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Menschenaffen können irrtümliches Handeln vorhersehen

Wenn man mit Kleinkindern den Test macht, ob sie bereits über eine “Theory of Mind” verfügen, bei anderen Personen also abstrakte Handlungsmotive wie Gefühle, Meinungen oder auch falsche Annahmen vorhersehen können, dann geht das relativ einfach – die Sprache hilft. Das klassische Experiment geht ungefähr so: Das Kind bekommt eine Keksdose gezeigt und wird gefragt, was wohl darin sei. Kekse, ist die Antwort. Beim Öffnen stellt sich heraus: Es sind aber Buntstifte darin. Die Dose wird wieder verschlossen. Eine neue Person kommt hinzu. Und das Kind wird gefragt, was diese Person wohl in der Dose erwartet.

Schon bei den Experimenten mit Kleinkindern hatte sich herausgestellt, dass das ausdrückliche sich entscheiden oder Auskunft geben müssen zu Unsicherheiten und Blockaden führt und zu einem vermeintlichen Scheitern in der Abstraktionsleistung. Wie dann aber Versuche mit einem Verfolgen der Blickrichtung, dem Eyetracking zeigten, waren auch sehr junge Kinder in Wirklichkeit doch schon auf der richtigen Spur. Bei entsprechenden Experimenten mit Tieren können diese leider nicht Auskunft darüber geben, was sie denken – das Studiendesign ist also extrem schwierig.

https://www.youtube.com/watch?v=kgYNSin3Sfc&list=PLKKVefLuYgZ8tTMu2Zp7shJ5haWWjf3GO&index=20

Das große Problem ist nämlich: Ist ein Verhalten, das einen erfolgreichen Wechsel der Perspektive, einen schlauen, abstrahierten Blick durch die Augen eines anderen suggeriert, nicht in Wirklichkeit ein relativ simples, erlerntes Ursache-Wirkung-Verhalten? Es ist zum Beispiel schon lange bekannt, dass Rabenvögel registrieren, ob sie beim Verstecken von Nahrung beobachtet werden. Und dass sie dann entweder ein neues Versteck suchen oder zumindest die Mitwisser gezielt im kritischen Areal attackieren. Aber ist das schon ein Beweis für den Perspektivwechsel im Sinne der “Theory of Mind”? Die Vögel könnten ja einfach ganz allgemein folgern: Wenn ich beobachtet werde, ist das schlecht, weil erfahrungsgemäß hinterher oft das Futter weg ist.

Im Februar 2016 konzipierte Thomas Bugnyar von der Uni Wien ein Experiment mit Kolkraben (die auf einem mit Primaten ebenbürtigen Intelligenzniveau sein dürften), in dem eine weitere Abstraktionshürde dazwischengeschaltet wurde: Die Raben registrierten bei ihren Versteck-Aktivitäten ein entweder offenes oder geschlossenes Guckloch, hinter dem sich akustischen Eindrücken zufolge neugierige Artgenossen befanden. Und mussten also die Transferleistung erbringen: Ich kann durch so ein Loch Dinge erspähen, also können es andere Raben wohl auch.

Die Versuche von Christopher Krupenye und Fumihiro Kano greifen den Eyetracking-Ansatz aus dem Kleinkind-Experiment auf. Die alternative Erklärungshypothese – die Affen folgen einem früher erlernten Verhalten – können sie trotz ihres auf den ersten Blick überzeugenden Experiment-Designs nicht völlig ausschließen. Sie halten diese für “nicht unmöglich, aber doch für unwahrscheinlich.”

Fumihiro Kano gibt dazu zwei Begründungen:

There is a so-called blindfold experiment for human infants, basically replicating the original eye-tracking False-Believe (FB) task, but with one change. The actor wore a blindfold instead of looking away when the object was relocated. There are two conditions; in one condition infants experienced that the blindfold was opaque. In another condition infants experienced that the blindfold was transparent. In the former condition (actor has FB), infants anticipated the actor’s reach based on FB. In the latter (actor does know what happened when wearing blindfold), infants were confused and made no prediction. This is a strong evidence that “the last location that actor saw” isn’t a explanation at least for human infants.

Recently, a similar evidence came from ape studies. It’s not an eye-tracking but a behavioral task in a food competition.

Another reason is that we intentionally used novel situations that apes have never seen. “King Kong” was novel. The social conflict with KK and Actor was novel. Then it is unlikely that apes have learnt the individual rules that can be used to predict the human actor’s behavior because apes have never seen such scenarios before.

https://www.youtube.com/watch?v=qUkk0hSrT2Q&index=19&list=PLKKVefLuYgZ8tTMu2Zp7shJ5haWWjf3GO

