Schlagwort-Archive: Wissenschaft

Navi-Benutzung schaltet unser Gehirn ab – oder doch nicht?

In den Presse-Vorankündigungen hatte das auch erst einmal meine Aufmerksamkeit erregt: “Satnavs ‘switch off’ parts of the brain” – so lautete die Schlagzeile bei Eurekalert. Und die Anführungszeichen, das wissen wir spätestens seit den Abhör-Vorwürfen von Donald Trump, die sind sehr wichtig 🙂 …Beim Blick auf das Abstract fand ich die Geschichte ganz nett, aber letztlich nicht so überraschend, als dass ich sie am nächsten Morgen thematisiert hätte. Insgesamt war die Presseresonanz aber ganz ausgezeichnet – und zwar, so kritisiert Dean Burnett vom Guardian, weil die Titelzeile schon reichlich “aufgesext” und letztlich irreführend war.

This map shows the ‘degree centrality’ of all the streets in central London. This reflects how many other streets are connected to each street, with blue representing simple streets with few connecting streets and red representing complex streets with many connecting streets. Credit: Joao Pinelo Silva

Zwar hatten die Forscher vom University College London explizit darauf hingewiesen, dass sich aus ihrem Navigations-Experiment im fMRI-“Hirnscanner” keine Aussagen über irgendwelche Langzeitfolgen ableiten lassen würden – die Presse brachte dann aber doch “intuitiv” naheliegende, aber falsche “Schlussfolgerungen” wie: “Warum sich die Millenium-Generation immer verläuft” oder “Navis lassen uns verdummen” oder “Fahrer mit Navis erinnern sich nicht mehr an Straßen”. Aber wie Dean Burnett ja sehr schön als Beispiel anführt: Wenn ich keinen erhöhten Puls habe, bedeutet das noch nicht, dass mein Herz zu schlagen aufgehört hat oder “abgeschaltet” ist – das Ausbleiben einer erhöhten Aktivität (und die ohnehin bekannten “Unschärfen” bei allen Kernspintomograph-Hirnuntersuchungen haben wir da auch noch im Hinterkopf…) bedeutet nicht das “aktiv negative” “Abschalten” einer Funktion.

Ein vermeintlich sehr subtiler Unterschied, aber in Wahrheit ein eminent wichtiger.

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 24.03.2017 (Moderation: Diane Hielscher)

Sperma-Check mit dem Smartphone

Sprechen wir einmal über eine gar nicht so seltene Sache: Da ist ein Paar, die beiden wollen ein Kind bekommen. Sex haben sie auch regelmäßig und zum „eigentlich passenden“ Zeitpunkt – aber es klappt einfach nicht. Da kann die Psyche eine Rolle spielen; aber natürlich können auch ganz handfeste körperliche Gründe eine Schwangerschaft erschweren oder unmöglich machen. Im schlimmsten Fall lautet das Stichwort “Unfruchtbarkeit” – entweder bei der Frau oder beim Mann. Wobei man da in manchen Konstellationen durchaus noch etwas machen kann…

Beim Mann ist ein wichtiger Faktor: Wie ist es denn eigentlich um seine Spermienqualität bestellt? Um das zu überprüfen, ist bislang meist ein Arzt- oder Krankenhausbesuch fällig; und der ist für viele mit einem gewissen Peinlichkeitsfaktor verbunden. Jetzt haben amerikanische Wissenschaftler einen Test für zuhause entwickelt. Der Test – von den Forschern, was die “Hardware” betrifft, erst einmal als Prototyp im 3D-Druck-Verfahren erstellt – ist für die Anwender diskret, einfach und (voraussichtlich auch in der bald zu erwartenden Produktion…) billig. Die Diagnose ist aber offenbar so zuverlässig wie bei bislang bekannten Methoden.   

Wie bei anderen Selbst-Test-Kits auch: Eine Untersuchung und (hoffentlich…) fachlich abgesicherte Untersuchung bei einem Arzt oder in einer Klinik liefert noch weitergehende Aspekte oder Interpretationen. Aber der Smartphone-Sperma-Test ist mindestens besser als die Option, aus Scham oder Trägheit gar nichts zu unternehmen, wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt. Übrigens (wie auch die Autoren anmerken..) – das Ganze macht natürlich auch anders herum Sinn: Der Test eignet sich auch dazu, die Wirksamkeit einer Sterilisation beim Mann zu überprüfen 🙂

Selbsttest: App zur Spermien-Analyse · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 23.03.2017 (Moderation: Diane Hielscher)

P.S. Auch beim Wissensgespräch haben wir das Thema heute noch einmal behandelt.

