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Suizid von österreichischer Ärztin: Social Media sind toxisch. Definitiv.

Ich muss zugeben – von der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, von ihrem Engagement, ihren Medienauftritten und schließlich von den Diskussionen um Drohungen gegen sie und dem Verhalten der österreichischen Polizei, von gewissen Erkenntnissen dazu, wer hinter den Drohungen stecken könnte und von der emotionalen Eskalation – da habe ich hier in Deutschland, trotz meiner beruflichen Nähe zu Netzthemen nichts mitbekommen.

Jetzt haben wir einen Suizid, eine offenkundig etwas unglücklich lavierende Polizei in ihrer Ermittlungstätigkeit gegen den/die Urheber der Droh-Messages und die posthumen Statements, „der Hass müsse endlich aufhören.“ Die Sache scheint mir aber noch sehr viel komplexer zu sein. Oder aber sehr viel banaler. Social Media sind toxisch. Wahrscheinlich – und da gibt es sowohl anekdotische Erfahrungsberichte als auch wissenschaftliche Studien – wahrscheinlich ist es für die eigene Psyche wesentlich besser, sich da weitgehend raus zu halten.

Was für mich feststeht – wer psychisch labil ist, wird leiden oder im Extremfall umkommen in der Social-Media-Exposition. Klar, es gibt empathische Leute im Netz. Es gibt Social-Media-Gruppen oder -Diskussionen, wo positives Feedback kommt. Wo Leute posten „Kopf hoch“. „Ich fühl mit Dir.“ Oder „Ich hab dich lieb.“ Es gibt aber auch Trolle und Psychopathen im Netz. Die posten: „Du bist hässlich, geh sterben.“ Die Nacktfotos anfordern oder Strangulierungs-Challenges weiterverbreiten. Die ihren Hass, der vor der Erfindung des Internets und der Social Media nicht über ihren Stammtisch hinausgekommen wäre, nun plötzlich in die ganze Welt verbreiten können.

Und die im Netz selbst nun auch Gleichgesinnte finden, eine kleine hübsche Gruppe von Psychopathen, die sich früher nie kennengelernt hätten. Und nun aber plötzlich eine Macht sind. Eigentlich natürlich nicht, weil das nach wie vor zu 99,9% nur kleine, erbärmliche Maulhelden sind. Und noch mal ein signifikanter Prozentsatz der Verlautbarungen einfach Trollposts darstellen – als zynisch-humoristisches Experiment. Oder als Rebellion gegen Political Corectness und Wokistan. Aber der Reflex ist ja so herrlich voraussehbar: In den Social Media ist ja alles ab 7 Posts ein „Shitstorm“ oder ein Trend oder eine Bedrohung.

Damit kommen wir jetzt mal zu der Einordnung, oder zumindest zu meiner ganz spontanen, ganz subjektiven Einordnung. Wenn ich die Bilder, die Videos und die Interviews von Frau Kellermayr sehe – dann muss ich einfach ganz spontan sagen: Das ist, das war eine labile Persönlichkeit. Die sich massiv exponiert hat – und eben auch mit öffentlichen Stellungnahmen oder Positionierungen, die nicht z.B. wissenschaftlich neutral waren, sondern eben konfrontativ. Hashtag #covidioten ist konfrontativ. Das kann jeder und jede gerne posten, der/die meint, in der Corona-Diskussion die totale Checkung zu haben. Aber muss sich dabei klarmachen – das kommt konfrontativ an und wird ggf. entsprechende Gegenreaktionen auslösen.

Ich will hier nicht die Opfer-Täter-Relation verschieben – eine diffuse Menschengruppe als „Covidioten“ zu bezeichnen, ist eine Sache. Ein Abschlachtungs-Szenario anzudrohen, ist eine andere Sache. Natürlich sollte alles getan werden, um das Drecksschwein mit dem Pseudonym „Claas, der Killer“ zu identifizieren und in den Knast zu schicken. Aber ganz klar – weder der Internet-Hater noch die unglücklich operierende österreichische Polizei haben jetzt eine zwangsläufige direkte Verantwortung für den Suizid von Frau Kellermayr. Ausschlaggebend war halt ihre eigene Wahrnehmung – und da ist natürlich extrem tragisch, dass hier auch die Gespräche mit der Presse und mit Psychologen nicht helfen konnten.