Die Forscher wollen versuchen, ihre Ergebnisse durch weitere Experimente mit modifizierter Aufgabenstellung für die Affen zu belegen. Was die Sache natürlich noch einmal komplizierter macht: Selbst bei Menschen scheint der Perspektivwechsel und die “Theory of Mind” ja gar keine klar definierbare objektive Erkenntnisfähigkeit zu sein, sondern von sozialen und kulturellen Faktoren abzuhängen. Anscheinend ist es so, dass bestimmte Lebensumstände (etwa auch der permanente Druck durch diebische Artgenossen bei Rabenvögeln…) bestimmte geistige Leistungen befördern. Und wem es sehr bequem und ohne großen Aufwand einfach nur gut geht, der ist offenbar tendenziell nicht am allerhellsten im Kopf 🙂 …

Biologie – Menschenaffen können irrtümliches Handeln vorhersehen

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 07.10.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

Bilderkennung einmal anders: KI liefert den passenden Sound

Ein Schritt auf einem Dielenboden klingt anders als einer auf Sand; wenn Holz auf Holz trifft, dann hört sich das anders an als bei Metall. US-Forscher haben einem Computerprogramm nun beigebracht,  wie physikalische Aktionen und Geräusche zusammenhängen, es liefert zu einer stummen Filmszene automatisch den passenden Sound.

Computerprogramme – Ein Algorithmus für realistische Filmgeräusche

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 29.08.2016 (Moderation: Lennart Pyritz)

Entenküken lassen sich auf abstrakte Konzepte prägen

Abstrakte Konzepte erfassen können – das gilt gemeinhin als Voraussetzung und im Umkehrschluss auch als Zeichen für Intelligenz. Im Tierreich hat man die Fähigkeit vor allem bei solchen Spezies erforscht und gefunden, die ohnehin im Verdacht standen, etwas mehr auf dem Kasten zu haben: bei Menschenaffen, Delphinen oder Elefanten, auch bei Rabenvögeln. Aber dass frisch geschlüpfte Entenküken schon mit abstrakten Kategorien wie „Gleich“ oder „Verschieden“ umgehen können, das hätte man vielleicht eher nicht vermutet. Die kleinen Federknäuel sind schlauer als gedacht, so steht das jedenfalls in der Presseankündigung für die aktuelle Ausgabe von „Science“.

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

Das Experiment von Antone Martinho III und Alex Kacelnik von der Universität Oxford ist bestechend einfach – so einfach, dass sich die Frage aufdrängt, warum es bislang noch niemand versucht hat. Die Antwort von Antone Martinho:

Maybe that is the bias you come in with thinking imprinting which is happening in baby birds must not be very complicated, must not be very sophisticated. So I think we maybe have been guilty as anybody else of these biases, and if other people think that way it may be they like us they thought “oh, it’s impossible”, no one would ever do that. And I think this is a very surprising result, even I now think there a good biological reasons why the result is what we found it still surprises me and it still surprise most people who hear it.

Das liegt vielleicht an der Tendenz, mit der man an das Phänomen “Prägung” herangeht; das passiert bei Baby-Vögeln und kann ja dann wohl nicht sehr kompliziert sein. Diese Vorurteile haben wir wahrscheinlich genauso gehabt wie alle anderen, und so haben alle anderen wir wir gedacht “das ist unmöglich” – und so hat es niemand ausprobiert. Ich denke, es ist ein sehr überraschendes Resultat, und obwohl ich mittlerweile denke, dass es sehr gute biologische Gründe für das gibt, was wir herausgefunden haben – es überrascht mich immer noch und eben auch die meisten Leute, die davon hören.

Und die zweite Frage, die sich aufdrängt – was sagt das Experiment bzw. sein Ergebnis eigentlich wirklich aus? Sind die Enten wirklich “schlauer als gedacht” – auf welcher Ebene findet denn eigentlich die Abstraktion statt? Antone Martinho ist sich da sehr sicher: “jenseits der rein physischen oder visuellen Ebene”. Aber die Enten hatten ja nur mit einem visuellen Stimulans zu tun, das sie möglicherweise – die Idee hatte etwa auch Prof. Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie – gar nicht als Objektpaar, sondern als ein Objekt wahrgenommen haben, und zwar eben als ein symmetrisches oder assymmetrisches Objekt.

Wie komplex oder vielleicht auch wie relativ simpel sind denn die neuronalen Mechanismen, die die Grundlage für die “Abstraktionsfähigkeit” der Entenküken bilden? Könnte man eine ähnliche Leistung nicht auch relativ unaufwendig mit einem künstlichen neuronalen Netz nachvollziehen? Ist das Ganze nicht vielleicht doch eine relativ unspektuläre Verarbeitung von Sinneseindrücken? Ganz trivial wären entsprechende Generalisierungen auch für ein Computermodell nicht, sagt Philipp Berens, auf Perzeption und neuronale Verarbeitung spezialisierter Forscher an der Universität Tübingen. Erst in den letzten Jahren hätten die Fortschritte in der Computertechnologie vergleichbare Leistungen künstlicher neuronaler Netze möglich gemacht.