Künstliche Intelligenz “Libratus” schlägt Pokerprofis

Poker: Das ist doch Zockerei, ein Glücksspiel. Von wegen – das denken nur Leute, die keine Ahnung haben. Oder die eine politische oder “moralische” Agenda verfolgen, denn kurioserweise hat die Einstufung ja gravierende Konsequenzen: Auf der einen Seite sagen Rechtspolitiker oder Juristen: “Glücksspiel; also ist das nach den und den Gesetzen verboten”. Dann wären allerdings konsequenterweise auch erzielte Gewinne steuerfrei. Oder anders herum, wenn der Staat Kohle sehen will, dann sind Gewinne aus Pokerturnieren plötzlich doch wieder steuerpflichtig – dann ist Poker also ein Geschicklichkeitsspiel oder ein Denksport.

Embed from Getty Images

 

Und da kann man nur sagen – das letztere stimmt. Natürlich gibt es beim Poker eine Zufallskomponente, die gemischten und verteilten Karten. Aber über eine große Anzahl von Spielen, von gespielten Händen, wie man sagt – da ist das Können der Spieler entscheidend, da setzt sich der Meister gegen den Patzer, den „Fisch“ durch – und zwar todsicher, mit einer kalkulierbaren Marge. Genau das war also auch der Grund, warum das „Brain versus AI Poker tournament“ im Rivers Casino in Pittsburgh über 20 Tage und 120.000 gespielte Hände ging – um das Kartenglück zu neutralisieren und am Ende einen klaren Sieger zu haben, möglichst mit eindeutiger statistischer Signifikanz.

Ein weiterer Anti-Glückseffekt-Korrekturfaktor: Dong Kim, Jimmy Chou, Daniel McAulay und Jason Les traten ja “Heads up”, also jeder für sich allein gegen die “Künstliche Intelligenz” Libratus an – und da bekamen jeweils zwei Menschen genau die Karten gegen den Computer, die der Computer gegen die beiden anderen Menschen spielen musste. Am Ende war das Resultat völlig klaralle Profis waren geschlagen; die Überlegenheit war nicht nur statistisch signifikant, sondern überwältigend – eindeutig eine “super human performance”, wie es Programmierer Tuomas Sandholm ausdrückt.

The Brains vs Artificial Intelligence competition at the Rivers Casino in Pittsburgh. Photograph: Carnegie Mellon University

Fast schon überraschenderweise nutzt Libratus keine neuronalen Netze – Sandholm missfällt nämlich, dass es beim “Deep Learning” keine Garantien für die Güte einer Problemlösung gibt, keine Garantien dafür, dass bei einer leichten Modifikation des Problems (hier also der Spielweise der Poker-Gegner…) immer noch ein gutes Ergebnis erzielt wird, keine Garantien dafür, dass nicht irgendwo in der “Black Box” der neuronalen KI der Faktor Zufall sein Unwesen treibt. Die verbesserten Algorithmen, die in Libratus zum Einsatz kommen, konvergieren hingegen mathematisch nachweisbar zum spieltheoretischen Optimum, dem Nash-Equilibrium; und das sogar mit einem klar benennbaren Gütefaktor.

Das ist zumindest ein bemerkenswerter Ansatz – für Sandholm ist nämlich Poker und Libratus nur ein “proof of concept”, ein “Showcase”. Und auch in der “realen Welt” lassen sich viele vermeintlich komplexere Konstellationen auf die “Heads up”-Pokersituation “Spiel mit zwei nicht-kooperativen Gegnern und nicht vollständiger Information” eindampfen:

A lot of real world situations are two player, like most military settings are two player games. Cyber security is typically a two player setting – and by player I mean that there can be multiple hackers, but conceptually it’s like “hacker versus defenders”; so it is a two player setting even if there are multiple hackers, maybe even multiple defenders.

Libratus lief während des Matches auf einem Supercomputer – noch steht also die Rechen- und Spielpower nicht für “jedermann” zur Verfügung. Trotzdem ist es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis das Online-Pokerspielen um Geld sinnlos bzw. hoffnungslos wird – auch jetzt sind ja Bots schon ein ernstes Problem. Stephan Kalhamer, Diplom-Mathematiker, ehemaliger Poker-Profi und Präsident des “Deutschen Poker Sportbunds” weist darauf hin, dass die Komplexität am “vollbesetzten” Pokertisch, also vor dem Eintreten der “Heads up”-Situation, ja noch einmal deutlich komplizierter ist.

In der Tat haben Libratus bzw. sein Schöpfer Tuomas Sandholm dafür noch gar kein Konzept.

