Tinder gilt gemeinhin nicht gerade als die Plattform zur Anbahnung einer „seriösen, auf Dauer angelegten Lebenspartnerschaft“ – wobei das natürlich auch nur eine Einschätzung ist, die in der Mehrzahl der Fälle stimmt, aber nicht immer: Wie mir heute morgen ein Arbeitskollege erzählte, hat er nämlich dort seine Freundin gefunden. Und im Grunde ist es ja tatsächlich eine mindestens ebenso realistische Partnersuch-Strategie, erstmal mit der Optik anzufangen und dann zu inneren Werten überzugehen wie umgekehrt 🙂 …
Und trotzdem – wer bislang schon vermutet hat, dass Männer insgesamt eher etwas weniger wählerisch sind bei der Suche nach einem Sexualpartner als Frauen, liegt vollkommen richtig – das bestätigt auch eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten. Das Team aus London, Rom und Ottawa hat mangels Unterstützung durch Tinder selbst mit Fake-Profilen und Scripts gearbeitet – und insgesamt auch völlig vorhersehbare Ergebnisse herausgefunden. Die Zahlen sind allerdings schon teilweise drastisch: Durchschnittlich hat ein Mann nur 0,6% „Rücklaufquote“ oder eben Relikes auf seine Likes, bei den Frauen beträgt der Wert hingegen 10%.
Vielleicht etwas irritierend für alle heterosexuellen Männer (wobei ja immer die Chance zum Erkunden neuer Ufer besteht…): 86% der Antwort-Matches an die männlichen (Fake-)Profile kam von Männern. Tinder scheint also möglicherweise am ehesten etwas für Schwule zu sein, da dann beide Seiten die gleiche Strategie verfolgen: Alles matchen und liken, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Versuchen kann man es ja mal.
Oder muss man es ja mal, denn an sich ist die quasi wahllose Massen-Anquatsch-Strategie der Männer nur die logische Antwort auf die mauen Rücklaufquoten. Dummerweise ist die eher zurückhaltende Frauen-Reaktion wiederum die logische Antwort auf das wahllose Anmach-Feuer der Männer. Und so könnte der ganze Tinder-Algorithmus also theoretisch gegen die Wand donnern und die Plattform und das Geschäftsmodell obsolet machen – aber offenbar ist dies nicht der Fall, offenbar hat sich das Anfrage-Antwort-Verhältnis doch auf einem Level eingemendelt, das einen weiteren Match- und Paarungserfolg zulässt, schreiben die Wissenschaftler; Tinder muss es selbst am Besten wissen.
Ein paar praktische Ratschläge haben die Forscher auch noch aus ihren Daten ableiten können; auch die sind wieder nicht sehr überraschend: Mehrere Fotos bringen mehr Match-Erfolg als ein einziges (da lässt sich nämlich eher abschätzen, ob die Person überhaupt echt ist oder nur ein Fake mit Stock-Foto-Profilbild…) Und eine klitzekleine Biografie einstellen hilft auch immens – das machen aber allen Ernstes viele Leute nicht; vielleicht sind das also Spaßvögel, oder sie bauen auf eine absolut überwältigende Optik. Männer und Frauen unterscheiden sich auch in ihrem Message-Verhalten nach einem ersten gegenseitigen Matchen – auch das vielleicht keine ganz große Überraschung.
Völlig nebulös ist nur ein Ergebnis – auch die angeblichen Männer, die statt einem Foto eine gefakete Fehlermeldung in ihrem Profil hatten „dieser Account wurde gesperrt“, bekamen Matches. Und zwar entgegen dem „normalen“ Trend nur von Frauen. Da sind wahrscheinlich ein paar sehr abenteuerlustige Mainstream-Verächterinnen unterwegs. Oder so.
DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 19.07.2016 (Moderation: Diane Hielscher)