Archiv für den Monat: Dezember 2018

Prosper-Haniel macht dicht

Es war keine leichte Zeit damals, nach dem Krieg, der ja so völlig in die Hose gegangen ist 🙂 . Irgendwie haben die Kumpels in den Bergwerken dann das Wirtschaftswunder miterschaffen, und andererseits – “der Niedergang der Steinkohle begann schon Ende der 1950er Jahre.” Das kann ich immerhin ab 1964 bestätigen, wo ich doch aus dem Ruhrpott komme und das dort damals mit dem Malochen im Pütt schon ab diesem Beginn nicht mehr so richtig en vogue und tofte war, obwohl mir das ja wahrscheinlich im Säuglingsalter noch nicht so ganz klar sein konnte.

Andere haben da offenbar eine andere Wahrnehmung.

Mir blutet das Herz. Ich bin hier im Bergwerk groß geworden, und mir fällt das sehr schwer. Sehr schwer.

Na gut – Kinderarbeit gab’s da hoffentlich nicht, und wer sich allen Ernstes so zu meinen Säuglings- oder Jugendzeiten als Berufsanfänger entschlossen hatte, in die Grube zu fahren, der hatte “sich vorbereiten können auf diesen Moment” heute, da die Lichter endgültig ausgehen. Definitiv; ungefähr ein paar gemütliche Jahrzehnte lang. Gemütlich, weil halt die Institution “Steinkohlebergbau” eine deutsche heilige Kuh war, weil da Milliarden an Subventionen reingesteckt worden sind. Da waren sich Gewerkschaften und Politik so einig, dass man den Kumpels die Kohle auch einfach so für lau hätte auszahlen können, ohne dass die den Gruben-Stunt und das tägliche Blackfacing hätten exerzieren müssen. Schwamm drüber.

Klar, es ging natürlich auch lange Zeit darum, aus strategischen Gründen eine Möglichkeit der Energie-Selbstversorgung offenzuhalten; falls mal international etwas schiefgehen sollte. Da war allerdings auch schon sehr früh relativ klar – diese Schieflage würde es nicht geben. Dann sind da noch noch so gefühlsduselige Sachen im Spiel wie “harte Maloche” unter Tage; die Kameradschaft (Schalke 04; elf Freunde sollt ihr sein…) und so.

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Eigentlich wollte ich diesen Text ziemlich sarkastisch schreiben; aber irgendwie geht das nicht.

Ich erinnere mich ganz dunkel, dass ich mal als winzig kleiner Junge von der Feldmark (in Gelsenkirchen) nach Ückendorf gegangen oder geradelt bin; und am Horizont waren die Zechen bzw. die Kokereien, mit dieser archaischen Silhouette, mit den so in gewissen Intervallen aufsteigenden Geräuschen und dem auflodernden Feuerschein. Irgendwie ein Organismus, wo Menschen kunstvoll und konzentriert und hingegeben daran arbeiteten, etwas sinnvolles und nutzbringendes; ja, etwas essentiell lebenserhaltendes zu erschaffen.

Wahrscheinlich geht es den Kumpeln und Eisenwerks-Arbeitern in den USA ganz genauso, wenn ihre Arbeitsplätze abgeschafft werden; oder den Bauern oder Nachfahren von Bauern, die vielleicht schon ganz oder dreiviertel oder halb in einem anderen, “modernen” Beruf arbeiten: Das ist nicht einfach nur ein Umdisponieren zu zukunftsträchtigeren Perspektiven, das ist eine andere Welt.

Es gibt schon noch mal einen Unterschied zwischen den modernen, luxuriösen und artifiziellen Disziplinen und den archaischen, lebensnotwendigen Basics. Bei den ersteren schauen wir auf die schnöde, kostensparende Effizienz und letztlich auf ein “nice to have”. Die Basics sind uns – jedenfalls uns in den “westlichen Staaten” – mangels akuter Krise nicht mehr so ganz geläufig; wir haben die erst mal outgesourct. Ich erinnere mich aber noch daran. An dieses atmende, geräuschvolle, aufflackernde “Lebewesen” am Horizont.