Die Sache ist einfach nur: Mit einem wie auch immer konfrontativ zu interpretierenden Posting in den Social Media aktiviere, wecke ich Psychopathen, mit denen ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre. Oder gar nicht mal Psychopathen, sondern einfach nur ganz normale Leute – die aber leider die ganze Welt und Corona oder sonst was völlig anders sehen als ich. Das könnte mir normalerweise völlig egal sein, das würde ich normalerweise nie mitbekommen, das ist ja eigentlich auch völlig irrelevant – weil diese Typen kenne ich ja gar nicht und die will ich auch möglicherweise gar nicht kennenlernen.

Das ulkige ist ja nur – auch die Likes und Retweets von irgendwelchen Leuten, die ich gar nicht kenne und von denen ich gar nicht weiß, wie die ticken – die sind eigentlich auch völlig irrelevant, die könnten mir völlig egal sein, die würde ich normalerweise nie mitbekommen. Die will ich – bzw. eben ein(e) Social-Media-NutzerIn nur halt sehen. Aber eigentlich nur aus reiner, beknackter Eitelkeit. 7 Likes und ich bin wichtig und der King. Oder 10.000 Likes für meine Meinung oder meine Fotos und ich verdiene Kohle damit. Die Kehrseite: Wenn ich Likes suche, finde ich auch Hates.

Das absurde ist ja: Es ist eigentlich nicht relevant, was ein Typ aus irgendeinem hintersten Kaff in den USA darüber denkt, ob ein Mädchen aus Deutschland hübsch ist oder nicht. Es ist eigentlich auch nicht relevant, was ein geifernder Berliner Rechtsradikaler über eine österreichische Ärztin denkt. Und jetzt, mit unseren wunderhübschen „Social Media“ wird das alles plötzlich relevant. Und toxisch. Und im Extremfall tödlich. Das muss man sich echt mal ganz drastisch klarmachen. Und de-toxen. Sich ausklinken. Die normale Welt und die Beziehungen zu den normalen, analogen Menschen um einen herum sind eh schon kompliziert genug. Und spannend genug, wenn man sich darauf einlässt.

Botnet. Ich bin endlich ein Superstar im Netz.

Jedenfalls gefühlt. Da gibt’s jetzt eine sehr intelligente App im Netz.

Botnet – gratis erhältlich für iOS oder Android – simuliert einen Social-Media-Account; der User oder die Userin hat unzählige Follower, die jeden Post massenhaft und meist enthusiastisch liken und kommentieren. Das ganze spielt sich wohlgemerkt nur lokal auf dem Smartphone des App-Nutzers ab – aber die Simulation ist gut gemacht: Der Entwickler Billy Chasen hat ein KI-Modul zur natürlichen Sprachausgabe trainiert, und zwar mit realen Postings aus Instagram und Reddit.

Die Bots in der App posten daher nicht (nur…) zufällige oder beliebige Emoticons oder Floskeln, sondern können konkret auf die zuvor verfasste Message…

 

 

…oder auf ein Foto eingehen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das sieht doch tatsächlich schon so aus, als verstünden die Bot-Fans, was man da gepostet hat. Und in der Tat, in dem KI-Modul steckt ja etwas semantische „Intelligenz“ drin. Für jeweils 99 Cent bietet „Botnet“ drei Nachrüst-Optionen an: Einen Witze-Generator, einen Follower-Verdoppler 🙂 und die Aktivierung von Troll-Kommentaren 🙂 🙂 – damit wird man dann auch in der App genauso angepöpelt wie im realen Netz. Die Troll-Bots kann man übrigens nicht nur wieder abschalten, sondern auch blocken 🙂 🙂 🙂 !