Und möglicherweise, so sein Hinweis, kommen bei der Bewertung von Experimenten wie dem der Oxforder Wissenschaftler auch unterschiedliche semantische Konzepte mit ins Spiel: Kognitionsforscher würden bei der Erklärung von Experimenten wie dem von Antone Martinho von “Abstraktion”, “Konzepten” oder abstrakten “Kategorien” sprechen; Neurophysiologen oder Spezialisten für künstliche neuronale Netze eher bei der schlichten Feststellung bleiben – was kann das künstliche oder natürliche Netz denn eigentlich erkennen oder kategorisieren (bzw. “generalisieren”) und was nicht?

Aber vielleicht geht es gar nicht um die Frage, wie schlau oder nicht schlau die Entenküken nun wirklich sind – wahrscheinlich beruhen eben auch vermeintlich exklusive menschliche Geistesleistungen letztlich auf ganz elementaren, kognitiv nützlichen Grundlagen.

Intelligenz – Entenküken ziehen abstrakte Schlüsse

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 15.07.2016 (Moderation: Ralf Krauter)

Terrorprognose mit Social Media – origineller Ansatz, vage Resultate

Was sich in den vermeintlich virtuellen Welten von Facebook, Twitter, dem chinesischen Baidu oder dem russischen Vkontakte abspielt, das spiegelt die Interessen, Überzeugungen und Stimmungen von realen Menschen wider. Es kann aber auch Entscheidungen und Handlungen von realen Menschen verändern, verstärken oder überhaupt erst auslösen – vom Kauf eines Produkts, der Wahl eines Politikers bis hin zur Ausführung eines Terroranschlags. Und dementsprechend interessieren sich nicht nur Werbeindustrie, Versicherer und Finanzwelt brennend dafür, wie solche dynamischen Prozesse in den Social Networks funktionieren, sondern auch Regierungen, Sicherheitsbehörden und Geheimdienste.

Nach der Untersuchung zur besonderen Rolle von Frauen bei IS-Aktivitäten im Netz legt das selbe Wissenschaftlerteam In der aktuellen Ausgabe von Science eine zweite Studie vor, die ebenfalls auf der Beobachtung von islamistischen Unterstützergruppen auf VKontakte beruht. Sie baut zum Teil auf einer früheren Arbeit aus dem Jahr 2013 auf, die bezeichnenderweise im Rahmen des IARPA-Programms des US-amerikanischen Geheimdienstkoordinators initiiert und gefördert wurde. In der Projektausschreibung wird deutlich, welche Informationen bzw. Prognosen die US-Dienste (und nicht nur die…) gerne aus Social-Media-Quellen herausdestillieren würden, nämlich zu:

  • Unruhen (aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen, gewaltsam oder nicht)
  • Wahlen und Referenden (bzw. deren wahrscheinlicher Ausgang)
  • Epidemien oder Pandemien (Grippe, Cholera, Gelbfieber etc.)
  • Wirtschaftsereignisse von großer Relevanz (Aktienmarkt- oder Währungseinbrüche)

Tatsächlich eignet sich das aus der Physik bzw. Chemie entlehnte mathematische Modell der “Phasenübergänge” offenbar ganz gut zur Beschreibung der Social-Media-Aktivitäten von regierungskritischen Bürgergruppen in mehreren südamerikanischen Staaten bzw. dann auch zur zeitlich treffenden Prognose von Massenprotesten. Die liegen in einem solchen politischen Szenario aber auch logischerweise “in der Luft” und können als erwartbares und weitgehend legitimes Ausdrucksmittel einer Zivilgesellschaft gesehen werden.

Die Presseankündigung zu der Science-Veröffentlichung (und vielleicht auch die Äußerungen des Hauptautors) versprechen nun allerdings mit dem Fokus auf islamistischen Extremismus mehr, als das mathematische Modell halten kann – von der Möglichkeit, “größere gewaltsame Ereignisse” aus IS-Social-Media-Aktivitäten heraus vorherzusagen war da die Rede. Da denkt man natürlich an Terroranschläge und konkrete Warnsignale, de facto hat das mathematische Modell aber im Untersuchungszeitraum nur ein einziges signifikantes bzw. zuordenbares Signal geliefert. Es passt zeitlich auf die IS-Offensive auf Kobane 2014 – die Forscher hätten aber weder den Ort noch die Art des Ereignisses “liefern” können.

Das wird Interessenten beim Geheimdienst nicht gerade aus ihren Sesseln fegen, und auch das Editoren-Team bei Science wünschte sich da wohl noch etwas mehr “Butter bei die Fische”, wie Koautor Stefan Wuchty mit charmanter Offenheit verrät:

Die haben gemeint; das ist ja alles recht gut und schön, aber was heißt das jetzt?

Und so bringen die Wissenschaftler noch eine zweite naturwissenschaftliche Analogie mit ins Spiel bzw. in ihr Modell – das gruppendynamische Verhalten der IS-Unterstützer unter Verfolgungsdruck (von Plattformbetreibern, Hackern und Geheimdiensten) trägt Züge einer Jäger-Beute-Balance und der dabei auftretenden Kosten-Nutzen-Erwägungen. Herauskommt eine zweite Empfehlung für nachhaltigere Anti-IS-Aktionen im Netz (neben der aus dem anderen Paper, bei den Frauen anzusetzen…): Besser die kleinen Gruppen attackieren, als die großen – auch hier bleibt der praktische Wert reichlich vage.