We are not really working on multi player, because it’s not even clear what you would want to compute there. One option would have to say, it’s okay, you want to compute a Nash equilibrium strategy. But in multi player games that is not safe. So it’s not clear that you would even want that, even if you had an oracle for immediately computing one. So it’s more a conceptual problem, or what the goal even is in those games. And while in two player settings – two players who are in some games like “Heads up Poker”, there it’s very clear that Nash equilibrium is safe.

Abgezockt vom Computer – Künstliche Intelligenz schlägt Pokerprofis

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 09.02.2017 (Moderation: Ralf Krauter)

…zum gleichen Thema der Artikel bei Spiegel Online:

Poker Mensch gegen Maschine: Libratus, der Gangster – SPIEGEL ONLINE

Spiegel Online – Netzwelt vom 08.02.2017

 

…und das Gespräch bei DRadio Wissen am 20.01. – da war das Match “Mensch gegen Maschine” noch nicht entschieden…

DRadio Wissen – Grünstreifen vom 20.01.2017 (Moderation: Dominik Schottner)

Google gibt die fünf Finalisten für den Lunar X-Wettbewerb bekannt

Gute nachbarliche Beziehungen muss man pflegen. Und das haben wir eigentlich ganz schön schleifen lassen seit einiger Zeit, unser Verhältnis zu unserem nächsten Kumpel im All, dem Mond. Wir Menschen waren zuletzt 1972 oben, danach haben wir eine Reihe von Sonden in seine Umlaufbahn geschickt und irgendwann auf die Oberfläche crashen lassen. Immerhin, die Chinesen haben 2013 mal wieder eine weiche Landung hinbekommen und einen Mondrover mit dem schönen Namen „Jadehase“ abgesetzt. Aber jetzt in diesem Jahr soll da richtig was abgehen, nämlich ein Mondrover-Wettrennen. Nun hat Google die fünf Finalisten des „Lunar X-Prize“ bekanntgegeben – und leider ist unser deutsches Team “Part Time Scientists” draußen.

Embed from Getty Images

 

Über die “Teilzeitwissenschaftler” hatten wir ja gerade bei DRadio Wissen ausführlich berichtet – das Team und sein Mond-Rover haben auch keinesfalls das Handtuch geschmissen – aber für die Deadline des vom Suchmaschinenriesen finanzierten Preises hat es jetzt doch nicht gereicht. Lieber in Ruhe auf dem Erdtrabanten eintreffen, als bei einem unter Zeitdruck improvisierten Raketenstart pulverisiert zu werden – das war wohl die Devise der “Part Time Scientists”. Was die Google-Kohle angeht, bleibt die Geschichte bis kurz vor Jahres-Ultimo spannend – aber die wirklich “wichtigen Schritte für die Menschheit” haben natürlich mit schnödem Mammon eh nichts zu tun 🙂 …

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 25.01.2017 (Moderation: Diane Hielscher)

Die “Chan Zuckerberg Initiative” kauft Wissenschafts-Suchmaschine Meta

Es gibt ja manche Menschen, die haben das sprichwörtliche Problem, dass sie nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Weil es eben so wahnsinnig viel ist. Warren Buffet, dann auch Bill und Melinda Gates – und eben auch Mark Zuckerberg und seine Frau Priscilla Chan. Allen gerade aufgezählten gemeinsam ist, dass sie ihre Milliarden – oder zumindest einen sehr erklecklichen Teil davon – wieder unter die Leute bringen wollen, und zwar zu wohltätigen Zwecken. Genauso wie die Gates-Stiftung, die sich bekanntlich den Kampf gegen Malaria auf die Fahnen geschrieben hat, nimmt auch die “Chan Zuckerberg Initiative” Krankheiten ins Visier, die bislang schwer oder gar nicht heilbar sind – Priscilla Chan ist ja selbst Kinderärztin und insofern “vom Fach”.

Embed from Getty Images

 

Die erste Firmenübernahme ihrer Stiftung fällt auf den ersten Blick ins Fach des Facebook-Gründers – aber Meta, 2014 unter dem Namen ScienceScape als Startup gegründet, ist keine normale Suchmaschine. Wenn nämlich Wissenschaftler oder Studenten nach wissenschaftlichen Fachartikeln suchen, haben sie zwei Probleme: Zum einen ist ein großer Teil gar nicht offen, kostenfrei verfügbar im Netz. Trotz des Trends zum “Open Access”-Modell ist das Publizieren und das fachliche Begutachten, das Peer-Review-Verfahren, immer noch eine Domäne von Wissenschaftsverlagen und ihren Fachzeitungen wie “Science” oder “Nature”. Ein Artikel, der nicht offen im Netz steht, kann aber typischerweise auch nicht von einer normalen Suchmaschine wie Google indexiert werden.