“Geliefert wie bestellt” – der Fall Relotius

In unserer schönen neuen Welt der allseits erwarteten Perfektheit, des ständigen Abgleichs des eigenen Selbst, des eigenen Äußeren oder des eigenen Schaffens mit dem vermeintlich perfekten Selbst oder Äußeren oder Schaffen von anderen, des “Mitbewerbs” also im Leben oder im Beruf; in den Zeiten der ständigen Selbstvergewisserung anhand von “Likes”, Followern oder Abonnenten ist das Aufhübschen der Realität zum völlig normalen Verhalten geworden. Und irgendwie (wobei bei allen Beteiligten das Ausmaß der Einsicht gerne situationsabhängig schwankt…), irgendwie weiß ja jeder: Das ist nicht die Realität, das ist eigentlich gar nicht so glamourös. Das ist eigentlich gar nicht so schön. Das ist gar nicht so eindeutig. Das ist eigentlich gar nicht so spannend.

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Es gibt ja bei Instagram oder auf anderen Plattformen etwas, das man “Food Porn” nennt, und der Gedanke hinter dieser semantischen Schöpfung passt natürlich auch auf andere Diszipline; auch “Beauty Porn”, “Fashion Porn”, “(Extreme-) Sport Porn” oder “Travel Porn” (ich erhebe mal sofort Leistungsschutzanspruch auf all diese Neuschöpfungen…) sind also völlig normale, völlig gebräuchliche Realitäts-Aufhübschungen. Und, das jetzt mal meine These aus gegebenem Anlass, es gibt auch “Journalismus- oder Reportage-Porn”.

Claas Relotius’ Reportagen sind unglaublich detailliert ausrecherchiert und eindringlich geschildert und fast schon als Literatur zu bezeichnen. (Aus der Laudatio des Jurors Gero von Boehm bei der Verleihung des Reemtsma Liberty Award 2017)

Eben. Fast schon Literatur. Die Subjektivität ist ja eh eingepreist, ist ja eh konstituierendes Stilmittel bei der “Königsdisziplin” Reportage.

Die Reportage stellt ein spezielles Ereignis oder ein Geschehen so dar, wie es die Autorin/der Autor miterlebt hat und wahrnimmt, um es den Leserinnen und Lesern auch emotional nahezubringen. (Bayerischer Rundfunk: Journalistische Textsorten)

Und natürlich lernt man als junge(r), aufstrebende(r) Journalist(in) auf den entsprechenden Journalistenschulen, bei den Voluntariaten der Zeitungen und Sender, wie das handwerklich gemacht wird.

Generell gibt es keine Standardstruktur oder Musterlösungen für eine gute Reportage, doch lässt sie sich grob in drei Bereiche gliedern: Einstieg, Hauptteil und Ausstieg. Für den Einstieg eignen sich besondere Szenen. Sie sollten den Leser neugierig machen und möglichst Ort, Zeit und handelnde Personen einzuführen. (Journalist-werden.de: Schreibwerkstatt, Teil 3)

So zum Beispiel:

An einem Dienstagmorgen im Januar, vier Tage nachdem Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt worden ist, steht neben dem Willkommensschild am Ortseingang noch ein zweites Schild, halb so hoch, aber kaum zu übersehen. Jemand muss es in der Dunkelheit aufgestellt haben. Auf diesem Schild, aus dickem Holz in den gefrorenen Boden getrieben, steht in großen, aufgemalten Buchstaben: “Mexicans Keep Out” – Mexikaner, bleibt weg. (Claas Relotius, “Wo sie sonntags für Trump beten“)

Super; nur, dass der Reporter sich das Schild ausgedacht (wieso gab es eigentlich kein Foto davon, und wieso hat die Spiegel-Doku-Abteilung danach eigentlich nicht gefragt oder nachgeforscht?) und noch so ein paar andere Sachen erfunden hat. In den Reportagen von Claas Relotius gibt es offenbar auch als immer wiederkehrendes Stilmittel Musik: Lieder, Songs, die die Protagonisten vielsagend oder rührend selbst anstimmen oder – natürlich, darunter geht’s nicht – in einer Endlosschleife hören. Anscheinend momentan ein regelrechter Fake-Marker bei seinen Stücken. Ansonsten natürlich: Handwerkszeug.

Wenn ich einen Satz sehe wie “draußen beginnen die Hunde zu bellen”, höre ich sofort auf zu lesen. (Ein hellsichtiger Kommentator im SPON-Forum)

Es gibt offenbar auch Leser/Hörer, die unsere journalistischen Handwerks-Stereotype durchschauen; wir Journalisten selbst tun dies natürlich auch – aber in der Rolle als abnehmende Redakteure fordern wir die paradoxerweise, und ohne übermäßige Anforderungen an deren Plausibilität oder Belegbarkeit zu stellen ein. Die Geschichte, das “Storytelling” muss halt natürlich “rund” sein, und anschaulich. Einstieg-Hauptteil-Austieg, der Bogen muss da sein. Oder notfalls zusammengedrechselt werden.