Internet – Terrorprognose mit Socia Media

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 17.06.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

Computerspieler optimieren Quantenphysik-Modellierung

In letzter Zeit sah es ja etwas schlecht aus für “Homo sapiens” im epischen Duell “Mensch gegen Maschine” – da bringt ein Artikel in der jüngsten Ausgabe von “Nature” wieder reichlich Labsal auf unser angeknackstes Selbstvertrauen: Menschliche Computerspieler schneiden bei einem komplizierten Problem aus der Quantenphysik besser ab als ausgefeilte Algorithmen in Hochleistungsrechnern. Und das, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung von verschränkten Teilchen, Tunneleffekten und Nicht-Lokalitäten zu haben.

“Quantum Moves“ gibt es in einer Windows- und einer MacOsX-Version, kostenlos herunterzuladen auf der Webseite www.scienceathome.org – aber besser spielt man das Spiel auf einem Android- oder Apple-Tablet. Denn um die schwappende Flüssigkeit in einem beweglichen Wellental schnell und sicher in den Zielbereich zu transportieren, braucht man ein ruhiges Händchen. Das scheinbar schlichte Geschicklichkeitsspiel ist in Wirklichkeit eine sehr realistisch nachgebildete Physik-Modellierung, wenn auch um den Faktor 30.000 zeitlich verlangsamt.

Screenshot aus dem Computerspiel "Quantum Moves"

Screenshot aus dem Computerspiel “Quantum Moves”

Ob nicht schon in Kürze neuronale Netze a la Alpha Go unsere intuitiv ausgeführten und trotzdem offenbar ziemlich performanten “Pi-mal-Daumen” (bzw. hier Pi-mal-Zeigefinger…) – Operationen nachahmen und wiederum optimieren können, das ist noch eine andere Frage. 🙂

Quantenzocker – Computerspieler optimieren Quantenphysik-Modellierung

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 14.04.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

AlphaGo gewinnt erste Partie gegen Lee Sedol

Eigentlich hatte Lee Sedol ja die schwarzen Steine in seiner ersten Matchpartie gegen das Computerprogramm AlphaGo – als er dann irgendwann um 8 Uhr 35 deutscher Zeit einen weißen Stein ergriff und auf dem Brett postierte, da blieb den Kommentatoren bei der Live-Übertragung auf YouTube erst mal die Spucke weg. “Ich glaube, er hat gerade die Partie aufgegeben” fiel dann bei Michael Redmond, immerhin der beste westliche Go-Spieler und wie Lee Sedol ein 9-dan-Großmeister, der Groschen. Redmond hatte nämlich in der Endspielphase auch schon immer wieder ansatzweise überschlagen, wer in der Partie eigentlich das größere Gebiet erobert hatte, aber dabei noch kein endgültiges Ungleichgewicht gesehen. Lee selbst wusste es besser.

 

Das Partieende wie aus heiterem Himmel – jedenfalls für die Beobachter in dieser Übertragung; andere Kommentatoren hatten den Braten schon früher gerochen – macht deutlich, wie extrem schwierig beim Go die Stellungsbewertung ist. Und genau das war auch bislang das Hauptproblem für Computerprogramme, die letzte Bastion des Denksports im Kampf Mensch gegen Maschine zu schleifen – beim Schach war der Drops bekanntlich schon länger gelutscht.

Offenbar hat AlphaGo seit dem Match im Oktober gegen den mehrfachen Europameister Fan Hui dazugelernt (Fan Hui, der ja 0-5 unter die Räder gekommen war, ist übrigens jetzt einer der Schiedsrichter und verspürt vielleicht eine ganz kleine Genugtuung, dass AlphaGo nun jemand anders quält. Vielleicht drückt er aber auch Lee Sedol in menschlicher Empathie ganz fest die Daumen…) – das “Dazulernen” kann man wörtlich nehmen, denn die neuronalen Netze von AlphaGo trainieren sich selbstständig weiter, mit Millionen von gegen sich selbst gespielten Partien, ohne dass ihnen die Programmierer vorgeben müssen, was gut oder was schlecht ist.

Es ist sogar genau anders herum – im Grunde wissen selbst die Macher von AlphaGo bei Googles (bzw. Alphabets…) Tochterfirma “Deep Mind” nicht ganz im Detail, was sich eigentlich in der “Black Box” zwischen der Eingabe- und Ausgabeschicht der neuronalen Netze entwickelt hat. Möglicherweise hat AlphaGo Erkenntnisse über das Go-Spiel herausdestilliert, auf die noch nie ein menschlicher Spieler gekommen ist, die möglicherweise auch aus menschlicher Sicht absurd erscheinen mögen – die aber offensichtlich funktionieren. Und das ist ein weiterer Grund, warum der Kampf für Lee Sedol nun wahrscheinlich noch schwieriger wird, als seinerzeit bei den Mensch-Maschine-Matches beim Schach: Er kann nur sehen, was AlphaGo spielt, aber nicht, warum – damit entfällt die Chance, konzeptbedingte Schwächen zu identifizieren und gegebenenfalls gezielt auszunutzen.

