„Die Hölle ist zugefroren“ – „ein großer Tag für das Internet“ – „ein Meilenstein für Musiknutzer“ – ausgerechnet am heutigen 1. November, an dem ja in weiten Teilen des Landes und auch in vielen Redaktionen Feiertagsruhe angesagt ist, kommt die Knallermeldung: YouTube und die GEMA haben ihren seit 2009 laufenden Rechtsstreit beigelegt, haben sich auf eine Vergütung, eine Lizensierung für urheberrechtlich geschützte Musik geeinigt. Und die berüchtigten roten Sperrtafeln „Leider ist dieses Video in Deutschland nicht verfügbar“ nerven uns nicht länger. Zumindest die, die auf das Kräftemessen zwischen dem Videoportal und der deutschen Verwertungsgesellschaft zurückgingen.
Die Einigung wird in praktisch allen ersten Reaktionen gutgeheißen, auch wenn man nun natürlich trefflich darüber spekulieren kann, welche Seite denn nachgegeben oder gar „gewonnen“ hat. Nach den bisherigen Informationen (die Vertragsparteien haben Stillschweigen über die genauen Konditionen vereinbart…) sieht es so aus, dass YouTube letztlich sein Bezahlkonzept durchsetzen konnte – laut der (eigentlich ebenfalls vertraulichen, aber natürlich im Netz auffindbaren) Mail der GEMA an die Mitglieder umfasst der Lizenzvertrag „eine prozentuale Beteiligung sowohl an den Werbeerlösen, als auch an den zukünftigen Abonnementerlösen, die YouTube mit der Nutzung urheberrechtlich geschützter Musikwerke erwirtschaftet.“ Damit auch bei weniger populären Titeln noch etwas Geld fließt, gibt es eine „Minimumgarantie“, außerdem zahlt YouTube einen vermutlich erheblichen Betrag für die „lizenzlosen“ Jahre ab 2009 nach.
Aber das Paket dürfte wohl deutlich unterhalb der „offiziellen“ GEMA-Tarife zustandegekommen sein, und ganz ausdrücklich bleibt YouTube auch bei seinem juristischen Standpunkt, es sei als Plattform eigentlich nicht zahlungspflichtig – im schier endlosen Marsch durch die Gerichte und Instanzen hatte die Google-Tochter ja zuletzt im Januar 2016 vor dem OLG München damit einen weiteren Punktsieg verbucht. Rechtssicherheit für andere Betreiber schafft der „Deal“ also nicht. Aber für YouTuber, die eigene Clips mit GEMA-Musik hochladen – vorausgesetzt, sie achten darauf, nicht eventuelle andere Leistungsschutz- oder Herstellerrechte zu verletzen. Und die GEMA-Mitglieder dürften sich auf die nächste Ausschüttung freuen, nachdem die Taube jetzt schon so lange auf dem Dach saß 🙂 …
Entsperrte Videos: FAQs zum Youtube-Gema-Deal · DRadio Wissen
DRadio Wissen – Redaktionskonferenz vom 01.11.2016 (Moderation: Sonja Meschkat)
Nachklapp 03.11.2016: Es gibt ja „formaljuristisch“ korrekte Erläuterungen, auch von Pressestellen. Und es gibt „formaljournalistisch“ korrekte Darstellungen von komplizierten Sachverhalten. Insofern könnte ich mich, glaube ich, noch einigermaßen gut aus der Affäre ziehen in Bezug auf meine Darstellung am 1.11. bei DRadio Wissen nach der Einigung zwischen GEMA und YouTube. Bei der für viele User ja höchst interessanten Frage, ob sich nach der Lizensierung nun irgendetwas verändert, wenn man einen eigenen Videoclip mit Musik untermalen will und dann hochladen – da habe ich ja die Einschränkung erwähnt, die mir auch die GEMA-Pressesprecherin so gesagt hat: Ja, das geht jetzt – wenn man die gegebenenfalls weiteren bestehenden Leistungsschutz-, Mitwirkenden- oder Herstellungsrechte beachtet bzw. abklärt.
