Unter Datenschutz- und Privacyaspekten kann man gar nicht genug darauf herumreiten, dass wir alle freiwillig mit einer Überwachungswanze durch die Gegend laufen – unserem Handy. Und auf der Tatsache, dass zumindest unser Mobilfunkprovider allerbestens über unser Leben Bescheid weiß – hinzu kommen natürlich dann auch noch die ganzen US-Firmen, deren Apps wir bereitwillig installiert haben. Und interessierte Kreise, die wiederum diese ganzen Daten abschnorcheln.
Aber es gibt ja Situationen, in denen man (bzw. frau…) ganz gerne überwacht wird: Beim nächtlichen Heimweg durch einen Park oder beim frühmorgendlichen Jogging im Grüngürtel etwa. Und da ist es ja sehr naheliegend, die verschiedenen Smartphone-Fähigkeiten in eine App zu packen, die dann so etwas wie ein digitaler Bodyguard sein will: Das Prinzip ist bei allen Lösungen auf dem Markt ähnlich: In der App ist ein Kreis von Kontakten hinterlegt, die sozusagen die „Beschützerfunktion“ übernehmen – das können Freunde sein, oder aber eine Leitstelle, ein Dienstleister. Idealerweise rund um die Uhr mit garantiert ausreichenden Kapazitäten erreichbar – das kostet typischerweise dann auch etwas.
Wenn die App gestartet wird, bekommen die „Beschützer“ die Geodaten des Smartphones übermittelt. Und dann gibt es eine „Ziel erreicht, alles in Ordnung“-Funktion – aber natürlich auch das Gegenteil, den Alarmknopf. Im Notfall wird direkt oder über den „Beschützer“ die Polizei alarmiert – und die hat (im Gegensatz zu einem typischen telefonischen Anruf in Panik…) wenigstens schon einmal die genaue Ortsbeschreibung. Und kann insofern schnellstmöglich anrücken. Das bedeutet in Deutschland (wo die Apps im Gegensatz zu anderen Ländern noch nicht so gebräuchlich sind oder in ihren „Premium“-Varianten auch noch nicht verfügbar…): so ungefähr nach 10 Minuten ist Hilfe vor Ort; die genaue Zeit hängt natürlich von allen möglichen Faktoren ab.
Und bis dahin ist frau/man natürlich längst ausgeraubt, vergewaltigt, verblutet oder erstickt, um nur einmal die traurige Palette der Möglichkeiten aufzuzählen. Im Zweifelsfall – das fügt dann noch ungeahnte traumatische Erfahrungsmöglichkeiten mit hinzu – kann der Freund an seinem Smartphone oder der Dienstleister in der Leitstelle alles mit anhören. Denn direkt helfen kann er nicht – und auch nicht einen potenziellen Angreifer direkt abschrecken. Das ist eine banale Erkenntnis. Sollte man meinen. Tatsächlich droht hier aber eine zusätzliche Gefahr: Die nämlich, dass „Bodyguard“-App-User mit dem „gefühlten“ Mehr an Sicherheit nun plötzlich eine andere Risikokalkulation anstellen als vorher. Und halt einen Gang in der Dunkelheit antreten, wo sie sonst ein Taxi genommen hätten.
Das ist keineswegs hypothetisch, sondern fast zwangsläufig – die unzähligen Erfahrungen mit hasardierenden Wanderern oder Kletterern seit der Verfügbarkeit von Handys geben da ein gutes Beispiel. Der psychologische Aspekt, dass die hinzugeblendete Virtualität und die Dauerkommunikation mit Freunden und Followern den Blick für nach wie vor existierende reale Gefahren völlig vernebelt, liess sich vor ein paar Tagen schön im Statement einer jungen Frau nach den Blitzeinschlägen bei „Rock am Ring“ ablesen: „Das hätte ich nicht gedacht, dass es so schlimm wird.“ Klar, auf dem Screen bei WhatsApp war die Welt ja auch in schönster Ordnung und man war ja schließlich Teil eines gerade livegestreamten und kommunizierten „Events“; und außerdem hatte die Wetter-Radar-App doch Hagel und Blitz 400 Meter weiter nördlich vorüberziehen lassen. 🙂
Das alles soll nicht heißen, dass die Security-Apps nicht ihren Wert haben. Aber wie bei allen anderen Errungenschaften der modernen Technik – Gehirn und gesunden Menschenverstand angeschaltet lassen hat nach wie vor allerhöchste Priorität.
„WayGuard“: Handy-App als Begleitschutz – SPIEGEL ONLINE
(Spiegel Online – Netzwelt vom 08.06.2016)