Das heißt noch nicht, dass AlphaGo oder das algorithmische Konzept im menschlichen Sinne “intelligent” ist. Würde man ein neuronales Netzwerk mit Daten über Börsenkurse und Minirocklängen trainieren, dann käme mit ziemlicher Sicherheit eine Korrelation und ein Prognosemodell heraus. Vielleicht sogar eins, das besser funktioniert als Analysten-Analysen. Fehlende Kausalitäten, sprich Bullshit, können Menschen immer noch besser diagnostizieren als Maschinen. Aber es wird garantiert immer schwieriger, die Ergebnisse von “künstlicher Intelligenz” von denen menschlicher auseinanderzuhalten – das klassische Turing-Test-Szenario.

Irgendwann spielt es also keine Rolle mehr, ob die Algorithmen intelligent sind. Oder nur sehr perfektioniert so tun, als ob. 🙂

Maschine übernimmt letzte Bastion der Menschen · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 09.03.2016 (Moderation: Till Haase)

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 09.03.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

Nachtrag zu: “Ist Michael Gessat als Journalist noch haltbar?”

Inzwischen hatte ich einen Mailwechsel mit Dr. Sebastian Lüning, der sich als Autor des Artikels bei kaltesonne.de herausgestellt hat. Wir sind nach wie vor nicht einer Meinung, ob aus meinem DLF-Beitrag oder der (wie gesagt von mir gar nicht zu verantwortenden…) Anmoderation in der Sendung “Forschung aktuell” vom 27. Januar die auf kaltesonne.de behaupteten Dinge wie “Ehrverletzung”, “Rufmord”, “perfide Strategie” oder “Mobbing” sachlicher- oder redlicherweise ableitbar sind. Ich halte diese Idee weiterhin, übrigens auch was die Rolle des Moderators oder des Senders angeht, für einigermaßen absurd.

Immerhin hat Herr Dr. Lüning jetzt meinen Namen aus dem Artikel und der Überschrift entfernt (die URL ist allerdings unverändert und stellt nach wie vor die Gretchenfrage ins Netz 🙂 … – Nachklapp: die URL ist jetzt auch geändert 🙂 🙂 ); auch die von mir kritisierte (und schlichtweg eine unrichtige Tatsachenbehauptung darstellende…) Passage mit der angeblich im Vergleich zur Audiofassung entschärften Schriftversion ist entfallen. Durch die Kürzung wird der Artikel allerdings nicht unbedingt nachvollziehbarer – jetzt steht ein Satz wie

In der Audio-Radioversion langt der DLF-Autor kräftig hin.

ein wenig verloren im ewigen Hyper-Raum; ein interessierter Nach-Hörer wird da vergeblich rätseln, wo die versprochene Deftigkeit eigentlich zu finden ist … 🙂

Ich nehme die Änderung trotzdem einmal als Zeichen des guten Willens von Herrn Dr. Lüning. Um das auch noch einmal umgekehrt klarzustellen: Herr Prof. Vahrenholt und Herr Dr. Lüning vertreten offensichtlich eine Minderheitenposition in der Klimadiskussion. Als Journalist würde ich die Tatsache, dass ihre Thesen von den führenden Vertretern der wissenschaftlichen Forschung nicht geteilt bzw. für falsch gehalten werden, als “warnendes” Indiz auffassen. Ich würde aber andererseits nicht auf die Idee kommen, sachlich begründete Argumente oder Thesen oder Minderheitenpositionen von vornherein als absurd oder “verschwörungstheoretischen” Unsinn abzutun.

Wohlgemerkt: Sachliche Argumente. Wer polemisiert, sägt sich selbst den Ast des Ernstgenommenwerdens ab und muss sein Dasein in den vordergründig populären, aber letztlich unfruchtbaren Niederungen und Nischen des Internet-Anti-Mainstreams fristen 🙂 …

Ich habe das auch Herrn Dr. Lüning geschrieben: Es ist unwahrscheinlich, dass ich selbst in die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten in der Klimadiskussion oder vielmehr in die Berichterstattung über sie einsteigen werde, so interessant die Sache auch ist. Und zwar schlicht, weil hier eine gewaltige Einarbeitung und Recherche notwendig wäre – und weil dem Zeitaufwand dafür eine entsprechende finanzielle Kompensation entgegenstehen müsste – ich verfüge ja weder über eine Festanstellung noch über einen Vorstandsposten…

Ich stehe aber natürlich als selbstständiger freier Mitarbeiter gerne für neue Aufgaben und thematische Herausforderungen zur Verfügung. Für einen ersten, aber schon ganz ordentlich fundierten Faktencheck einer Minderheitenposition in einer wissenschaftlichen Frage würde ich erst einmal eine Woche Arbeitszeit veranschlagen, also 5 (oder besser 7…) Tage a 390,- zzgl. Umsatzsteuer.  Selbstverständlich ohne Voreingenommenheit und mit der Gelegenheit zur Diskussion und Modifikation der Befunde. 🙂

Klima-Realisten besorgt: Ist Michael Gessat als Journalist noch haltbar?

