für die berechtigten Anliegen der Behörden gibt es vielleicht nach wie vor auch noch fokussiertere Methoden; sei es mit High-Tech oder „guter alter Ermittlungsarbeit“…
Bei den deutsch-türkischen Irritationen um einen beleidigenden, sogenannten „Satirebeitrag“ des NDR vor ein paar Tagen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch – von vielen kritisiert – staatsfräuliche Zurückhaltung walten lassen. In der neuerlichen und nun vollends aus dem Ruder laufenden Böhmermann-Krise aber griff sie jetzt doch höchstpersönlich zum Telefonhörer. Spät, aber nicht zu spät. Hoffentlich. Aus gut informierten Kreisen ist uns der abgehörte Mitschnitt übermittelt worden:
Tüüüt…
Frau Merkel?? Hier Davutoglu. Das war aber wirklich aller, aller, allerhöchste Eisenbahn, dass Sie anrufen. Unser verehrter Präsident schäumt, was sage ich, er rast ja vor Wut. Ein paar Tage lang hatte sich ja niemand getraut, ihm die neue Geschichte überhaupt zu erzählen. Aber dann hat er die Sache beim Googeln nach seinem Namen selbst gefunden. Und jetzt weiß ich wirklich nicht mehr, was ich machen soll. „Bringt mir den Kopf und die Eier dieses verfickten Schweines Böhmermann!“ schreit der Präsident – Gottes Segen liegt auf ihm – immer und immer wieder. Die ganze schöne Einrichtung in seinem geschmackvollen Palast hat er schon zerdeppert und die Brustharnische seiner Janitscharen-Leibgarde völlig zerbeult.
Also jetzt mal Klartext, Frau Merkel – wenn dieses Schwein Böhmermann nicht ausgeliefert wird, dann… Dann – jetzt hören Sie mal schön zu – dann machen wir die Grenzen auf und schicken euch eine Million, ach was, zwei, drei Millionen Flüchtlinge plus dazu noch haufenweise anatolische Bauern – nein, ich meinte haufenweise verficktes Kurdenpack. Und die anderen Terroristen auch noch – nein, nicht die Journalisten, ich meine die vom IS!!!
Aber Herr Davutoglu, bitte beruhigen Sie sich doch, ich habe doch vollstes…
Nein, das Fass ist mehr als voll. Das Schwein ausliefern oder Abbruch der Beziehungen, ach was sage ich denn, Krieg!!
Aber Herr Davutoglu, bitte beruhigen Sie sich doch, ich stimme doch ganz mit Ihnen überein…
Also Sie liefern aus, das Schwein?
Nein, Herr Davutoglu, das geht ja nicht, ich habe da nicht die Spielräume wie ihr verehrter Herr Präsident. Aber ganz klar, das Gedicht von diesem Böhmermann war ein bewusst verletzender Text.
Das mit dem, wie heißt das – Gelöt?
Genau, das mit dem Gelöt…
Und mit den Ziegen?
Ja, das…, das auch. Ich, das heißt wir, die Bundesregierung, also wir messen natürlich grundsätzlich der Presse und Meinungsfreiheit einen hohen Wert zu…
Was sagen Sie da???
Einen hohen Wert zu – aber natürlich ist die nicht schrankenlos, diese Dings, diese Freiheit…
Natürlich nicht, ganz und gar nicht schrankenlos. Und deswegen muss der Kerl hingerichtet werden. Oder ausgepeitscht. Wieso wagt das dieser Wicht einfach so? Bewusst verletzen? Unseren Präsidenten, Gottes Segen auf ihm? Was ist mit dem Schwulsein?
Das ist auch bewusst verletzend. Natürlich ist und war kein türkischer Präsident schwul, auch nicht Herr Atatürk – tschuldigung, Herr Erdogan…
Was sagen Sie da??