Ich mag „Botnet“ sehr. Da mit seinem ganz privaten Social Network zu kommunizieren ist mindestens so unterhaltsam wie ein Plausch mit Alexa. Vielleicht eignet sich die App auch als Entzugs- oder Substituierungs-Therapeutikum für Facebook- und Instagram-Süchtige. Oder als Warnruf an Klickzahlen-Verliebte oder einfach nur Klickzahlen-Verkaufende auch in seriösen deutschen (Medien-) Unternehmen 🙂

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/social-media-app-botnet-bots-machen-userinnen-und-user-zu-bekannten-influencern

Deutschlandfunk Nova, Hielscher oder Haase vom 02.03.2020 (Moderation: Diane Hielscher)

YouTube wird NICHT wirtschaftlich uninteressante Videos rauskicken

Ich hatte heute wieder mal Dienst als Montag-morgen-„Netzreporter“ bei Deutschlandfunk Nova. Und das ist immer ein bisschen heikel – weil halt nach dem Wochenende die Themensituation tendenziell so etwas mau ist. Aber dann kam ja nach dem ersten Slot noch eine regelrechte Kracher-Meldung rein: YouTube führt eine neue „Terms-of-Service“-Klausel ein, wonach sich die Plattform vorbehält, Inhalte, die für sie „wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll“ sind, rauszukicken, zu terminieren.

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Tolle Geschichte – stand bei Mashable; an sich ja eine verlässliche Quelle. In dem Artikel auch diverse Twitter-Postings von empörten Usern, oder Influenzern – und der Link zu einem Reddit-Thread mit zehntausenden ebenfalls überwiegend empörten Nutzern. Zum Glück hab ich noch mal ganz kurz gegoogelt. Und siehe da: Die angebliche Neuerung ist in Wirklichkeit ein alter Hut. Offenbar ist in der US-Version der YouTube-ToS lediglich eine kleine Umformulierung passiert und ein Halbsatz hinzugekommen. Den haben aber offenbar sowohl die empörten User als auch der Mashable-Autor auch noch missverstanden:

„YouTube may terminate your access, or your Google account’s access to all part of the Service if YouTube believes …that provision of service to you is no longer commercially viable…”

…muss natürlich nicht als “entweder der Zugang oder der Zugang zum Google-Account“ gelesen werden… (es folgt die Bullshit-Fehlinterpretation bei Mashable…)

It should also be noted that the terms specifically state the company can terminate a user’s Google account as well. As written, a YouTuber can lose their Gmail, Google Photos, Documents, and more just for “no longer being commercially viable” on the video platform.      

…, sondern als „oder der Zugang per Google-Account“ – und genau so steht das auch in den für uns in Europa ab dem 7.Juli geltenden Bedingungen auf Deutsch drin:

„Kündigung durch YouTube aufgrund von Änderungen des Dienstes:

YouTube kann gegebenenfalls Ihren Zugriff oder den Zugriff Ihres Google-Kontos auf den gesamten oder einen Teil des Dienstes kündigen, wenn YouTube berechtigterweise davon ausgeht, dass die Bereitstellung des Dienstes an Sie nicht mehr wirtschaftlich ist.“

Die angebliche neue Gefahr, dass YouTube nach Gutdünken den Zugang zu einem Google Account „terminieren“ kann oder will: Ist totaler Bullshit. Und auch die andere Befürchtung ist kompletter Unsinn: YouTube wird natürlich niemals eine Neuregelung oder neue Hürde einführen, wonach Inhalte, die nicht gut performen, rausgekickt werden. Totaler Quatsch. Das Geschäftsmodell von YouTube ist ja gerade: Jede(r) kann seinen/ihren Bullshit hochladen – und wenn das erwarteter oder eben auch unerwarteterweise performt, fließt Werbekohle.

Mittlerweile hat YouTube ja ein kurzes Statement an Mashable übermittelt:

„We made some changes to our Terms of Service in order to make them easier to read and to ensure they’re up to date. We’re not changing the way our products work, how we collect or process data, or any of your settings.”

Aber Mashable hat offenbar immer noch nicht ganz gerafft, dass der ganze Artikel ein Missverständnis war.

DLF Nova – Hielscher oder Haase vom 11.11.2019 – Moderation: Diane Hielscher

 

P.S. Mittlerweile boostet die Story quasi weltweit – da sieht man mal wieder, was eine ordentliche Netz-Reichweite ausmacht. Ändert aber nix daran, dass Mashable hier eine Ente

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lanciert hat 🙂

P.S. 2: Mashable hat ja auch das zweite Dementi von YouTube unter seinem Artikel gepostet:

To clarify, there are no new rights in our ToS to terminate an account bc it’s not making money. As before, we may discontinue certain YouTube features or parts of the service, for ex., if they’re outdated or have low usage. This does not impact creators/viewers in any new ways.