Das zweite Problem für einen Forscher oder Studenten – mit welchen Begriffen oder Wortkombinationen soll er oder sie eigentlich suchen? Meta setzt hier auf eine gar nicht einmal exklusive Idee: Ein KI-Algorithmus soll die Artikel aufarbeiten, semantisch katalogisieren, die Künstliche Intelligenz soll quasi „verstehen“, worum es in dem Artikel geht. Das würde dann auch umfassen, Querverbindungen zu erkennen und durchsuchbar zu machen – wenn also eine Arbeit eine Vorläuferarbeit zitiert, darauf aufbaut, einen Forschungsstand fortentwickelt oder vielleicht auch ältere Publikationen widerlegt.

Nach dem Kauf durch die Chan-Zuckerberg-Stiftung kann Meta auf die ursprünglich geplanten kostenpflichtigen Optionen verzichten – die Suchmaschine wird also Wissenschaftlern und Studenten kostenfrei zur Verfügung stehen.

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 24.01.2017 (Moderation: Diane Hielscher)

Forscher weisen erstmals vektorbasierte Navigations-Neuronen nach

Photo of an Egyptian fruit bat. Sarel et al. report on a new functional class of hippocampal neurons in bats, which encode the direction and distance to spatial goals – suggesting a novel neural mechanism for vector-based goal-directed navigation. [Credit: Steve Gettle]

Wenn Zugvögel zielsicher ihr Winterquartier aufsuchen und anschließend über tausende von Kilometern an ihre Brutplätze zurückkehren, wenn Bienen eine Wiese mit pollenreichen Blumen ansteuern und danach ebenso zielsicher wieder in den Stock zurückfliegen, wenn wir selbst – auch ohne Smartphone und GPS – täglich problemlos zur Arbeit und danach wieder nach Hause finden – dann ist dies alles das Werk von speziellen Neuronen in unseren Gehirnen. Wie die funktionieren, ist zum Teil schon bekannt; 2014 gab es dafür den Medizin- bzw. Physiologie-Nobelpreis. Im Fachblatt „Science“ weisen israelische Forscher bei Flughunden nun erstmals eine wichtige weitere Variante dieser Navigations-Neuronen nach.

Wie komme ich zuverlässig von Ort A zu Ort B und danach wieder zurück? Navigation ist eine der lebenswichtigen Hauptaufgaben für praktisch jedes Lebewesen – kein Wunder, dass sich die Evolution da ein paar sehr ausgeklügelte und bewährte Mechanismen hat einfallen lassen – egal, ob wir jetzt als Fledermaus, Biene oder Mensch unterwegs sind. Bislang konnten Forscher zwei Typen von Navigations-Neuronen identifizieren, sagt Nachum Ulanovsky vom Weizman Institute of Science in Rehovot:

Die „Ortszellen“ sagen ‘Ich bin hier am Punkt A’, und die „Rasterzellen“ sagen mir wie bei einem Millimeterpapier etwas über Entfernungen und absolute Richtungen. Aber – ich sitze jetzt hier in meinem Büro im Institut – ich weiß, wo die Cafeteria ist, auch wenn ich sie nicht sehe. Ich habe also in meinem Gehirn eine Repräsentation vom Ziel, vom Punkt B. Aber wie die im Detail funktioniert, war bislang unklar – das lässt sich mit dem bislang bekannten Konzept von Orts- und Rasterzellen nur schwer verstehen.    

Ulanovsky und seinen Mitarbeitern – allen voran seine Doktorandin Ayelet Sarel, die Hauptautorin der Science-Studie – gelang es, die Gehirn-Aktivitäten von Nilflughunden (Rousettus aegyptiacus) aufzuzeichnen, während diese zu einem zuvor antrainierten Rast- und Fressplatz im Labor der Wissenschaftler flogen. Dazu hatten die Forscher den Tieren Messsonden implantiert. Die registrierten die elektrischen Signale in der für die Navigation zuständigen Hirnregion, im Hippocampus – aufgelöst bis hin zum Feuern von einzelnen Nervenzellen.

Das technisch Neue dabei ist: Wir haben diese Sonden in den letzten Jahren so weiterentwickelt und verkleinert, dass wir drahtlos, ohne Kabel aufzeichnen können – also wirklich bei den fliegenden Tieren.       

