Archiv für den Monat: Dezember 2015

Koko: Kognitive Therapie per App

Eine App für das mentale Wohlbefinden, um Stress oder Depressionen zu lindern? Das klingt erst einmal nach dem berühmten Bock als Gärtner, weil der ständige Tunnelblick auf Monitor oder Smartphone-Display viele Leute ja sehr effektiv vom eigentlichen Leben oder einer guten alten Mensch-zu-Mensch-Kommunikation abhält 🙂 …

Aber Koko will ein Hilfsmittel zur (problembezogenen…) menschlichen Kommunikation sein; für eine „crowdbasierte kognitive Verhaltenstherapie“ . Die Idee, wohlmeinende Zeitgenossen im Netz anderen gute Ratschläge geben zu lassen (und dabei auch wiederum selbst mental zu profitieren…) hatte der Psychologe Rob Morris am Media Lab des MIT entwickelt, an Versuchspersonen getestet und im Rahmen seiner Dissertation veröffentlicht.

Die App bringt den Hilfesuchenden dazu, sein Problem kurz und klar darzustellen und liefert den Ratgebenden Formulierungshilfen, wie sie im Sinne der Verhaltenstherapie zu einer neuen, positiveren Sicht der Dinge beitragen können. Wie bei Tinder können App-Anwender per Fingerwisch die (Problem-)Profile durchblättern und bei Interesse reagieren, wie bei Reddit kann man hilfreiche Lösungsvorschläge an die Spitze einer Liste „hochvoten“.

Das Ganze läuft anonym ab, auf Wunsch bzw. für manche Funktionen gibt man eine Emailadresse an (möglicherweise sollte das am besten ein quasi anonymer Instant-Account und nicht der am Arbeitsplatz sein 🙂 )  – und natürlich ist die von den Anbietern hoch und heilig versprochene Anonymität auch der Knackpunkt: Zwar wird ja in der Öffentlichkeit immer feierlich postuliert, dass mentale Probleme eine ganz normale Krankheit seien und man doch bitteschön professionelle Hilfe in Anspruch nehmen soll. Wenn dann allerdings bekannt wird, dass man eine Therapie macht oder gemacht hat, dann kann man sich eine eine private Krankenversicherung oder eine Verbeamtung abschminken…

Laut Auskunft des Mit-Gründers Fraser Kelton gibt es bei Koko langfristig durchaus eine Geschäftsidee: Eventuell könne man nämlich Organisationen mit hohen Mitgliederzahlen eine maßgescheiderte App verkaufen; Kelton nennt zum Beispiel Universitäten, die ihren Studenten ein Streß- oder Krisenbewältigungstool an die Hand geben wollen. Andererseits drängt sich natürlich auch der Gedanke an große Firmen auf – die ebenfalls aus verschiedensten Gründen am Innenleben ihrer Mitarbeiter interessiert sind.

Fazit: Eine plausible Idee, ein anscheinend seriöses Team dahinter – und trotzdem bleibt das Netz-Outing auch hier eine Sache mit Restrisiko.

Kognitive Therapie per App

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 17.12.2015 (Moderation: Marlis Schaum)

Künstliche Intelligenz – Maschinelles Lernen nach menschlichem Vorbild

Computerprogramme sind mittlerweile ganz gut darin, Dinge auf Fotos zu erkennen – den simplen Buchstaben „T“ etwa oder etwas komplexeres wie einen Tisch. Dafür müssen die Algorithmen allerdings zuvor trainiert werden – und zwar bislang mit hunderten oder tausenden entsprechenden Beispielbildern.

Ein Mensch hingegen braucht nur einen einzigen Tisch zu sehen, und kann anschließend auch verschiedenste Varianten des Möbelstücks identifizieren oder sogar selbst neu entwerfen. Und zwar deswegen, weil er das grundsätzliche Konzept – eine horizontale Platte auf vertikalen Stützen – versteht.

Die KI, die sogenannte „künstliche Intelligenz“ kann sich also durchaus vom Menschen noch einiges abschauen – und genau das ist der Ansatz für eine neue Art des „maschinellen Lernens“, den amerikanische Forscher in der aktuellen Ausgabe von „Science“ vorstellen.

Die Studie vergleicht menschliches und Maschinen-Lernen bei einem weiten Spektrum von visuellen Konzepten bzw. bei ausgewählten Alphabeten. Künstlerische Darstellung von Danqing Wang.

Die Studie vergleicht menschliches und Maschinen-Lernen bei einem weiten Spektrum von visuellen Konzepten bzw. bei ausgewählten Alphabeten. Künstlerische Darstellung von Danqing Wang.