Mashable Ist aber offenbar noch immer nicht bereit, mal anzuerkennen oder richtigzustellen, dass die komplette Story ein peinlicher, unrecherchierter Fake Irrtum war. Heise hat heute über die „Verwirrung“ in dem Fall berichtet – interessanterweise aber, ohne die Quelle der „Verwirrung“ (eben Mashable…) zu benennen.

Der Wahnsinn ist ja wirklich – und davon bin ich ja als ebenfalls normalerweise „kuratierender“ Netzreporter auch betroffen: Eine Fake-News/ein Irrtum von einer vermeintlich glaubwürdigen Quelle mit immensem Impact-Faktor wie Mashable verbreitet sich um die ganze Welt, ohne dass da mal irgendwie einer gegencheckt – was in dem Fall ganz einfach war. Wenn wir das mal hochrechnen auf vielleicht noch wichtigere Themen als (nicht-) geänderte YouTube-Nutzerbedingungen – dann wird einem ganz anders.

Die (vermeintliche…) Naivität der Digital-Asketen

In meinem Firefox-Empfehlungs-Neuer-Tab ist gerade ein Gastbeitrag von Jürgen Geuter; seines Zeichens „Autor und Informatiker“ aufgepoppt – hab ich mal gelesen und kommentiere den mal „wie folgt“ 🙂 …

Also: Das Digitale ist angeblich ebenso real wie die „echte“, analoge Welt – natürlich will ich das jetzt nicht total komplett abstreiten, sonst säbel ich mir ja meine wirtschaftliche Existenzberechtigung ab 🙂 Aber mal ernsthaft – gegen eine zielgerichtete Nutzung „Sozialer Medien“ mit persönlich bekannten Leuten; „von der Kita über den Landfrauenverein bis zu Selbsthilfegruppen für Menschen mit Migräne und ‚Fridays for Future‘ “ spricht natürlich gar nix – von kleinen Details wie dem datenschutzrechtlich nicht gestatteten Hochladen sämtlicher Smartphone-Kontakte zu Facebook oder WhatsApp jetzt mal abgesehen…

Vielleicht ist ja die WhatsApp-Kommunikation mit der „guten Freundin“ in der „Supermarktschlange“ total ok und hinreichend real. Ist es aber auch das „normale“ Dauer-Checken der WhatsApp- oder Twitter- oder Facebook- oder Instagram- oder Youtube- oder Twitch-Timeline? Vielleicht steht ja gerade die Traumfrau vor Dir in der „Supermarktschlange“; greift ebenso wie Du zu den „fair traded“ Artikeln, kauft ebenso nur Single-Mengen ein; und Du checkst es aber nicht, weil Du gerade (wie immer im Dauermodus…) auf Dein Phone starrst??

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Ich war gerade im Urlaub; unter anderem zusammen mit meinem 15-jährigen Neffen. Ich hab mir da in Rosenheim ein Mini-Cabrio ausgeliehen, und wir sind da an einem wunderschönen Sommertag nach Bad Aibling zum Minigolf gefahren. Und mein Neffe hat da auf dem Beifahrersitz gehockt und auf sein Smartphone geglotzt, mit irgendwelchen lächerlichen Spielchen. Und dann hab ich gesagt: „Wir fahren hier gerade mit einem Cabrio durch eine wunderbare Landschaft, und Du guckst auf ein beschissenes Smartphone mit einem lächerlichen, beschissenen Spielchen.“

Der (traurige…) Witz ist – die „digitale Option“ wird ja nicht nur zur zielgerichteten (und natürlich völlig legitimen…) Kommunikation eingesetzt, sondern zur Multitasking-Dauerberieselung. Der „digitale“ Input ist regelmäßig „wichtiger“ als der analoge – sprich; da haben sich zwei Leute verabredet und sitzen im Cafe oder Restaurant – und der oder die oder beide checken aber dauernd ihre beschissenen siehe-oben-Nachrichten. Ein Wunder, dass unter diesen Umständen überhaupt noch Sex stattfindet. 🙂

Es geht; anders als das der SZ-Gastautor suggeriert, keinesfalls nur im beruflichen Bereich darum, „Normen und Strategien (zu) finden, sich selbst vor Stress und Entgrenzung zu schützen“. Die Clickbait- und (eigentlich…) völlig irrelevanten „News“, „Statusupdates“ und Newsline-Updates eben auch von „Freunden“; mit dem „digitalen“ Zwang oder vermeintlichen Zwang, die auch zeitnah zu beantworten – die beanspruchen schlichtweg einen Großteil des Aufmerksamkeitsbudgets „normaler“ Zeitgenossen.