Ich verweise ja auch drauf, also der ausstrahlende Sender, dieser NDR – ach nein, das ZDF war das ja in diesem Fall, der ausstrahlende Sender also hat ja bereits, hat ja auch die Konsequenzen bereits gezogen..
Also das Schwein und die ganze verfickte Truppe entlassen und die verantwortlichen Chefs natürlich auch?
Das nicht direkt, also man hat, man hat den Mitschnitt aus der Mediathek und dem Netz genommen und die Passage rausgeschnitten. Und dann … und dann, na ja, den Rest hat man dann wieder reingestellt…
Was???
Herr Davutoglu, bitte, ich verstehe ja und stimme ja ganz mit Ihnen…
Also Sie entschuldigen sich jetzt sofort bei mir, dem verehrten Herrn Präsidenten und dem ganzen türkischen Volk, sonst…
Aber Herr Davutoglu, ich stimme ja ganz mit ihnen, ich bin ja ganz Ihrer Ansicht – sagen Sie das bitte auch dem verehrten Herrn Präsidenten…
Entschuldigen Sie sich jetzt oder nicht???
Ich… ja, das heißt nein, ich meine – von mir aus können Sie das ja in ihren Zeitungen und Sendern so formulieren lassen, hier bei mir ist das etwas heikel, ich meine…Aber Herr Davutoglu, es bleibt doch bei unserer Verabredung da mit den Flüchtlingen, ich meine…
Ich will nicht sagen, dass es völlig chancenlos ist, ein Jahr Recherchevorsprung von professionellen Journalisten aufholen zu wollen. Weil natürlich die Ressourcen von Profis auch wiederum sehr klar begrenzt sind: Wir arbeiten halt, von ein bisschen gelegentlicher Selbstausbeutung abgesehen, für Geld. Und welches Budget da für die Aufarbeitung der Panama Papers vorhanden war, kann man von außen nicht beurteilen. Aber wahrscheinlich haben sich die Kollegen die „interessanten“ Einträge im Mossack-Fonseca-Material schon ziemlich genau angeschaut.
Die Crowd im Netz könnte nun theoretisch noch einmal mit einer verteilten, aber um Größenordnungen höheren „Manpower“ ans Werk gehen. Die Einstiegshürden sind gering, der Datenbestand beim „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) ist sortiert, verknüpft und grafisch aufbereitet.(Nachklapp: Dabei bleibt der Zugriff auf Namen, Adressen und deren Querverbindungen beschränkt – anders als ich das am Montag morgen zunächst angenommen hatte, betrifft auch die Downloadoption nur diese „Metadaten“ und nicht etwa die detaillierten Dokumente aus den „Kundenordnern“ selbst. Das soll auch so bleiben; laut Süddeutscher Zeitung wolle man nicht zum „verlängerten Arm der Staatsanwaltschaft“ werden.) Nur für sich allein genommen sind die geleakten Mossack-Fonseca-Einträge ja bestenfalls „interessant“, aber – so steht es auch immer auf der ICIJ-Website – noch kein Hinweis auf eine illegale Aktivität. Und ich wage zu bezweifeln, ob sich allzuviele dieser Einträge dann vielleicht in Kombination mit frei durchsuchbaren Web-Inhalten zu einem belastbaren Beweis für eine solche illegale Handlung ergänzen lassen.