Momentan funktioniert der von Joshua Tenenbaum, Brenden Lake und Ruslan Salakhudinov entwickelte Ansatz nur bei einem eigentlich bereits „erfundenen Rad“ – der Handschrifterkennung, einem „Showcase“ also mit sehr überschaubaren Freiheitsgraden und relativ leichten Trainingsmöglichkeiten.

Interessanterweise war aber bei der Science-Telekonferenz am Tag vor der Veröffentlichung kaum von den (übrigens sehr komplizierten und für Laien kaum nachvollziehbaren…) Details der aktuellen Studie die Rede, sondern eher von vagen Zukunftsperspektiven und der Frage, ob sich ein menschenähnlich lernender KI-Algorithmus auch auf andere Wissensdomänen übertragen lässt – jenseits von naheliegenden Varianten wie der Spracherkennung oder der Verbesserung der Autokorrektur auf Smartphones.

Eine sehr konkrete Nachfrage kam vom Reporter der „Defense One“ – und in der Tat sind Geheimdienstler und Militärs sehr interessiert, ob ein konzeptuell lernendes KI-Programm nicht auch dazu taugen könnte, die Absichten von Menschen vorherzusagen oder irgendwann einmal Drohnen oder Kampfdroiden autonom agieren zu lassen.

Da war dann die Frage von Tanya Lewis vom Business Insider sehr angebracht:

Besteht nicht die Gefahr, dass Ihr Programm voreilige Schlüsse zieht, wenn es sich auf zu wenige Beispiele stützt?

Und Professor Joshua Tenenbaum vom MIT, Psychologe und Kognitionswissenschaftler, gab ihr prinzipiell recht:

Diese Stereotypen oder Kurzschlüsse, die Sie ansprechen, das sind möglicherweise menschliche Schwächen als unausweichliche Konsequenzen unserer Stärken. Die spannende Frage ist also, wollen wir, dass Maschinen unsere Schwächen genauso erben wie unsere Stärken? Und ist es überhaupt möglich, dass sie die Stärken haben werden ohne die Schwächen?

Künstliche Intelligenz – Maschinelles Lernen nach menschlichem Vorbild

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 11.12.2015 (Moderation: Uli Blumenthal)

Online-Unikurse nutzen vor allem Studenten mit gutem sozialen Background

Bildung entscheidet über den Job und das Einkommen, Bildung bietet die Chance, aus sozial schwierigen Verhältnissen aufzusteigen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Und für wen aus irgendwelchen Gründen ein Studium an einer Uni gar nicht oder momentan nicht in Frage kommt – für den gibt es ja eine moderne Alternative, und zwar im Netz: Die sogenannten MOOCs, die „Massive Open Online Courses“ werden mittlerweile überall, auch von den renommiertesten Unis angeboten. Und zwar in fast allen Studienrichtungen; kostenlos und ohne ohne Zulassungshürden; man kann Prüfungen ablegen und Zertifikate erwerben. An sich also der perfekte Ansatz, die Bildung zu demokratisieren, die Kluft zwischen den sozialen Schichten zu schließen.

Im Fachblatt Science haben US-Forscher jetzt einmal vorgestellt, wer denn am meisten von solchen Online-Kursen profitiert – und das Ergebnis ihrer Studie ist ernüchternd, aber im Grunde nicht allzu überraschend: Die MOOC-Studenten, jedenfalls die US-amerikanischen, stammen eher aus feinen Gegenden als aus Problemvierteln – und wessen Eltern zur Uni gegangen sind, hat wesentlich bessere Chancen, einen Online-Kurs erfolgreich mit einem Zertifikat abzuschließen.

Natürlich bieten die MOOCs besonders begabten Studenten eine „Überflieger-Chance“. Aber die Masse der Lernbegierigen aus unterprivilegierten Schichten würde zusätzliche Unterstützung benötigen, um wirklich von den Kursen profitieren zu können. Das Fazit vom Autor der Studie, John D. Hansen:

Ich denke, es ist schwer vorherzusagen, ob der bessere Zugang zu Bildungstechnologie die Schere bei bestimmten Entwicklungen jetzt eher weiter oder enger werden lässt. Aber was wir zeigen konnten: Der Zugang allein scheint jedenfalls nicht zu garantieren, dass die ökonomische Kluft sich verringern oder schließen wird – da ist anscheinend auch genau das Gegenteil möglich.

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 4.12.2015 (Moderation: Marlis Schaum)