Photo of an Egyptian fruit bat. Sarel et al. report on a new functional class of hippocampal neurons in bats, which encode the direction and distance to spatial goals – suggesting a novel neural mechanism for vector-based goal-directed navigation. [Credit: Haim Ziv]

Wie sich die Fledertiere im Raum bewegten, protokollierten die Forscher mit zwei Kameras. Und anschließend analysierten sie mit Computerhilfe, ob es einen systematischen Zusammenhang zwischen den Positionsdaten und den Gehirnaktivitäten gab.

Dabei haben wir herausgefunden: Da sind tatsächlich Neuronen im Hippocampus, die den jeweiligen Winkel relativ zum Ziel repräsentieren. Also ein bestimmtes Neuron ist aktiv, wenn die Fledermaus genau auf das Ziel zufliegt, Winkel 0 Grad; ein anderes Neuron ist aktiv, wenn das Ziel rechts ist, also Winkel 90 Grad – und so weiter.

Damit gab es also erstmals einen Beleg für eine seit langer Zeit diskutierte und auch aufgrund von Verhaltensexperimenten naheliegende Hypothese:

Fast 20 Prozent der Neuronen im Hippocampus zeigten eine Repräsentation des Ziels, also wirklich eine große Anzahl. Einige Neuronen haben die Entfernung zum Ziel codiert, einige die Richtung, einige beides. Richtung und Entfernung zusammen bezeichnet man auch als Vektor – was wir also herausgefunden haben: Es gibt eine vektorbasierte Repräsentation eines Navigationsziels im Hippocampus der Fledertiere.

Dass es sich bei den entdeckten Neuronen wirklich um einen anderen Typ handelt als die bekannten Orts- und Rasterzellen, konnten die Forscher mit zwei Modifikationen ihres Experimentes zeigen.

Wir haben das Ziel einfach verschoben. Und dann haben die Neuronen, die auf die alte, trainierte Position ausgerichtet waren, aufgehört zu feuern. Und andere Neuronen passend zur neuen Position wurden aktiv – das ist also wirklich spezifisch auf den aktuellen Zielort bezogen.

In der zweiten Variante verhüllten die Wissenschaftler das Ziel mit einem Vorhang, der den Landeplatz auch für das Ultraschall-Sonar der Flughunde unsichtbar werden ließ. Davon ließen sich die Tiere aber nicht beirren, die Winkel- oder Vektor-Neuronen blieben weiterhin auf das zuvor trainierte Ziel hin ausgerichtet und aktiv:

Das zeigt, diese Repräsentation ist eine mentale, eine Gedächtnisleistung, sie basiert nicht einfach auf Sinneseindrücken – das ist großartig, denn das ist in der Tat genau das, was man für eine Navigation ohne Sicht zum Ziel braucht.

Wie das Ganze auf anatomischer Ebene funktioniert – ob die beteiligten Neuronen von ihrer Bauart her speziell konstruiert sind oder eben “speziell verschaltet” – bei solchen Fragen müssen die Forscher momentan noch passen. Als nächstes wollen Nachum Ulanovsky und seine Mitarbeiter komplexere Navigations-Szenarien an den Flughunden erforschen – was ist, wenn es mehrere Ziele gibt, was, wenn das Tier seine Entscheidung für ein Ziel revidiert? Auf jeden Fall ist sich das Team ziemlich sicher, dass auch andere Lebewesen die vektorbasierten Neuronen im Hippocampus haben und vektorbasiert navigieren.

Möglicherweise wäre das in Jahrmillionen der Evolution erprobte Konzept auch etwas für Roboter:

Es gibt schon eine Reihe von Roboterwissenschaftlern, die Algorithmen implementiert haben nach dem Vorbild von Orts- und Rasterzellen. Das ist interessant für autonome Fahrzeuge oder auch für Büro-Roboter. Bislang hat natürlich noch niemand die ziel-orientierten, vektorbasierten Neuronen umgesetzt, die haben wir ja jetzt gerade erst publiziert. Aber auf jeden Fall sind solche biologisch inspirierten Algorithmen grundsätzlich sehr vielversprechend.

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 13.01.2017 (Moderation: Lennart Pyritz)

Affen könnten sprechen – wenn auch das Gehirn mitspielen würde

Gerade stand es in der neuen Ausgabe von “Science”: Zebrafinken haben offenbar von Geburt an ein neuronales Regelsystem, das ihnen dabei hilft, “gelungene” von “schiefen” Gesangs- bzw. Zwitscherstrophen zu unterscheiden. Ein Papagei kann problemlos Peinlichkeiten nach- oder ausplaudern oder die Feuerwehr bestellen, und selbst ein Seehund oder ein Beluga kann menschliche Sprache imitieren. Nur ausgerechnet Affen können uns Menschen nicht “nachäffen”, zumindest nicht vokal – und eine eigene Sprache mit Worten, Sätzen oder einer Grammatik haben sie im Verlauf der Evolution erst recht nicht entwickelt; trotz aller unbezweifelbarer Intelligenz.