Er steigt mit ihr hinab in den Keller, der nach Schweiß stinkt, über eine Treppe mit 15 Stufen, so steht es da: 15 Stufen, weil Relotius gelernt hat, dass exakte Zahlen die Glaubwürdigkeit des Geschriebenen erhöhen. (SPIEGEL legt Betrugsfall im eigenen Haus offen – Eine Rekonstruktion in eigener Sache von Ullrich Fichtner)

Und, weil der/die abnehmende Redakteur(in) das geil findet und das natürlich genauso wie sein/ihr Autor, womöglich sogar auf der gleichen Journalistenschule gelernt hat; klar, die Zahl der Treppenstufen ist unerlässlich – obwohl eigentlich niemand, kein normaler Mensch in der normalen Situation in Syrien oder sonstwo auch nur im entferntesten auf die Idee kommen würde, die bescheuerten Treppenstufen mitzuzählen. Ist selbstverständlich auch fuckegal, ob das 15 oder 14 oder 16 sind. Bullshit; Reporter-Porn halt.

Natürlich ist der Fall – leider – Wasser auf die Mühlen der Fake-News-Apologeten.

Damit die Szenen nicht beliebig wirken, ist es wichtig sich vor dem Schreiben eine These zu überlegen. Diese These ist das Ergebnis der vorherigen Recherche, also die Quintessenz aller Interviews und Beobachtungen, die man im Vorfeld geführt bzeziehungsweise gemacht hat. Anhand dieser These wählt man die Szenen für die Reportage aus. Passt eine Szene nicht zur These, sollte man sie weglassen. (Journalist-werden.de: Schreibwerkstatt, Teil 3 – für die Schreibfehler der Schreibwerkstatt kann ich übrigens nix 🙂  )

Oder eine passende hinzuerfinden 🙂 Ganz ohne Zweifel hat der Spiegel eine These, eine vorgefasste Agenda. Möglicherweise ist das gerechtfertigt, möglicherweise passt die Agenda auch zum angepeilten Zielpublikum; oder möglicherweise ist die Agenda und die Erwartungshaltung an die Autoren in Wirklichkeit aber auch kontraproduktiv und führt zum Mechanismus “geliefert wie bestellt”. “Sagen, was ist.” Nicht, sagen, wie wir gerne hätten, dass es sei. Das gilt natürlich auch für mich und meine Kolleg(inn)en beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Die Erklärungen von Claas Relotius selbst, er habe da unter Erfolgsdruck gehandelt, die kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Er hat halt in der “Königsklasse” mitspielen wollen und auch bei den entsprechenden gutdotierten Preisen, die systemimmanent “Porn-verdächtig” sind (ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn man jetzt alle preisgekrönten Reportagen der letzten Jahre auf die wirklich minutiös nachprüfbaren Fakten bis zum “ihre zusammengepressten Knöchel werden weiß” nachprüft…). Die Verlockung und das Problem sind systemimmanent, und ich sehe es genauso wie die “Salonkolumnisten” – selbst die an sich lobenswerte Aufarbeitung des Falls beim Spiegel bedient sich wiederum der Stilmittel, die den Fall erst miterzeugt haben.

Und mal an Claas Relotius selbst gerichtet – ich kenne Sie nicht, aber laut allen Einschätzungen ihrer Kollegen sollen Sie ein äußerst angenehmer, bescheiden auftretender, sympathischer Zeitgenosse sein. Tun Sie sich nichts an, verzweifeln Sie nicht; auch wenn Ihre Karriere als Journalist mit der Angelegenheit höchstwahrscheinlich beendet sein sollte. Holen Sie sich Hilfe – und dann wechseln Sie; vielleicht ja zunächst unter Pseudonym, ins literarische Fach. Denn Sie schreiben ja einfach richtig gut, nur bislang im falschen Genre.

Antisemitische Schmierfink-Kampagnen von Facebook? Blödsinn!

Jetzt ist mal Schluss. Mit dem Quatsch.

