Ich muss zugeben – von der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, von ihrem Engagement, ihren Medienauftritten und schließlich von den Diskussionen um Drohungen gegen sie und dem Verhalten der österreichischen Polizei, von gewissen Erkenntnissen dazu, wer hinter den Drohungen stecken könnte und von der emotionalen Eskalation – da habe ich hier in Deutschland, trotz meiner beruflichen Nähe zu Netzthemen nichts mitbekommen.
Jetzt haben wir einen Suizid, eine offenkundig etwas unglücklich lavierende Polizei in ihrer Ermittlungstätigkeit gegen den/die Urheber der Droh-Messages und die posthumen Statements, „der Hass müsse endlich aufhören.“ Die Sache scheint mir aber noch sehr viel komplexer zu sein. Oder aber sehr viel banaler. Social Media sind toxisch. Wahrscheinlich – und da gibt es sowohl anekdotische Erfahrungsberichte als auch wissenschaftliche Studien – wahrscheinlich ist es für die eigene Psyche wesentlich besser, sich da weitgehend raus zu halten.
Was für mich feststeht – wer psychisch labil ist, wird leiden oder im Extremfall umkommen in der Social-Media-Exposition. Klar, es gibt empathische Leute im Netz. Es gibt Social-Media-Gruppen oder -Diskussionen, wo positives Feedback kommt. Wo Leute posten „Kopf hoch“. „Ich fühl mit Dir.“ Oder „Ich hab dich lieb.“ Es gibt aber auch Trolle und Psychopathen im Netz. Die posten: „Du bist hässlich, geh sterben.“ Die Nacktfotos anfordern oder Strangulierungs-Challenges weiterverbreiten. Die ihren Hass, der vor der Erfindung des Internets und der Social Media nicht über ihren Stammtisch hinausgekommen wäre, nun plötzlich in die ganze Welt verbreiten können.
Und die im Netz selbst nun auch Gleichgesinnte finden, eine kleine hübsche Gruppe von Psychopathen, die sich früher nie kennengelernt hätten. Und nun aber plötzlich eine Macht sind. Eigentlich natürlich nicht, weil das nach wie vor zu 99,9% nur kleine, erbärmliche Maulhelden sind. Und noch mal ein signifikanter Prozentsatz der Verlautbarungen einfach Trollposts darstellen – als zynisch-humoristisches Experiment. Oder als Rebellion gegen Political Corectness und Wokistan. Aber der Reflex ist ja so herrlich voraussehbar: In den Social Media ist ja alles ab 7 Posts ein „Shitstorm“ oder ein Trend oder eine Bedrohung.
Damit kommen wir jetzt mal zu der Einordnung, oder zumindest zu meiner ganz spontanen, ganz subjektiven Einordnung. Wenn ich die Bilder, die Videos und die Interviews von Frau Kellermayr sehe – dann muss ich einfach ganz spontan sagen: Das ist, das war eine labile Persönlichkeit. Die sich massiv exponiert hat – und eben auch mit öffentlichen Stellungnahmen oder Positionierungen, die nicht z.B. wissenschaftlich neutral waren, sondern eben konfrontativ. Hashtag #covidioten ist konfrontativ. Das kann jeder und jede gerne posten, der/die meint, in der Corona-Diskussion die totale Checkung zu haben. Aber muss sich dabei klarmachen – das kommt konfrontativ an und wird ggf. entsprechende Gegenreaktionen auslösen.
Ich will hier nicht die Opfer-Täter-Relation verschieben – eine diffuse Menschengruppe als „Covidioten“ zu bezeichnen, ist eine Sache. Ein Abschlachtungs-Szenario anzudrohen, ist eine andere Sache. Natürlich sollte alles getan werden, um das Drecksschwein mit dem Pseudonym „Claas, der Killer“ zu identifizieren und in den Knast zu schicken. Aber ganz klar – weder der Internet-Hater noch die unglücklich operierende österreichische Polizei haben jetzt eine zwangsläufige direkte Verantwortung für den Suizid von Frau Kellermayr. Ausschlaggebend war halt ihre eigene Wahrnehmung – und da ist natürlich extrem tragisch, dass hier auch die Gespräche mit der Presse und mit Psychologen nicht helfen konnten.
Die Sache ist einfach nur: Mit einem wie auch immer konfrontativ zu interpretierenden Posting in den Social Media aktiviere, wecke ich Psychopathen, mit denen ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Oder gar nicht mal Psychopathen, sondern einfach nur ganz normale Leute – die aber leider die ganze Welt und Corona oder sonst was völlig anders sehen als ich. Das könnte mir normalerweise völlig egal sein, das würde ich normalerweise nie mitbekommen, das ist ja eigentlich auch völlig irrelevant – weil diese Typen kenne ich ja gar nicht und die will ich auch möglicherweise gar nicht kennenlernen.
Das ulkige ist ja nur – auch die Likes und Retweets von irgendwelchen Leuten, die ich gar nicht kenne und von denen ich gar nicht weiß, wie die ticken – die sind eigentlich auch völlig irrelevant, die könnten mir völlig egal sein, die würde ich normalerweise nie mitbekommen. Die will ich – bzw. eben ein(e) Social-Media-NutzerIn nur halt sehen. Aber eigentlich nur aus reiner, beknackter Eitelkeit. 7 Likes und ich bin wichtig und der King. Oder 10.000 Likes für meine Meinung oder meine Fotos und ich verdiene Kohle damit. Die Kehrseite: Wenn ich Likes suche, finde ich auch Hates.
Das absurde ist ja: Es ist eigentlich nicht relevant, was ein Typ aus irgendeinem hintersten Kaff in den USA darüber denkt, ob ein Mädchen aus Deutschland hübsch ist oder nicht. Es ist eigentlich auch nicht relevant, was ein geifernder Berliner Rechtsradikaler über eine österreichische Ärztin denkt. Und jetzt, mit unseren wunderhübschen „Social Media“ wird das alles plötzlich relevant. Und toxisch. Und im Extremfall tödlich. Das muss man sich echt mal ganz drastisch klarmachen. Und de-toxen. Sich ausklinken. Die normale Welt und die Beziehungen zu den normalen, analogen Menschen um einen herum sind eh schon kompliziert genug. Und spannend genug, wenn man sich darauf einlässt.