Warum Wale, Elefanten oder Singvögel uns Menschen bei der spezifischen Fähigkeit zur vokalen Imitation, dem “call production learning” näher sind, als unsere evolutionsbiologisch engsten Verwandten, darüber kann auch Prof. Tecumseh Fitch, Leiter der Abteilung Kognitionsbiologie an der Universität Wien, nur spekulieren. An grundsätzlichen und unüberwindbaren anatomischen Beschränkungen ihres Stimmapparates, ihres Vokaltraktes liegt es jedenfalls nicht – das ist das Ergebnis seiner in “Science Advances” veröffentlichten Studie. Fitch und seine Kollegen knüpfen mit ihren neuen Experimenten an die paradigmatische Untersuchung von Philip Lieberman aus dem Jahr 1969 an.

Embed from Getty Images

 

Dessen Ergebnisse seien aber erstens aufgrund schwächerer Eingangsdaten zustande gekommen – nämlich aufgrund einer Modellierung des Vokaltraktes eines toten Makaken – zweitens habe man anschließend Liebermans Schlussfolgerungen auch noch missverstanden oder fehlinterpretiert, so sieht es Tecumseh Fitch.  Sein Fazit: Makaken – und wahrscheinlich auch andere Primaten haben einen “sprechbereiten” Stimmapparat – das Problem sind fehlende Steuerungs-Schaltkreise im Affengehirn. Völlig unumstritten sind die Schlussfolgerungen von Fitch und seinen Ko-Autoren noch nicht:

Die “New York Times” zitiert die Sprachwissenschaftlerin Anna Barney von der Universität Southhampton – ihr zufolge blieben in Fitch’s Studie Fragen offen, etwa die, ob Makaken neben unterscheidbaren Vokalen auch die nötigen Konsonanten produzieren könnten. Da ist sich der Kognitionsbiologe allerdings recht sicher:

What we know for sure is that things like “pa, ba, ma, na”, all of those would be no problem as would “ha”; some version of “ka” and “ga” should be no problem. I think it would be extreme to say that monkeys could make all human consonants. But the point is they could easily make enough consonants to generate with this number of vowels to make thousands of words. I think the consonants have never been postulated to be to a large problem, a large limitation. The debate has always been about the vowels.

Und auch der mittlerweile emeritierte Philip Lieberman selbst meldet sich in der NYT und im “Christian Science Monitor” noch einmal zu Wort – er ist nach wie vor der Meinung, dass bei der Evolution der menschlichen Sprache sowohl neuronale Veränderungen im Gehirn als auch anatomische im Vokaltrakt eine Rolle gespielt haben. Vielleicht klärt sich ja irgendwann durch genetische Eingriffe in das Erbgut von Affen, wer recht hat: Wenn durch einen wohl plazierten CRISPR-Schnipsel im Gehirn-Sprachkontrollzentrum Makaken oder Schimpansen plötzlich zu plaudern anfangen, war es Tecumseh Fitch. Wenn erst durch einen anderen Schnipsel der Kehlkopf anatomisch tiefer gelegt werden muss, war es Lieberman. 🙂

Sprachlose Primaten – Fehlende Kontrolle über Stimmtrakt

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 12.12.2016 (Moderation: Arndt Reuning)

Arschlöcher in der U-Bahn: Eine Kosten-Analyse

Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, auf U-Bahn-Arschlöcher (das sind die Zeitgenossen, die beim Halt des Zuges vor den Türen auf dem Bahnsteig stehen bleiben oder besser noch, schon durch den sich gerade öffnenden Spalt direkt hereindrängen…) zu reagieren: Ein indignierter Blick ist in den allermeisten Fällen um Größenordnungen zu subtil. Weit verbreitet ist der Ausruf “Erst aussteigen lassen”. Wenn man körperlich einigermaßen robust ist, geht auch Muskeln hart machen und die Angreifer einfach zurückdrängen oder zumindest heftig rammen. 🙂

Bei Medium.com hat ein Alltags-Forscher mit dem Kürzel CSi nun eine wertvolle Studie vorgelegt und quantifiziert, in welchem Ausmaß U-Bahn-Arschlöcher Tag für Tag den Verkehr aufhalten und Verspätungen produzieren. Das Ganze wird untermauert durch grafisch nett aufbereitete Fahrgäste-treffen-auf-Arschlöcher-Simulationen, durch Formeln und Hochrechnungen.

