Vollmundige Verlautbarungen, mit welch schrecklicher Wirkung man jetzt diesen oder jenen Bösewicht (bislang waren das ja vorwiegend Banken oder Behörden 🙂 …) aus dem Netz radieren werde – die haben wir ja schon oft gehört. Von anonymen Hacker- oder Aktivistengruppen, die sich LulzSec oder eben Anonymous nennen. Und wenn so ein Grüppchen dann mal konkret aufflog, dann waren das häufig eben nur ein paar Leute, die gerade mal der Pubertät entwachsen waren und ein DDOS-Script ablaufen lassen konnten.
Das schöne und semantisch ewig witzige an Anonymous ist eben das Anonyme; und jeder kann anonym im Namen der Anonymen Erklärungen abgeben, zum Beispiel des Inhalts, dass gewisse andere Anonyme nicht die wahren Anonymen sind und man sich daher schärfstens davon distanziere – anonym selbstverständlich.
Die Annahme, dass es im Netz eine nennenswerte Crowd von koordiniert handelnden anonymen Aktivisten geben würde, die denn auch zu irgendwelchen spürbaren und sinnvollen Aktionen gegen einen Gegner wie den IS in der Lage wäre, ist vollkommen naiv und geht halt dem Vendetta- und Matrix-Mythos auf den Leim. Aber irgendwo will der verunsicherte Netzbürger ja seinen Like-Mausklick machen, um mit minimalem Aufwand digital Stellung zu beziehen oder einfach nur das Gefühl der Hilflosigkeit etwas abzumildern.
Und die Presse will natürlich auch immer allzu gern über irgendetwas wirklich spannendes und geheimnisvolles berichten – da wird nur leider der ernüchternde Fakt außer acht gelassen, dass eine anonyme Netzquelle halt journalistisch praktisch wertlos ist. Wenn drei anonyme Wirtshausbesucher aus Winsen an der Luhe dem IS den Krieg erklären, dann hat das wohl kaum irgendeine Relevanz. Wenn sie aber eine Facebookseite oder einen Twitteraccount betreiben, der mit einer Guy-Fawkes-Maske garniert ist – dann plötzlich schon.
Mit Listen von angeblichen IS-Accounts, die sich dann als teilweise falsch recherchiert erweisen, mit Anschlagswarnungen über Twitter-Hashtags, die sich als Fehlalarm herausstellen – damit ist natürlich niemandem gedient. Dabei steht es ja jedem technisch versierten Hacker frei, ein paar islamistische Webseiten unter Beschuss zu nehmen – aber das Cyberkrieg-Geschwafel ist genauso kindisch wie das Geschwafel der Gegenseite. Selbstverständlich gibt es ja auch bei den Islamisten junge Männer mit Allmachtsphantasien und Computerkenntnissen, und selbstverständlich drohen auch die damit, die Welt der Ungläubigen digital auszuradieren.
Und dann gibt es auch noch die Cyberwar-“Profis” bei den Geheimdiensten – was die ganze Sache nicht besser macht. Zuviel Herumsitzen vor Tastatur und Bildschirm geht halt immer mit einer etwas verzerrten Wahrnehmung der Realität einher.
Frage des Tages – Warum wird Anonymous den IS nicht besiegen?
Deutschlandradio Kultur – Kompressor vom 24.11.2015 (Moderation: Timo Grampes)
P.S. 3.12.2015 – Marina Strauß von der DW hat das Thema auch noch einmal ausführlich beleuchtet.