(einmal ausnahmsweise der Nachklapp zu Beginn: Inzwischen hat kaltesonne.de den zur Diskussion stehenden Artikel “entschärft” …)

Ist Michael Gessat als Journalist noch haltbar? Das ist nun endlich einmal eine wirklich bedeutende Frage (nicht zuletzt aus pekuniären Gründen wohl am allermeisten für mich selbst…), die da heute auf der (mir bislang unbekannten…) Seite kaltesonne.de aufgeworfen wird.

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt und/oder Dr. Sebastian Lüning (die Herren zeichnen jedenfalls laut Impressum verantwortlich, wenn auch ohne eigene Anschrift und Kontaktdaten; die angegebene Verlagsadresse dürfte kaum hinreichend sein… 😉 ) hegen hier offenbar erhebliche Zweifel, denn sie prangern rund um meinen Beitrag „Mathematisches Risikomodell – Zu viele Mitwisser verderben die Verschwörung“ vom 27. Januar ein „Ehrverletzendes Klimaskeptiker-Mobbing im Deutschlandfunk“ an.

Zum Glück bin ich im skizzierten Szenario nicht der einzige Bösewicht, denn auch der Sender steckt nach Ansicht der Artikelverfasser bis zu den Ellenbogen (die der Onlineredakteure nämlich oder vielleicht noch höherer Chargen…) mit drin in einer „Rufmord-Kampagne“:

Hochinteressant: Die Schriftversion des Beitrags wurde offenbar kräftig entschärft. Hier tauchen die Klimaskeptiker nur unter ferner liefen auf. In der Audio-Radioversion hingegen langt Autor Michael Gessat kräftig hin. Die bösartige Verknüpfung von Anti-Mondlandungs-Fantasten und Klima-Realisten beginnt bereits bei der Anmoderation der Gesamtsendung, wird abermals ab 5:48 Laufzeit vertieft und schliesslich noch ein drittes Mal gegen Ende des Beitrags. Somit ist die vom DLF gesendete akustische Propaganda gegen Klima-Realisten weitaus schärfer, als nur die schriftliche Fassung des Beitrags.

Eine wirklich „hochinteressante“ These von Prof. Dr. Fritz Vahrenholt und/oder Dr. Sebastian Lüning – die aber bedauerlicherweise komplett zusammenphantasiert ist. Die Schriftversion meines Beitrages ist in diesem Fall absolut identisch mit der „Audio-Radioversion“ – mein Beitrag ist nämlich das, was ich ja auch im Sendungsmitschnitt bzw. Einzel-Audiofile mit meiner Stimme von mir gebe. Das andere nennt sich „Moderation“ und wird vom Moderator der Sendung geschrieben, gesprochen (mit einer anderen Stimme, in diesem Falle die von meinem geschätzten Kollegen Ralf Krauter 🙂 ) und auch redaktionell verantwortet.
Auf der DLF-Website schriftlich dokumentiert wird hingegen nur der reine Beitragstext (manchmal sogar eher umgekehrt in einer längeren Version, wenn nämlich der Audiobeitrag für die Sendung aus Längengründen gekürzt werden musste…) – und das ist selbstverständlich nicht nur bei diesem Beitrag, sondern durchweg der Fall; an sich sehr leicht feststellbar. Und um ganz genau zu sein: Die Überschrift und der „Teaser“ des Onlineartikels werden von der Online-Redaktion verfasst und verantwortet, auch wenn hier meist Elemente der Beitragsmoderation verwendet werden. Aber mal ein Zwischen-Fazit hier: Da wurde überhaupt nichts entschärft, und ich habe auch im Audio nicht „hingegen“ kräftig (oder kräftiger…) hingelangt.

Was mich ja bei gewissen Radio-Hörern, und darunter sogar studierten Herren, immer wieder von neuem erstaunt: Dass sie offenbar einen Bericht über ein Thema nicht von einer Meinungsäußerung zu einem Thema unterscheiden können. Dass sie also wie selbstverständlich annehmen, ich als Journalist würde mir jeweils das Anliegen oder die Theorie oder die wissenschaftliche Forschung eines Studienautors zu eigen machen. Das ist aber natürlich nicht der Fall. Selbstverständlich hat ein Radiobeitrag über ein bestimmtes Thema möglicherweise einen gewissen „werbenden“ Effekt in dem Sinne, als er dem Thema oder seinem Protagonisten ein Sprachrohr verschafft. Und deswegen ist bei einem seriösen Sender wie dem DLF insofern ein journalistischer Filter vorgeschaltet, als völlig absurder Quatsch eher nicht so zur Sprache kommt 🙂 . Und bei kontroversen Themen, gerade auch im Wissenschaftsbereich, wird im Zweifelsfall eine Zweitmeinung oder Gegenstimme im Beitrag erscheinen.