Simulation with assholes (note they are cramming in before people have remotely exited) Quelle: CSi/Medium.com

Simulation with assholes (note they are cramming in before people have remotely exited) Quelle: CSi/Medium.com

Zudem liefert der Autor kurze Erklärungsversuche für das Arschloch-Gehabe. Zumindest den “rationalen” Arschlöchern, das muss CSi hier zugestehen, bringt das unverschämte Drängeln einen tatsächlichen Vorteil – sich nämlich in einer überfüllten Bahn mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einen Platz zu erkämpfen.

Der Autor hat übrigens eine eigene ganz spezielle Strategie beim Verlassen der Bahn – er geht mit seitlich weit ausgestreckten Armen auf den Menschenblock zu. Was erstens signalisiert: Ich kann nicht heraus. Und zweitens Arschlöcher am Durchschlupf hindert. Ich selbst, das gestehe ich hier, remple auch mal ganz gern. Natürlich keine Frauen, Kinder und Gebrechliche.

Paradoxes Hormon – Testosteron macht aggressiv, aber auch großzügig

Das Sexualhormon Testosteron hat einen ziemlich zweifelhaften Ruf. Fest steht: es ist essentiell bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von männlichen Körpermerkmalen, bei der Spermienproduktion und dem Aufbau von Muskelmasse. Und es hat unzweifelhaft einen Einfluss auf das männliche Verhalten – auf den Geschlechtstrieb nämlich. Und jetzt wird es kontrovers: Testosteron macht aggressiv, es führt zu antisozialem Verhalten, das gilt fast schon als Allgemeinwissen. Aber so einfach ist die Sache nicht – wie eigentlich immer, wenn man evolutionsbiologische Erkenntnisse und menschliches Verhalten in einen Topf wirft und dann durch eine politische oder ideologische Brille draufschaut 🙂 .

Natürlich ist auch der Mensch von seinem evolutionsbiologischen Erbe noch stark beeinflusst – aber mit einem ganz einfachen Testosteron-Bashing a la Gender-Theorie tut man/frau selbst der Affenhorde unrecht. Vielleicht kann man es einfach erst einmal neutral so sagen: Testosteron hat den “Sinn” oder die Funktion, den Fortpflanzungserfolg eines Männchens zu fördern. Und dazu gehört einerseits aggressives Verhalten – also dem Konkurrenten um das Weibchen eins auf die Birne zu geben. Und zwar im direkten Wettbewerb um ein konkretes Weibchen, oder im Streben nach Status – der wiederum den Erfolg bei den Weibchen eindeutig positiv beeinflusst 🙂 …

Status lässt sich aber auch durch nicht-aggressives Verhalten gewinnen – durch besondere Fähigkeiten, durch Mut oder Klugheit. Oder eben auch durch Großzügigkeit; wenn man es etwas kritischer benennen will: durch protzen oder “ganz entspannt einen auf dicke Hose machen”. Was im Grunde in der intuitiven Beobachtung menschlichen Miteinanders schon relativ plausibel erscheint, lässt sich offensichtlich auch experimentell nachweisen. Vollständig bewiesen ist die These “Testosteron fördert das Streben nach Status” vielleicht noch nicht – aber die Indizien passen schon recht gut zusammen.

Wie Matthias Wibral anmerkt, ist der Titel der aktuellen PNAS-Studie (Testosterone causes both prosocial and antisocial status-enhancing behaviors in human males) eigentlich nicht ganz zutreffend: Dass Testosteron antisoziales Verhalten hervorruft, belegt die Untersuchung bzw. das Studiendesign nämlich nicht:

Also in der Literatur zu Bestrafung oder zum Ultimatum-Spiel oder auch in Public-good-Spielen, da bezeichnet man so eine Art von Bestrafung, wenn ich also jemand bestrafe, der besonders wenig gibt, eher im Gegenteil als prosozial.

Diesen Einwand konnte Jean-Claude Dreher auf Nachfrage sogar nachvollziehen. Gezeigt habe sein Experiment tatsächlich nur eine verstärkte „reaktive Aggression“. Und eben – als entscheidenden Punkt – eine kausal durch Testosteron verstärkte Großzügigkeit.