Das hat überhaupt nix mit einem „reaktionärem Verständnis der Welt“ zu tun. Natürlich ist nicht jede(r) berufen, sich (durch Digital Detoxing…) zu einer(m) „Albert Einstein oder Simone de Beauvoir“ aufzuschwingen. Aber das Wahrnehmen des Gegenübers oder der Landschaft in einer ganz realen Echtzeit-Situation wär ja auch schon mal nicht schlecht. Vielleicht sind Gegenüber und Landschaft ja scheiße. Vielleicht ist man (bist Du…) auch selbst scheiße. Vielleicht ist aber auch der digitale Input und die Klo-Benutzungs- oder Katzenbilder-Statusmeldungen und das Twitch-Gelaber deiner „Freunde“ und Kontakte und „Vorbilder“ und Social-Media-„Helden“ Scheiße.

Per se besser (oder auch nur gleichwertig…) ist der „digitale“ Blick auf die Welt  jedenfalls nicht – allein schon, weil er normalerweise nicht so stark von der Echtzeit abhängig ist. Und wie gesagt: Wer weiß, was sich da in der Supermarktschlange tun kann… Die nächste Mathe-Klausur vorbereiten und rechtzeitig ins Bett zu gehen, statt Laberwasser-gestörten gutverdienenden Minecraft-Spielern zu lauschen (am besten in zeitverschobenen Nachtstunden…) wäre in bestimmten Lebenssituationen auch nicht schlecht…

Facebook in 50 Jahren: Mehr tot als lebendig

Dass Soziale Netzwerke und der ständige (vorwiegend mobile…) Zugriff darauf Zombies produzieren, ist eh klar 🙂 Aber dass die Toten oder eben vielmehr die Untoten (verstorbene Nutzer mit verwaisten oder in den Gedenkzustand versetzten Accounts…) irgendwann bei Facebook in der Mehrzahl gegenüber den Lebenden sein werden, darauf muss man erst mal kommen. Aber klar; im Gegensatz zu Mikroben oder sonst was pflanzt sich der Mensch nicht exponentiell fort, es gibt also auch trotz eines gewissen oder vielleicht sogar besorgniserregenden Bevölkerungswachstums insgesamt schon mehr Gestorbene als noch Lebende.

Und zweitens: Facebook hat eine so gewaltige Userzahl, dass es überhaupt erst Sinn macht, deren Entwicklung mit der prognostizierten Entwicklung der Weltbevölkerung zu korrelieren: Im „optimistischen“ Szenario der beiden Forscher Carl Öhman und David Watson vom Oxford Internet Institute wächst das Netzwerk mit der derzeitigen Rate von 13% jährlich bis zur „Marktsättigung“ – soll heißen; jeder Mensch auf der Erde, der einen Facebook-Account haben will, hat dann einen. Mehr Wachstum geht nicht, und insofern setzt dann der oben erwähnte Mechanismus ein: Die Nutzer sterben, und auch wenn es eine Generation neue User geben sollte, stehen denen erst eine, dann zwei, dann drei Generationen tote User (bzw. eben deren Gedenk- oder vergessene Profile…) gegenüber…

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Unmittelbar einsichtig wird der Effekt beim Extrem-Szenario der Wissenschaftler: Wenn von heute auf morgen kein neuer Nutzer mehr zu Facebook dazu käme, dann ginge das Sterben sofort los – dann würden übrigens asiatische User den größten Teil der Toten/Untoten stellen. Beim zweiten, realistischeren Szenario (eine vielleicht ja angebrachte Facebook-Kernschmelze infolge eines noch mal potenzierten Cambridge-Analytica-Effekts halten die Autoren für unwahrscheinlich; ich stimme da zu..) inklusive weiteren Wachstums wären das hingegen die Afrikaner: Das reflektiert schlicht und ergreifend die derzeitigen und prognostizierten User-Zuwachsraten und die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in den betroffenen Regionen.