Jedenfalls für Gelegenheits-Detektive dürften die Chancen eher schlecht stehen. Wer natürlich nach bestimmten Namen sucht und über diese Personen oder Firmen auch weitergehende Informationen aus anderen Quellen hat, für den ist die Recherche in der ICIJ-Datenbank möglicherweise doch lohnend. Vielleicht packt ja noch der eine oder andere Bankmitarbeiter, Buchhalter oder Steuerberater aus: Whistleblower sind auf der Website ausdrücklich willkommen. Eine Zielgruppe sitzt allerdings wahrscheinlich seit Montag früh mit leuchtenden Augen am Rechner: Die Finanzbeamten in aller Herren Länder. Könnte ja sein, dass der ganze Offshore-Zauber doch am Ende etwas mit Steuerhinterziehung zu tun hat 🙂 …
Man muss Jan Böhmermann und seinen Humor nicht unbedingt mögen. Ich vermute mal, er würde selbst gar nicht widersprechen, wenn ihn manche Leute als zynisches Arschloch wahrnehmen. Passiert mir selbst auch zuweilen (dass ich so wahrgenommen werde…); ist auch möglicherweise eine gewisse Berufskrankheit bei Journalisten. Hinter der letztlich in vielen Fällen das Leiden an dem Wahnsinn der Welt steckt, an dem unfassbaren Irrsinn, den Leute tagtäglich verzapfen und anderen Leuten antun. Über den man jeden Tag liest und hört und sieht und über den man jeden Tag berichtet und zu dem man ab und zu Stellung bezieht – normalerweise aber immer in einem gesitteten, öffentlich-rechtlichen Gestus. Obwohl man der Kanaille (also den zynischen Arschlöchern, die dies aber nicht aus Weltschmerz, sondern aus authentischer Arschlochhaftigkeit sind…) eigentlich nur mal richtig die Fresse polieren möchte.
Das hingegen ist das Vorrecht der Satiriker. Wenn man als normaler Journalist über Satiriker wie Jan Böhmermann schreibt (und jetzt hier konkret über dessen Sendung vom 31.3.2016), dann sollte man am besten weder doof noch faul sein. Nicht doof: Soll heißen, man sollte geistig in der Lage sein, einen Kontext und Meta-Ebenen einbeziehen und verstehen zu können. Nicht faul: Soll heißen, dass man sich schon die Mühe machen muss, im konkreten Fall die gesamte Sendung anzuschauen und nicht nur das (im „offiziellen“ Mitschnitt herausgeschnittene…) „Schmähgedicht.“ (Natürlich finden sich komplette Versionen im Netz… Nachklapp: Hier ist jetzt auch die vollständige Passage in Textform dokumentiert. Oder hier, um mal meinen Heimatsender hinzuzufügen. In der FAZ war es heute (13.04.2016) auch abgedruckt. Wahnsinn, Obszönitäten in der Qualitätspresse 🙂 )
Also z.B. der Artikel von Michael Hanfeld in der FAZ vom 1.4.: Schwachsinn; natürlich kennt Böhmermann „den Unterschied zwischen Satire und primitiver Beleidigung“: Er hat ja mit Ansage beleidigt bzw. die primitive Beleidigung als „nicht zulässig“ vorgetragen. Wer hier doof ist (Herr Hanfeld ist ja im Gegensatz zu Böhmermann sehr mutig bei der Beleidigung von harmlosen Zielen…), das ist noch die ganz große Frage.
Oder die Kritik von Hakan Tanriverdi bei jetzt.de: „Ich habe das Video gesehen, nicht aber die gesamte Sendung.“ Dann sollte man aber auch nicht drüber schreiben. Klar, wenn man das „Gedicht“ aus dem Kontext nehmen würde, „wenn man da das Wort ‚Erdogan‘ durch ‚Migrant‘ oder ‚Muslim‘ ersetzt, dann hört sich das Ganze wie ein braunes Gedicht vom AfD- und Pegida-Clan an.“ Ist aber nicht so. Jan Böhmermann ist ja – obschon man ihn „wie ein Stück Seife“ nicht mal endlich zu einer klaren Aussage bringen kann „was meint der denn jetzt wirklich“ – eher nicht Nazi- oder Pegida-verdächtig. Auch der geschätzte Kollege Stefan Niggemeier diagnostiziert auf „Übermedien“ nur eine weitgehend wohlfeile, eigenwerbende Daffke-Mentalität bei Böhmermann.