Auch beim zur Diskussion stehenden Beitrag habe ich also wieder mal keine eigene Agenda verfolgt, schon gar keine breit orchestrierte „Klimaskeptiker-Mobbing“-Agenda. Klimaforschung und die Diskussionen rund um die Klimaerwärmung sind überhaupt nicht mein Thema – da gibt es andere fachkundige Kollegen & Kolleginnen 🙂 . Thema des Beitrages war ein mathematisches Modell zur Haltbarkeit von Verschwörungen, und im PLOS-One-Paper und im Interview hat der Studienautor David Robert Grimes nun einmal die „Klimawandellüge“ als ein Beispiel einer wissenschaftsskeptischen Verschwörungstheorie beleuchtet. (Einmal in meiner Definition aus meinem Beitrag bei DRadio Wissen: Die Klimawandel-Lüge ist ja die sehr beliebte Verschwörungstheorie, der zufolge der Klimawandel nicht existiert, sondern von Wissenschaftlern nur vorgetäuscht wird. Und zwar schlicht und ergreifend, um sich damit ihre Forschungsgelder und ihre Einkommen zu sichern.)

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt und Dr. Sebastian Lüning bezeichnen sich selbst als „Klima-Realisten“ (aber fühlen sich offenbar auch als “Klimaskeptiker” zutreffend bezeichnet bzw. ehrverletzt…). Ich muss gestehen, dass mir dieser Begriff bislang nicht geläufig war; wie gesagt gehört die ganze Sache nicht zu meinen Themengebieten. Und nun führen die Herren aus:

Das Perfide an der ehrverletzenden DLF-Vorgehensweise ist, dass es kaum ernstzunehmende Klimarealisten gibt (es gibt also möglicherweise auch nicht ernstzunehmende, Anmerkung von mir 🙂 ), die am Klimawandel selbst zweifeln oder auf die absurde Idee kämen, dass der momentane Klima-Hype eine Verschwörung wäre.

Dann ist doch alles bestens, jedenfalls in Bezug auf die „Klima-Realisten“. Denn in der Studie, im Beitrag und in der Moderation war doch von jenen Leuten die Rede, die an die Klimawandel-Lüge als eine Verschwörung glauben. Und die gibt es zweifellos. Wie sich jetzt die Herren Prof. Dr. Fritz Vahrenholt und Dr. Sebastian Lüning, offenbar stellvertretend für die gesamte „Klima-Realisten“- und Klima-Skeptiker-Community, „ehrverletzend“ angegriffen und „gemobbt“ und gerufmordet fühlen können, ohne überhaupt erwähnt worden zu sein, das ist mir ein Rätsel. Vielleicht melden sich nächstens auch noch irgendwelche Kritiker der bemannten Raumfahrt als “Mondlandelüge-gemobbt und ehrverletzt” bei mir?

Um hier zum Schluss mal eine kleine Analogie anzubringen: Wenn ein Hund erst verzweifelt nach einem Stöckchen sucht, über das er anschließend unbeholfen hinüberhopsen kann,  um endlich eine angeblich verstauchte Pfote reklamieren zu können – dann handelt es sich insgesamt eher nicht um einen Fall von schwerer Tierquälerei.

Aus meiner Sicht bleibt die Frage nach der Haltbarkeit von Michael Gessat als Journalist also derzeit weiter unbeantwortet, jedenfalls was die Ausführungen auf kaltesonne.de betrifft.

Wenn ich mich umgekehrt frage, wie zwei gelehrte Herren denn quasi aus der hohlen Hand so eine Geschichte zusammenschustern können, die wenn überhaupt in meine Richtung ehrverletzend oder mobbend ist – dann fällt mir spontan eine Erklärung ein: Könnte da am Ende ein verschwörungstheoretisches Weltbild dahinterstecken, wo man sich halt passend macht, was eigentlich nicht passend ist? Ist jetzt nur so eine Idee, weil ich da mal kürzlich was drüber geschrieben habe.

AlphaGo greift nach der Krone im Denksport

Eine Vorankündigung “außer der Reihe” und zwei Schaltkonferenzen für die internationale Presse – einen solchen Aufwand betreibt das Fachblatt “Nature” nicht bei jedem Thema. Aber es ging ja auch schließlich um die Coverstory der aktuellen Ausgabe. Es handle sich um einen “Meilenstein in der Geschichte der KI”, so formulierte es der Chefredakteur in der Konferenzeinleitung – und danach hatten dann Demis Hassabis und David Silver das Wort. Die beiden arbeiten für “DeepMind” – eine Google-Tochterfirma (wobei der Mutterkonzern ja neuerdings “Alphabet” heißt; und sie und ihr Team hatten schon im letzten Jahr für Furore gesorgt: Mit einem Algorithmus nämlich, der virtuos Videospiele zocken kann.