Aber eigentlich ist das Ganze nur ein Big-Data-Rechenexempel, das zeigt: Das digitale Erbe, die digitalen Hinterlassenschaften von Menschen im Netz; nicht nur bei Facebook – die sind in ein paar Jahren kein exotisches Szenario mehr, sondern Mainstream. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob ein User-Profil eines stinknormalen Menschen überhaupt erhalten werden muss oder sollte, oder im Gegenteil im Daten-Nirvana am besten aufgehoben ist – nur; die Entscheidung darüber, das meinen die Autoren der Studie wahrscheinlich zu Recht – die sollte vielleicht besser nicht in der Entscheidungsgewalt eines privaten, gewinnorientierten Unternehmens wie Facebook liegen.

Wie in anderen Disziplinen auch (Einflussnahme auf Wahlen, Mobilisierung von durchgeknallten Extremen…) – ab einer bestimmten Größe ist ein Privatunternehmen mit privaten Nutzungs-Regeln eben nicht mehr privat – und das gilt auch für die toten User.

Facebook in 50 Jahren: Mehr tot als lebendig

DLF Nova – Hielscher oder Haase vom 29.04.2019 (Moderation: Diane Hielscher)

Antisemitische Schmierfink-Kampagnen von Facebook? Blödsinn!

Jetzt ist mal Schluss. Mit dem Quatsch.

Ich bin ja wirklich nicht im Verdacht, irgendwie Fan von Facebook zu sein; da kann man einfach mal meine diversen Beiträge zu dem Laden Revue passieren lassen. Ich bin aus gutem Grund nicht selbst bei dem Verein angemeldet (bis auf einen uralten Gag-/Testaccount, der bezeichnenderweise niemals von Facebook gelöscht worden ist; trotz des offensichtlichen Fake-Usernamens und der Null-Interaktion; soviel zur Relevanz der Userzahlen  🙂  ) Facebook ist für mich die Nummer eins im No-Go-Datenabgreif- und Privacy-Schändungs-Konzept dieser modernen Zeiten – bei dem die User ja bereitwillig mitmachen; insofern sind die Alarmrufe von Bedenkenträgern wie mir ja auch vielleicht einfach eine Minderheitsposition.

Ich habe am 16.11. über den NYT-Artikel berichtet, in dem die PR-Strategie von Facebook beleuchtet wurde – eine offensive „Gegenangriffs-Strategie“ als Reaktion auf den vielfältigen Gegenwind, dem Facebook beginnend mit der Cambridge-Analytica-Affäre ausgesetzt war. Dass die „Kotau/wir haben verstanden“ – Geste von Mark Zuckerberg auch nur eine Geste oder vielleicht nur ein Fake war: geschenkt. Aber jetzt noch mal zu den Fakten der PR-Kampagne zurück: Der „Multimilliardär und Philantrop“ (nein, nicht Mark Zuckerberg, sondern George Soros) hat sich diverse Male, z.B. in Davos, äußerst kritisch zu Facebook (und Google…) geäußert und eine Regulierung bzw. Zerschlagung der Unternehmen gefordert.

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Danach soll dann Sheryl Sandberg Facebook-Mitarbeiter damit beauftragt haben, herauszufinden, „weshalb Soros die Tech-Unternehmen angegriffen habe und ob er daraus einen finanziellen Vorteil erzielen wollte„. Ist diese Idee vollkommen absurd? Nein. Herr Soros hat durchaus in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten immer wieder diverse Kampagnen angeschoben; wir können es auch nennen: Meinungspositionen in den öffentlichen Raum gestellt; um daraus finanzielle Vorteile zu generieren. In ziemlich happigen Dimensionen; ein Multi-Milliardär-Vermögen und eine daraus resultierende nennenswerte philantropische Kapazität (die möglicherweise auch wieder eine politische Agenda verfolgt…) entstehen normalerweise nicht aus einer Kassierer-Tätigkeit bei Aldi.

George Soros ist Jude. Daraus; aus seinem Reichtum, und aus seinen vielleicht philantropischen oder vielleicht auch politisch motivierten Aktionen und Engagements erwächst natürlich sofort ein häßlicher Gegenpol: Antisemitismus. Gegen die aktuelle ungarische Regierung; leider auch gegen sehr populäre Positionen in der ungarischen Bevölkerung; vielleicht sogar eben gegen  die Mehrheitsmeinung dort lässt sich einiges argumentieren. George Soros hat das getan; die ungarische Regierung hat im Gegenzug die wohlfeile Antisemitimus-Karte gezogen; mittlerweile hat die Soros-Stiftung das Land verlassen.