Stimmt ja vielleicht. Aber nein: Alles Quatsch. Es geht eben nur um Kontext und Meta-Ebenen, wenn man nicht ganz schlicht veranlagt ist. Und im aktuellen Fall ist der Kontext: Erdogan lässt in der Türkei Journalisten, die über mögliche Verstrickungen des türkischen Geheimdienstes mit dem IS berichten, als angebliche Terroristen ins Gefängnis werfen. Missliebige Polizisten, Staatsanwälte oder Richter wandern gleich hinterher. Das Instrument der Beleidigungsklage wird quasi inflationär eingesetzt, um Kritiker mundtot zu machen. Und der türkische Staatspräsident Erdogan akzeptiert auch explizit Urteile des türkischen Verfassungsgerichts nicht – ein lupenreiner Demokrat halt.
Hierzulande müsste aber auch ein eitler, aufgeblasener Popanz wie Herr Erdogan (der seine Macht ja „nur“ einem (hoffentlich…) demokratischem Wahlergebnis verdankt…) selbst bei einer richtigen, nicht nur eingebildeten Beleidigung den ganz normalen, popeligen Rechtsweg beschreiten, wenn er denn (ausnahmsweise mal zu Recht…) gegen das grottige, eindeutig beleidigende und schmähende „Gedicht“ von Böhmermann vorgehen wollte. In der Verhandlung wird die Verteidigung dann allerdings fadenscheinige Gegenargumente bringen – das Ganze sei ja nur ein Beispiel für etwas gewesen, was man nicht sagen dürfte. Das bescheuerte „Gedicht“ wird immer wieder zitiert und interpretiert (Streisand-Effekt). Und dann gibt es vielleicht irgendwann einen Strafbefehl gegen Böhmermann – eine überschaubare Geldstrafe.
Keine Hinrichtung. Kein Kerker. Keine Entlassung. Quod erat demonstrandum. Für Leute in angeblichen Demokratien. Und angeblichen Rechtsstaaten. Für lupenreine Demokraten mit neurotischen Sultan-Allüren. Mit Sonder-Durchgriff auf die Justiz. Fazit: Das bescheuerte Gedicht (es ist allerdings wirklich schwierig, eine weniger platte, aber eben auch wirklich beleidigende und nicht mehr satirisch abgedeckte Alternativ-Version zu finden…) erfüllt tatsächlich einen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag. 🙂 Das ist letztlich eben doch ziemlich witzig (und sogar ziemlich mutig…), das mal einem humorlosen und nachtragenden Politiker zu zeigen. Und ist halt ein Privileg der Satiriker, auch wenn das „Gedicht“ isoliert betrachtet keine Satire ist…
DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 04.04.2016 (Moderation: Till Haase)
P.S. Die Sache hat mittlerweile noch einen neuen, irren Dreh: Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel oder irgendwelche anderen Regierungsmitglieder ja sehr vornehm zurückgehalten haben, die absurde Einbestellung des deutschen Botschafters nach der NDR-Satire zu kommentieren – jetzt telefoniert die Kanzlerin plötzlich mit dem türkischen Premier Davutoglu. Über die Böhmermann-Sendung. Herzlichen Glückwunsch – auch Frau Merkel ist klargeworden, dass es sich bei dem „Gedicht“ um einen „bewusst verletzenden Text“ handelt. Dass es sich bei den Aktionen gegen türkische Journalisten und Zeitungen, und beim Einbestellen des deutschen Botschafters auch um bewussten oder unbewussten, aber nicht nur kalkuliert verletzenden satirischen, sondern ganz ernsthaften Staats-Bullshit handelt, das kam in dem – wie in Istanbul üblich, abgehörten – Gespräch aus gewissen Gründen nicht zur Sprache… 🙂
P.S. 2 – Es ist ja immer tröstlich, auch mal einen Checker-Kommentar zu lesen oder zu hören:
P.S. 3 (06.04.2016) – Jetzt wird es möglicherweise juristisch interessant: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat nach diversen Anzeigen Ermittlungen wegen Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten eingeleitet. Allerdings muss auch die Türkei noch mitspielen wollen. Die Bundesregierung wird sich jedenfalls einem Ermittlungsverlangen im Zweifelsfall nicht in den Weg stellen, das hat Frau Merkel ja schon signalisiert 🙂 …
P.S. 4 (08.04.2016) – Jetzt hat sich auch noch der Intendant des ZDF, Thomas Bellut, beim türkischen Botschafter entschuldigt bzw. „sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Beitrag Gefühle von Zuschauerinnen und Zuschauern verletzt hat“. (Was nicht unbedingt ein verlässliches Kriterium sein muss, ich verweise auf Charlie Hebdo und die Mohammed-Karikaturen…) Da bekommen also jetzt nicht nur die lupenrein demokratischen Staatslenker ihr Trostpflästerchen, sondern auch noch die Nicht-Checker vor der Glotze, inklusive der in ihrem nationalen Stolz verletzten Schwachmaten. In der Türkei hat das ganze ja (kein Wunder bei einem gewissen Volks-Neurotizismus und einer mittlerweile weitgehend von Erdogan kontrollierten Presse…) schon zu Angriffen gegen ZDF-Einrichtungen geführt, insofern steckt hinter dem Intendanten-Anruf eine ähnlich pragmatische Logik wie hinter dem der Kanzlerin. Es ist irgendwie nachvollziehbar, aber auch irgendwie noch mehr zum Kotzen.
P.S. 5 (11.04.2016) – Die türkische Regierung spielt „natürlich“ mit, das ist sie ja schon dem landesüblichen bzw. orientalischen Hang zur leicht geschmacksverwirrten National-Theatralik schuldig. Die Böhmermann-Verse (die sich ja inzwischen ausgerechnet Mathias Döpfner – nicht ohne Hinweis auf eigene öffentlich-rechtliche Verwundungen im Zusammenhang mit dem Wort „ficken“ 🙂 – „vollinhaltlich“ zu eigen gemacht hat – oh weh, oh weh, das wird für ihn im Gegensatz zu Böhmermann schlimme Folgen haben, denn dem Springer-Boss fehlt ja der Satire-Kontext. Kleiner Scherz – die BILD ist natürlich das populärste Satire-Magazin Deutschlands, das weiß man sowohl in Berlin als auch in Ankara…) seien ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, so der türkische Vizeministerpräsident Numan Kurtulmuş. Dann ist das Ganze natürlich auch kein Fall mehr für das Berliner (oder Mainzer?) Amtsgericht, sondern für Den Haag.
P.S. 6 (12.04.2016):
Die Produktionsfirma btf GmbH und Jan Böhmermann haben entschieden, die für Donnerstag geplante nächste Ausgabe von Neo Magazin Royale nicht zu produzieren. Grund ist die massive Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator. Die Entscheidung erfolgte in Abstimmung mit dem ZDF.
Häh? Bislang ist die Sache doch eigentlich so gelaufen wie geplant (die ganz normale popelige persönliche Beleidigungsklage von Herrn Erdogan…
Blödsinn aus dem notorischen Hort des Blödsinns, dem „Internet“
…ist ja – neben dem bereits im Raum stehenden Klageverlangen wegen Majestätsbeleidigung – unterdessen auch eingetrudelt…) Und jetzt ist der Druck zu hoch? Oder hat doch das ZDF eine kleine Sendepause verordnet? Immerhin steht mittlerweile nicht nur die weitere Karriere von Herrn Döpfner mit auf Messers Schneide, sondern auch die Kanzlerschaft von Frau Merkel. Eine Staatsaffäre eben. Und noch der absolute Super-Kracher: Das alles hängt mit dem Berliner-Flughafen-GAU zusammen!!! Zu sehen am Schluss der Gehirnamputierten-Reportage eines türkischen Schwachmaten-Senders. Jetzt wird plötzlich alles klar!