Paradoxes Hormon – Testosteron macht aggressiv, aber auch großzügig

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 04.11.2016 (Moderation: Ralf Krauter)

Das Gehirn gewöhnt sich daran, andere zu betrügen

„Wenn man einmal auf die schiefe Ebene gekommen ist, dann gibt es kein Halten mehr.“ Die Warnung vor einem Dammbruch bei moralischen Prinzipien ist eine beliebte Argumentationsfigur von Theologen bis hin zu Kriminalwissenschaftlern und von ihnen beeinflussten Politikern. Aber offenbar ist der „Slippery Slope“, wie die Sache im Englischen heißt, nicht nur eine moralphilosophische These, sondern lässt sich sogar belegen – mit einem Blick auf neuronale Mechanismen in unserem Denkorgan. „Das Gehirn gewöhnt sich an Unehrlichkeit“, so lautet der Titel einer Studie in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Nature Neuroscience“.

Das klingt gar nicht gut, vom Standpunkt des Moralischen aus betrachtet. Tatsächlich erscheint es ja bereits intuitiv bzw. von den eigenen Lebenserfahrungen her ziemlich plausibel, was Tali Sharot und Neil Garrett vom University College London nachzuweisen versuchen: Der gleiche sinnvolle neuronale Mechanismus, der dafür sorgt, dass wir bei einem anhaltenden Sinneseindruck nicht ewig im Alarmmodus bleiben, bewirkt, dass auch unsere emotionale Reaktion auf einen gleichbleibenden Stimulus immer schwächer ausfällt.

Wenn dafür eine neuronale Adaption in der Amygdala verantwortlich sein sollte, wie das die Experimente der britischen Forscher nahelegen, dann heißt das ja noch nicht einmal, dass da ein “schleichender Werteverlust” im Gehirn stattfindet, wie das die Kollegen im DLF getextet haben. Noch schlimmer – es bedeutet wahrscheinlich, dass das eigene Unbehagen über einen Verstoß gegen Werte, vielleicht auch die Angst vor Sanktionen oder sozialen Reaktionen schwächer wird. Und das würde heißen: Unsere Moral beruhte dann nicht auf positiven Motiven (“Edel sei der Mensch, hilfreich und gut”), sondern würde mit negativen Emotionen (“Schuld, Angst und Sünde”) notdürftig und offenbar auch nicht nachhaltig im Zaum gehalten.

Natürlich gehen momentan bei einer wissenschaftlichen Studie, die sich auf fMRI-Auswertungen stützt, alle Alarmglocken an. Zweifel an der Kausalität zwischen der nachlassenden Amygdala-Aktivität und der wachsenden Lügen-Bereitschaft der Versuchspersonen können die Londoner Psychologen aber recht plausibel kontern: Wenn die neuronale “Abschlaffung” etwas mit nachlassender Konzentration oder beginnender Langeweile zu tun hätte, müsste sie auch bei den Versuchen nachweisbar sein, bei denen kein eigener unfairer Vorteil zu erwirtschaften war. War sie aber nicht.

Das sind also alles recht unerfreuliche Perspektiven, die sich aus der Studie ergeben – zum Beispiel ja auch der Gedanke, dass die neuronale Anpassung oder Abstumpfung der emotionalen Reaktion auf Unehrlichkeit oder vielleicht auch auf Gewalt ziemlich plausiblerweise auch durch Input aus Filmen oder Computerspielen ausgelöst werden könnte. Aber vielleicht ist das auch der Punkt, die Reißleine zu ziehen: Das menschliche Verhalten in der Realität dürfte doch noch etwas komplexer ausfallen als bei einem sehr reduzierten Spiel-Experiment um Pennies in einem Glas.

Zur Ehrenrettung der Probanden der “Nature Neuroscience”-Studie sei erwähnt: In einer weiteren Spielvariante, in der sowohl sie selbst als auch die Partner eine höhere Belohnung erhalten sollten, wenn das Ergebnis der Schätzung über dem tatsächlichen Inhalt des Glases liegen würde, schummelten die Ratgeber noch heftiger. Eine “Win-Win-Situation” war den Teilnehmern also noch lieber, als den Partner übers Ohr zu hauen. (Möglicherweise, weil nun etwas abstrakter geworden war, wer eigentlich betrogen wurde – die Veranstalter des Experiments? Gott? 🙄 )

Fest steht: Wer als Mensch für sich reklamiert, zurechnungsfähig zu sein, muss auch noch ein paar andere Gehirninstanzen hinzuziehen, um sein Verhalten zu steuern und zu rechtfertigen – das Argument “Herr Richter, ich kann nichts dafür, meine Amygdala war ausgeleiert” dürfte nicht so recht ziehen 🙂 …

Schleichender Werteverlust – Wie sich das Gehirn ans Schummeln gewöhnt

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 25.10.2016 (Moderation: Ralf Krauter)