Es gibt also, klarer Fall,  jede Menge antisemitische Angriffe gegen George Soros. Aber heißt das jetzt, dass jeder Angriff gegen George Soros antisemitisch ist? Das ist so totaler Bullshit, dass ich kotzen könnte. Mark Zuckerberg ist Jude. Sheryl Sandberg ist Jüdin. Wenn die beiden jetzt eine PR-Agentur beauftragt haben, die Journalisten mit Material darüber versorgen, dass George Soros eine angebliche Grassroot-Gruppe finanziell unterstützt haben soll, die gegen Facebook agitiert – ist das dann eine „antisemitische Schmierfink-Kampagne„? Bullshit!!

Noch mal mein Fazit: Facebook agiert nicht moralisch, sondern geschäftlich. Aber antisemitisch bestimmt nicht. Wie kann man nur auf so einen völlig abstrusen Quatsch kommen? Überdosis „political correctness“? Oder eben einfach das ungeprüfte „Stille Post“-Weitergeben von vereinfachten, verkürzten oder falschen anderen News-Quellen? Das ist dann im Resultat genau das, was unsere allseits beliebten Freunde (leider in dem Fall berechtigt…) als „Fake-News“ taggen können.

New York Times wirft Facebook Meinungsmanipulation vor

„Delay, Deny and Deflect“ –  „Verzögern, abstreiten, ablenken“, hat die NYT am Mittwoch auf Seite eins einen Artikel über Facebook überschrieben; „Verzögern, abstreiten und ablenken“, das sei nämlich die Unternehmens- und Kommunikationsstrategie des Social Networks. Der Artikel ist ein richtiger Riemen. Wenn man ihn ausdruckt, sind das 20 Seiten Text. Mit über 50 Informanten hat die Zeitung gesprochen, die meisten davon sind ehemalige oder aktuelle hochrangige Facebook-Mitarbeiter, die wohlweislich anonym bleiben. Und das Bild, das in dem Artikel entsteht, ist äußerst kritisch: Facebook gehe nicht offen und ehrlich mit seinen vielen Problemen um, sondern versuche mit anrüchigen PR-Kampagnen die öffentliche Meinung zu manipulieren, so das NT-Fazit.

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Inzwischen hat Facebook, hat Mark Zuckerberg auf den Artikel reagiert. Und hat zumindest versucht, sich selbst und seine Geschäftsführerin Sheryl Sandberg aus der Schusslinie zu nehmen. Der vielleicht heikelste Punkt in dem NYT-Dossier war ja, dass Facebook eine PR-Agentur namens „Definers Public Affairs“ damit beauftragt haben soll, nicht nur das eigene Image möglichst reinzuwaschen, sondern quasi auch noch einen Gegen- oder Entlastungsangriff zu fahren: Facebook-Kritiker schlecht zu machen, und negative Stories über Konkurrenten zu lancieren.

Mark Zuckerberg hat in einer eiligst einberufenen Pressekonferenz gesagt, er selbst und auch Sheryl Sandberg hätten von solchen Aufträgen an die PR-Agentur nichts gewusst. Den Vertrag mit „Definers Public Affairs“ hatte Zuckerberg ja praktisch unmittelbar nach Veröffentlichung des NYT-Artikels gecancelt. Halten wir einmal fest – das Schlechtmachen von Konkurrenten (oder zumindest mal Ablenkungsmanöver a la „die haben aber auch Dreck am Stecken“…) sind völlig normal in der Welt der PR. Sie passen nur halt relativ schlecht in die Demuts-Message von Facebook „wir haben verstanden“.

Aber auch das nochmal: Die Vorstellung, Facebook würde und könne vorwiegend nach hehren moralischen Kriterien agieren, ist halt ziemlich naiv. (Keine Ahnung, ob Mark Zuckerberg das selbst glaubt, zuviel Gras geraucht hat oder ein totaler Zyniker ist… 🙂 ) Das versuchen vielleicht kirchliche Organisationen. Und selbst da klappt das ja nicht immer.