P.S. 7 (13.04.2016) Nachdem sein Boss ja schon in einem heroischen Selbstaufopferungs- und Selbsterhöhungsakt mit in die juristische Jauchegrube gesprungen ist (ich warte immer noch auf die überfällige Strafanzeige gegen Herrn Döpfner…), muss natürlich auch der „ich-möchte-doch-auch-so-gerne-mitspielen“-Journalismus-und-Intellektuellen-Imitator Kai Diekmann einen Beitrag zuliefern. Ist logischerweise richtig schlecht geworden (eine Hornbrille und ein Dreitagebärtchen machen eben noch nicht geistreich…), ist möglicherweise auch im Rahmen der normalen BILD- bzw. Diekmann-Perfidieperfide. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Ob der Satire-Versuch von Tübingens grünem OB Boris Palmer richtig gut geworden ist, weiß ich auch nicht so recht. Auf jeden Fall ist einem Kommentator bei Tagesschau.de zuzustimmen:
Inzwischen ist es Slapstick.
Ich möchte nur alle bitten: Jeder nur eine Torte.
P.S. 8 (14.04.2016) Die Titanic-Torte hier ist allerdings gar nicht mal schlecht.
P.S. 9 (15.04.2016) Die „Ermächtigung“ der Bundesregierung zur Weiterverfolgung der Majestätsbeleidigungsklage war ja wie gesagt absehbar 🙂 – und mit den heute von Angela Merkel vorgetragenen Erläuterungen ist letztlich die Weitergabe an die Justiz auch gar nicht besonders skandalös. Aber so hochgerutscht habe ich den Atem der Bundeskanzlerin noch nie gehört, dazu die diversen Versprecher – die Frau ist definitiv schwer unter Druck. Kein Wunder bei einem Zwangs-Eiertänzchen mit einem Partner wie Herrn Erdogan 🙂 …
Unterdessen gibt es schon die erste „offizielle“ juristische Einordnung – sie kommt vom Berliner Verwaltungsgericht und geht – was Böhmermann angeht – in die Richtung der Einschätzung von Alexander Thiele.
P.S. 10 (16.04.2016) ZDF-Intendant Thomas Bellut hat Jan Böhmermann die juristische Unterstützung des Senders zugesagt und betont, dass auch der abnehmende Redakteur „keinerlei disziplinarische Maßnahmen befürchten“ müsse. Das ist jetzt mal ein gutes Signal sowohl nach außen als auch nach innen.
P.S. 11 (19.04.2016) In unserer Reihe „Fremde Federn ohne Internetzugang“: Horst Möller
…Abwegig erscheint es, den inkriminierten Text von Jan Böhmermann als politische Satire zu klassifizieren. Das „Schmähgedicht“ ist ebenso vulgär wie dümmlich, es besitzt keinerlei politische Substanz. Geradezu vernichtend für den Anspruch auf Satire aber ist sein eklatanter Mangel an Witz. Eigentlich müssten Satiriker beleidigt sein, wenn ein solches Machwerk als Satire bezeichnet wird. Und ärgerlich ist es für die Bürger, die durch Zwangsbeiträge das öffentlich-rechtliche Fernsehen finanzieren, unfreiwillig für solchen Mist oder seine öffentliche Unterstützung zur Kasse gebeten zu werden.