Ich bin ja wirklich nicht im Verdacht, irgendwie Fan von Facebook zu sein; da kann man einfach mal meine diversen Beiträge zu dem Laden Revue passieren lassen. Ich bin aus gutem Grund nicht selbst bei dem Verein angemeldet (bis auf einen uralten Gag-/Testaccount, der bezeichnenderweise niemals von Facebook gelöscht worden ist; trotz des offensichtlichen Fake-Usernamens und der Null-Interaktion; soviel zur Relevanz der Userzahlen  🙂  ) Facebook ist für mich die Nummer eins im No-Go-Datenabgreif- und Privacy-Schändungs-Konzept dieser modernen Zeiten – bei dem die User ja bereitwillig mitmachen; insofern sind die Alarmrufe von Bedenkenträgern wie mir ja auch vielleicht einfach eine Minderheitsposition.

Ich habe am 16.11. über den NYT-Artikel berichtet, in dem die PR-Strategie von Facebook beleuchtet wurde – eine offensive “Gegenangriffs-Strategie” als Reaktion auf den vielfältigen Gegenwind, dem Facebook beginnend mit der Cambridge-Analytica-Affäre ausgesetzt war. Dass die “Kotau/wir haben verstanden” – Geste von Mark Zuckerberg auch nur eine Geste oder vielleicht nur ein Fake war: geschenkt. Aber jetzt noch mal zu den Fakten der PR-Kampagne zurück: Der “Multimilliardär und Philantrop” (nein, nicht Mark Zuckerberg, sondern George Soros) hat sich diverse Male, z.B. in Davos, äußerst kritisch zu Facebook (und Google…) geäußert und eine Regulierung bzw. Zerschlagung der Unternehmen gefordert.

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Danach soll dann Sheryl Sandberg Facebook-Mitarbeiter damit beauftragt haben, herauszufinden, “weshalb Soros die Tech-Unternehmen angegriffen habe und ob er daraus einen finanziellen Vorteil erzielen wollte“. Ist diese Idee vollkommen absurd? Nein. Herr Soros hat durchaus in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten immer wieder diverse Kampagnen angeschoben; wir können es auch nennen: Meinungspositionen in den öffentlichen Raum gestellt; um daraus finanzielle Vorteile zu generieren. In ziemlich happigen Dimensionen; ein Multi-Milliardär-Vermögen und eine daraus resultierende nennenswerte philantropische Kapazität (die möglicherweise auch wieder eine politische Agenda verfolgt…) entstehen normalerweise nicht aus einer Kassierer-Tätigkeit bei Aldi.

George Soros ist Jude. Daraus; aus seinem Reichtum, und aus seinen vielleicht philantropischen oder vielleicht auch politisch motivierten Aktionen und Engagements erwächst natürlich sofort ein häßlicher Gegenpol: Antisemitismus. Gegen die aktuelle ungarische Regierung; leider auch gegen sehr populäre Positionen in der ungarischen Bevölkerung; vielleicht sogar eben gegen  die Mehrheitsmeinung dort lässt sich einiges argumentieren. George Soros hat das getan; die ungarische Regierung hat im Gegenzug die wohlfeile Antisemitimus-Karte gezogen; mittlerweile hat die Soros-Stiftung das Land verlassen.

Es gibt also, klarer Fall,  jede Menge antisemitische Angriffe gegen George Soros. Aber heißt das jetzt, dass jeder Angriff gegen George Soros antisemitisch ist? Das ist so totaler Bullshit, dass ich kotzen könnte. Mark Zuckerberg ist Jude. Sheryl Sandberg ist Jüdin. Wenn die beiden jetzt eine PR-Agentur beauftragt haben, die Journalisten mit Material darüber versorgen, dass George Soros eine angebliche Grassroot-Gruppe finanziell unterstützt haben soll, die gegen Facebook agitiert – ist das dann eine “antisemitische Schmierfink-Kampagne“? Bullshit!!

Noch mal mein Fazit: Facebook agiert nicht moralisch, sondern geschäftlich. Aber antisemitisch bestimmt nicht. Wie kann man nur auf so einen völlig abstrusen Quatsch kommen? Überdosis “political correctness”? Oder eben einfach das ungeprüfte “Stille Post”-Weitergeben von vereinfachten, verkürzten oder falschen anderen News-Quellen? Das ist dann im Resultat genau das, was unsere allseits beliebten Freunde (leider in dem Fall berechtigt…) als “Fake-News” taggen können.