Auch diesmal ging es wieder um ein Spiel, das aber für seine Anhänger weit mehr bedeutet: Zumindest in seiner Herkunftsregion China, Japan und Korea ist Go seit uralten Zeiten Ausdruck und Teil der Kultur – und außerdem ist es die letzte verbliebene Bastion im Kampf “Mensch gegen Maschine”. Während beim westlichen Schach schon seit Jahren auch die allerstärksten Spieler bis hin zum Weltmeister keine Chance mehr gegen die aktuellen Programme haben (auch wenn die auf popeliger Billig-Hardware laufen…), haben sich Algorithmen beim Go bislang immer noch äußerst schwer getan.

Und nun die Botschaft aus der Londoner DeepMind-Zentrale: Erstens habe man (bereits im Oktober) mit einem neuen Programm namens AlphaGo zum ersten Mal einen starken menschlichen Profispieler besiegt (der bedauernswerte mehrmalige Europameister Fan Hui kam mit 0-5 unter die Räder…) – und im März wolle man dann die südkoreanische Go-Legende Lee Sedol herausfordern.

(Credit: Nature Video)

Von der Spielstärke ihres Programms – es macht Konkurrenzprogramme, auch das neue aus dem Hause Facebook mit mit 99,8%er Gewinnrate nieder – war das Team anscheinend selbst etwas überrascht. Man habe auch keineswegs irgendwelche neuen Wunderdinge neu erfunden, sondern im Grunde schon vorhandene Komponenten – einen “Monte Carlo”-Suchalgorithmus und mehrere neuronale Netzwerke auf eine besonders effiziente Weise angeordnet und trainiert, so Demis Hassabis irgendwann im Verlauf der Pressekonferenz.

So symbolträchtig ein eventueller Sieg im nächsten Match auch sein würde – ob sich “AlphaGo” bzw. sein Konzept nun besonders gut auf andere Problemstellungen “in der richtigen Welt” übertragen lassen wird, das bleibt noch abzuwarten. Ein klares Sieg-oder Niederlage-Szenario ist hier eher selten. Möglicherweise sind also Dinge wie der Umgang mit unvollständiger Information oder das “One-Shot-Learning” noch wichtiger – und möglicherweise ist also der Baller-Algorithmus aus dem letzten Jahr “intelligenter” als AlphaGo.

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 28.01.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

Zu viele Mitwisser verderben die Verschwörung

Wie heißt es doch so schön? “Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.” Und so gibt es eben doch eine ganz beachtliche Zahl von Zeitgenossen, die die Welt mit ganz anderen Augen sehen, als das vom Mainstream als “normal” angesehen wird.

Nun ist ja eine gewisse Skepsis vielleicht gar nicht so schlecht, aber wer hinter jeder Ecke eine Verschwörung vermutet, lässt (jedenfalls rational betrachtet…) eines außer acht: Dass nicht nur ein paar Leutchen, sondern gleich zehntausende Menschen bei einem bestimmten Geheimnis dichthalten können, und das auch noch über einen längeren Zeitraum – das ist extrem unwahrscheinlich, wie jegliche Alltagserfahrung lehrt. Wie unwahrscheinlich, das hat jetzt der britische Krebsforscher und Wissenschaftsjournalist David Robert Grimes errechnet – mit einer Risikoformel für die Haltbarkeit bzw. das Auffliegen einer Verschwörung.

Trotz großzüger Annahmen bei der Berechnung der Anzahl möglicher Mitwisser, trotz statistischer Feinheiten wie der Berücksichtigung von natürlichen wie unnatürlichen Todesfällen bei den Verschwörern – bei einer Betrachtung der populärsten wissenschaftsskeptischen Verschwörungstheorien ist jedenfalls ganz klar: Das haut nicht hin; es sind einfach zu viele Leute involviert.

David Robert Grimes wäre kein guter Wissenschaftler, wenn er nicht selbst augenzwinkernd auf die methodischen Schwächen seines Risiko-Modells hinweisen würde: Eigentlich bräuchte man ja zur Kalibrierung nicht nur die Daten ein paar aufgedeckter Verschwörungen, sondern auch die ein paar nicht aufgedeckter. Da ist allerdings extrem schwierig dranzukommen. 🙂

Grimes ist relativ optimistisch, dass man mit guten Argumenten zumindest die Skeptiker überzeugen kann, deren Glauben an bestimmte Theorien eher zufällig als dogmatisch ist. Wobei es dabei ja ein nicht zu unterschätzendes Problem gibt: Im Internet und in Social Media breiten sich anscheinend Gerüchte und Verschwörungstheorien viel schneller und weitreichender aus als belegbare Fakten. Und möglicherweise ist eine hübsche Verschwörungstheorie ja einfach auch viel unterhaltsamer als die nüchterne Wahrheit.

Mathematisches Risikomodell – Zu viele Mitwisser verderben die Verschwörung

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 27.01.2016 (Moderation: Ralf Krauter)