Ärgerlich ist es allerdings auch, wenn ich mit meinem freiwilligen Abo für die FAZ für einen Text zur Kasse gebeten werde, bei dem der Autor 20 Tage (!!!) nach dem auslösenden Ereignis und den unzähligen und mehr oder weniger erhellenden Einlassungen dazu auf den isoliert betrachteten „Schmähgedicht“-Text abhebt und den mittlerweile ebenso ausreichend dokumentierten (s.o.) wie kommentierten Kontext ignoriert. (Die ebenso nichtcheckenden diversen Doktoren und Professoren in der Leserbriefspalte lassen wir hier mal gnädigerweise außer Betracht – Blödheit ist halt kein Privileg der Unterschicht; das mit dem „immer klugen Kopf“ hinter der Zeitung ist leider eben auch nur ein Werbespruch…) AU WEIA! (Ach nee – der Gastkommentar war sicherlich natürlich auch wiederum satirisch gemeint…)
Ach, und beim verspäteten Durchblättern der FAS von letzter Woche sehe ich auch noch das hier. Heilige Scheiße, um mal sprachlich-thematisch anzuknüpfen, auch der verdienstvolle Ex-Satiriker Gerhard Henschel „analysiert“ das „Schmähgedicht“ isoliert. Herr, wirf Hirn vom Himmel! Nein, das Zoten-Gedicht ist ISOLIERT BETRACHTET kein Kunstwerk, auch keine „Polemik“ (im Sinne eines überzeichneten, aber ernst gemeinten Angriffs…) und insofern „unterstellte“ Böhmermann Erdogan die Sachen von Ziegen bis Gangbangpartys auch nicht. Und es gab sehr wohl einen „Grund für einen Schlag unter die Gürtellinie“ – weil es im Anschluss an die NDR-Satire und Erdogans Reaktion ja nicht um weitere satirische „Angriffsflächen“ ging, sondern um eine (mal im Kontext notwendige…) BELEIDIGUNG. Hoffentlich wird Nicht-Checker Henschel nicht als Satire-Sachverständiger bei der Gerichtsverhandlung eingesetzt 🙂 …
P.S. 12 (22.04.2016)
Beleidigungen gegen den türkischen Gröpaz Erdogan müssen natürlich sofort gemeldet werden – auch und gerade, wenn sie im Ausland erfolgen. Wenn solche unfassbaren, geradezu gotteslästerlichen Taten nicht durch die landesinterne Justiz adäquat geahndet werden können, ist es selbstverständlich nur ein Akt der legitimen Notwehr, einen (gehirnamputierten…) grauen, schwarz-weißen oder pinken Wolf loszuschicken, um die Schmach zu rächen.
Dass Politiker Fehler machen oder mit Einschätzungen daneben liegen, ist normal. Dass sie das dann einsehen und auch noch öffentlich eingestehen (jedenfalls solange sie noch im Amt sind…), das ist hingegen schon eine absolute Rarität. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute ihre Bewertung der Causa Böhmermann („bewusst verletzend“) im Telefongespräch mit dem türkischen Premier Davutoglu am 4.4. (s.o. und hier 🙂 …) als Fehler eingestuft – sie ärgere sich im Nachhinein darüber.
Da kann man einfach nur sagen – ein solches Statement verdient Respekt. (Und zwar nicht im Sinne der üblichen politischen Semantik, wo die Formulierung ja als Standard-Nachruf-Floskel für endlich zurückgetretene bzw. zurückgetreten wordene Akteure fungiert. Sondern ganz ernsthaft.)