New York Times wirft Facebook Meinungsmanipulation vor

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 16.11.2018 – Moderation: Diane Hielscher

Facebook: Die Entscheidung über Politiker-Posts übernimmt die Zentrale

Man könnte fast schon Mitleid bekommen mit Facebook. Denn auseinanderzuhalten, welche User-Posts ok sind und welche nicht, das ist auch mit den schönsten Content-Richtlinien immer wieder eine Gratwanderung. Wenn Einträge online gehen, die nach US-amerikanischem Recht zulässig wären und unter die am Stammsitz des Social Networks sehr weit gefasste Meinungsfreiheit fielen, dann schreit vielleicht der Justizminister eines unbedeutenden Zwergstaates irgendwo auf der Welt Zeter und Mordio und droht mit empfindlichen Geldstrafen und Zwangsmaßnahmen 🙂 .

Aber zum Glück muss Mark Zuckerberg die heikle Arbeit ja nicht selbst machen, sondern kann sie aus der immer noch prall gefüllten Geldbörse an mau bezahlte Hilfskräfte weitergeben. Für den „einfachsten“ und schlimmsten Job – das Aussortieren von exzessivster Gewalt und Kinderpornografie – zahlt Facebook „logischerweise“ am wenigsten; das Begutachten von Texten erfordert hingegen schon eine höhere und vor allem muttersprachliche Qualifikation – dafür gibt es dann in einem jungen, hippen Team im schönen Berlin glatte 1400 Euro monatlich zu verdienen; ggf. plus Zuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit.

Und ein weiterer Bonus ist drin, wenn ein(e) Content-Moderator(in) bei der Entscheidung „Löschen oder stehen lassen“ überproportional oft richtig lag. Knifflige Fälle, etwa nach „Zensur!“-Protesten von hochrangigen Politikern, übernimmt die Zentrale. Der Bericht von „Zoltan“ auf der ungarischen Website 444.hu ist auch über den Umgang mit dem Video des Fidesz-Kabinettchefs Janos Lazar hinaus interessant – so reichen offenbar subtile Umformulierungen aus, die Facebook-No-Go-Kriterien zu umschiffen und die beabsichtigte Botschaft doch noch recht unmissverständlich ans Volk zu bringen.

Facebook Moderator: Posts von ungarischem Kabinettschef bleiben unangetastet · Dlf Nova

Deutschlandfunk Nova – Hielscher oder Haase vom 15.08.2018 (Moderation: Till Haase)

Social Science One: Facebook-Daten für Wissenschaftler

Die großen Social Networks sind keine Wohltätigkeitsveranstaltungen, sondern kommerzielle Unternehmen. Und trotzdem – das eigentliche Kapital eines solchen Unternehmens; die User nämlich, deren Aktionen und deren Beziehungen untereinander sind nicht nur für Werbekunden höchst interessant, sondern auch für Wissenschaftler. Aus Social-Media-Daten lassen sich Erkenntnisse über politische Vorlieben und soziologische Fakten ablesen, aber auch über Ernährungsgewohnheiten oder Grippeepidemien – ein auch nur annähernd vergleichbares Datenmaterial war bis vor ein paar Jahren schlichtweg nicht verfügbar.

Wie die anderen Plattformen hat Facebook auch bislang schon Wissenschaftlern zuweilen Zugriff auf seinen Datenschatz eingeräumt – allerdings zum einen mit gewissen Einschränkungen und Bedingungen, zum anderen mit wenig Fortune bei der Kontrolle dieses Zugriffs; der Fall Cambridge Analytica hat sich bekanntlich zu einem ausgewachsenen Desaster für die Zuckerberg-Truppe entwickelt – und zum Auslöser einer gewaltigen Goodwill- und Transparenz-Offensive.

In die passt auch der neue Ansatz zum Datenzugang für Wissenschaftler – der soll nun über eine unabhängige Forschungskommission ablaufen. „Social Science One“ ist dabei nicht nur Vermittler zwischen dem Social Network und interessierten Forschern, dem Gremium steht sogar ein ganz ansehnlicher Fördergeldtopf und ein Peer-Review-Pool zur Verfügung; für die Auswahl unterstützungswürdiger Projekte hat man Berater in aller Welt rekrutiert, u.a. auch an deutschen Universitäten.

Social Science One: Facebook lässt Wissenschaftler an Daten · Dlf Nova

Deutschlandfunk Nova – Hielscher oder Haase vom 12.07.2018 (Moderation: Diane Hielscher)