In dem Fall ist alles paletti, habe ich gesagt – und hier habe ich aber zugegebenerweise die Gewichtung zwischen „irgendetwas geht ab jetzt“ und “ es bleiben aber noch Vorbehalte“ völlig falsch interpretiert. In Wirklichkeit ist nämlich überhaupt nichts paletti, weil in praktisch der völlig überwältigend überwiegenden Mehrzahl der Fälle diese „gegebenenfalls bestehenden“ weiteren Rechte so gravierend sind, dass sich für die allermeisten User durch die GEMA-YouTube-Einigung überhaupt nichts ändert. Die Sache ist nämlich nach wie vor ziemlich komplex bzw. desaströs: Erstens: Es gibt keine Einigung oder Lizensierung oder überhaupt Zuständigkeit zwischen YouTube und der Verwertungsgesellschaft der Mitwirkenden, der GVL – wie man das ja analog zu Rundfunksendern oder auch Webradios vermuten oder hoffen könnte.
Die GVL erteilt Lizenzen im Fall von linearen Sendungen (diese aus der analogen Zeit stammende Prämisse führt schon bei der Podcast-Bereitstellung von Rundfunksendern zu etwas abenteuerlichen juristischen Hilfs-Konstruktionen…) – ein „öffentlich zugänglich machen“ wie im Fall eines Hochladens auf YouTube ist aber schon eine andere, viel weitgehendere Hausnummer. Zweitens: Wer ein Video produziert und mit Musik unterlegen will, sendet nicht einfach mit irgendwie vielleicht lizensierten Komponenten, sondern bewegt sich im Bereich des „Erstverwendungsrechts“. Da kommt dann plötzlich so etwas wie das „Synchronisationsrecht“ ins Spiel – wenn z.B. eine Nazi-Gruppe ihren Werbespot mit dem Song einer Band unterlegen will, dann braucht sie deren Einverständnis – und das kann die Band auch verweigern – unabhängig von irgendwelchen finanziellen Aspekten.
Die Einigung zwischen YouTube und GEMA bzw. die Lizensierung führt eigentlich nur in ein paar Spezialfällen dazu, dass Uploads erleichtert bzw. legal werden: Bei alten, nach 70 Jahren abgelaufenen Mitwirkenden-Rechten. Bei Coverversionen von GEMA-Stücken – wobei ulkigerweise das Cover wirklich 1 zu 1 sein muss; ansonsten kommt wieder ein „Bearbeitungsrecht“ bzw. eine dementsprechende Genehmigungspflicht ins Spiel… Und eben bei Leuten, die alle kompletten „weiteren“ Rechte selbst haben – Judith Holofernes z.B. oder andere Bands oder Labels – die dürfen jetzt netterweise ihre selbst komponierten und gespielten und produzierten Stücke auch auf YouTube hochladen, ohne dass die gesperrt werden.
So etwas in der Art “ Vorsicht, es ändert sich eigentlich gar nichts, von ein paar Ausnahmefällen abgesehen“ würde ich eigentlich auch gerne kommuniziert bekommen, wenn ich als Journalist und juristischer Laie mit genau der Frage „was ändert sich für User-Uploads?“ an die Pressestelle der GEMA herantrete. Anscheinend ist aber den Pressevertretern der GEMA der unterschiedliche Auftrag zwischen sich selbst als Interpreten eines (zugegebenermaßen komplizierten…) Sachverhaltes und dem Justiziar der GEMA als Gralshüter der juristischen Exaktheit bzw. Spitzfindigkeit noch nicht ganz klar. Der Job der Pressestelle ist aber, nicht nur eine formaljuristisch korrekte Darstellung zu liefern, sondern eine allgemeinverständliche – die dann vielleicht auch schon naheliegende Missverständnisse nicht befördert, sondern proaktiv zu vermeiden sucht.
Aber natürlich habe ich da als Journalist auch meine Mitverantwortung, selbst auf naheliegende Missverständnisse nicht hereinzufallen. Ist manchmal etwas schwierig; speziell an Feiertagen und unter Zeitdruck 🙂 . Wie dem auch sei – immerhin sieht die GEMA inzwischen wohl auch in ihrem Factsheet einiges Fehlinterpretations-Potential
Upload von Musikwerken auf YouTube: Soweit die von der GEMA wahrgenommenen Nutzungsrechte betroffen sind, können Nutzer Musikwerke auf YouTube hochladen oder ihre Uploads mit Musik untermalen.
und will das jetzt „entsprechend“ anpassen. Eine FAQ-Liste samt nicht juristisch spitzfindiger, sondern allgemein verständlicher Antworten soll es auch geben auf der GEMA-Website. Das ist doch schon mal sehr begrüßenswert…
DRadio Wissen – Redaktionskonferenz vom 03.11.2016 (Moderation: Sonja Meschkat)