Obwohl ich bestimmt in vielen Dingen nicht auf der Linie der Bundeskanzlerin liege (z.B. auch was die Strategie in der Flüchtlingsfrage angeht…) – was Frau Merkel immer schon ausgezeichnet hat, ist ihre „fehlende“ Eitelkeit. Machtwillen ja, aber kein Unfehlbarkeitsanspruch. Insofern (das ist jetzt ein Geschlechter-Klischee, aber vermutlich sogar empirisch belegbar…): Frauen sind halt doch die besseren Politiker(innen…) 🙂
P.S. 13 (09.05.2016)
Den ganzen Quatsch in der Zwischenzeit habe ich jetzt mal ausgelassen – aber eine ganz wichtige Sache war ja immer noch offen: Was war eigentlich mit Döpfners vollumfänglicher, aber satirefreien Solidaritäts-Trittbrettfahrer-Beleidigung? Die hat Herr Erdogan erst mal gebührend abhängen lassen, aber jetzt endlich auch vor den Kadi gebracht. Und wie gesagt, da sehe ich im Gegensatz zur Sache Böhmermann selbst juristisch eigentlich keine „mildernden Umstände“. Die Begründung des Landgerichts Köln, die einstweilige Verfügung „eher nicht“ zu erlassen, die möchte ich wirklich gern mal sehen…
P.S. 14 (10.05.2016)
Eine absurde Fehlentscheidung des Kölner Landgerichts. (Nein, diesmal nicht die übliche lächerliche Bewährungsstrafe für türkische Killer-„Autorennfahrer“ auf öffentlichen Straßen.) Sondern die in der Sache Döpfner. (Ok, das war jetzt auch die Pressekammer 🙂 ) Sorry, aber den Vorstandschef des Axel-Springer-Verlags muss man schon als sorgfältig formulierenden Menschen ernstnehmen. Und wenn er sich allen „Formulierungen und Schmähungen“ Böhmermanns „inhaltlich voll und ganz“ anschließt (s.o.) und sie sich „in jeder juristischen Form zu eigen“ macht, dann ist das natürlich keine (selbstverständlich zulässige) Meinungsäußerung wie „Ich finde das gut, was Böhmermann gemacht hat“ oder wie der (selbstverständlich zulässige) Rest des Textes seinerzeit in der „Welt“.
„Ich mache mir das zu eigen“ heißt ganz klar, ich stelle die fremde Äußerung eins zu eins einer eigenen Äußerung gleich (daher brauche ich sie auch gar nicht explizit wiederholen und damit „neu zu verbreiten“, wenn sie ohne Probleme an anderem Ort auffindbar ist. Wie die Pressekammer zu der Auffassung gelangt, Döpfner habe die eine zitierte Äußerung „erkennbar nur Böhmermann“ zugerechnet, ohne „den türkischen Präsidenten selbst mit einer solchen Äußerung zu belegen“, wo Döpfner sich doch explizit alles zu eigen macht und auch selbst dafür mit einem Auftritt vor Gericht rechnet – das ist mir völlig rätselhaft. (Wobei ich da als fachlicher Laie natürlich nur mit normaler deutscher Semantik argumentieren kann. Auf Juristisch ist das angeblich alles total anders, das hat jedenfalls ein Medienanwalt meinen Kollegen von DRadio Wissen erläutert…) Aber das werden höhere Instanzen schon geraderücken. Herr Erdogan, jetzt nur nicht klein beigeben! (Und: Hätte man die einstweilige Verfügung nicht eigentlich besser in Hamburg beantragen sollen ? 🙂 )
P.S. 15 (12.05.2016)
Hurra, der Wahnsinn galoppiert eifrig weiter und hat nun auch eine Runde durch das Hohe Haus in Berlin gezogen. Was den CDU-Abgeordneten Detlef Seif bei seiner (sprachlich ganz manierlich vorgetragenen…) Rezitations-Darbietung getrieben hat, das ist noch etwas nebulös. Wirklich nur der jetzt schon so uralte Nicht-Checker-Dauerbrenner, der Hinweis auf die unsägliche „Qualität“ des Gedichts? Oder die Vorbereitung eines Wechsels ins Satirefach? (Dann hätte der Mann es aber wirklich faustdick hinter den Ohren. Etwas schalkhaft sieht er ja aus.)
https://www.youtube.com/watch?v=WAwQlmq68QU
Oder eine allgemeine Aktion nach dem Motto „5 Minuten Ruhm“? Ich tippe eher auf eine Wette im Kollegenkreis (a la „in den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“…); oder er hat eine neue Freundin und die wollte einen Liebes- und Zeig-mir-dass- du-Eier-und-keine-Schrumpelklöten-in-der-Hose-hast-Beweis 😉 („OK – du kannst das morgen im TV sehen. Ich mach das wirklich!). Juristisch kommt mit der Lesung auch wieder ein aparter neuer Aspekt ins Spiel. Danke dafür! Ich habe es auch mal in Seifs bisher etwas dünnem Wikipedia-Artikel lobend erwähnt.