„Baerbocks Digitaldetektive decken russische Lügenkampagne auf“

Das ist eine auf den ersten Blick sehr nett, aber in Wirklichkeit völlig beknackt formulierte Schlagzeile. Sie stammt (natürlich!) von den geschätzten Ex-KollegInnen von Spiegel.de – die mich hoffentlich deswegen nicht abmahnen oder verklagen. Was aber auch nicht funktionieren würde, weil ich die Clickbait-Headline 🙂 ja hier jetzt einordne und kommentiere und mit einer Menge eigenem investigativem Content garniere. 😊

Also „Baerbocks Digitaldetektive“ – das sind offenbar ungenannte „Experten im Auftrag des Auswärtigen Amts“, die über „spezielle Software“ verfügen, mit der sich Fake-Accounts bei X, früher mal Twitter, aufspüren und identifizieren lassen. Und die Baerbockschen Digitaldetektive haben – hoffentlich gut bezahlt – ein Desinformations-Netz auf X aufgespürt und aufgedeckt, über das die üblichen Verdächtigen – russische Trolle – wieder mal unsere schöne freiheitlich-demokratische Grundordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern versuchen.

Dimitri N. arbeitet in einer russischen Troll-Farm und versucht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch Postings in Elon Musks Social Network „X“ zu untergraben (Bild: privat)

Das habe ich heute morgen bei Tagesschau.de gelesen und bei der Faz. Die Berichte dort sind allerdings etwas mau in Bezug auf etwaige Details, über die verwendete „Spezial-Software“ und über etwaige Belege (zum Beispiel Screenshots von identifizierten Accounts samt ihren Postings…), mit denen ich als Fachjournalist oder mit denen auch die geneigte Öffentlichkeit den Sachverhalt nachvollziehen könnte. Das ist insofern erklärlich, als die Berichte auch nur auf den Artikel bei spiegel.de verweisen – der allerdings hinter einer Paywall steckt.

Ich unterhalte als freier Journalist mit Schwerpunkt Wissenschaft und Computer verschiedene Presse-Abos: Faz, Zeit, New York Times, Washington Post, Guardian, Wired, c’t, Mac&I und Übermedien – Spiegel ist jetzt leider nicht dabei; da ist für meinen Fachbereich normalerweise nicht so viel genuin unverzichtbar neues zu lesen. Insofern hab ich heute morgen mal eine Anfrage an das Auswärtige Amt gestellt:

Guten Morgen liebe KollegInnen,

ich habe gerade bei Tagesschau.de und Faz.net https://www.tagesschau.de/inland/desinformation-kampagne-russland-100.html die Geschichte mit der Kampagne gelesen. So wie sie da steht, ist sie ja reichlich dünn und nicht nachvollziehbar/nachprüfbar – wie Sie sicherlich wissen, gibt es ja durchaus Diskussionen darüber, wie zuverlässig sich Fake-Accounts bei X von „echten“ unterscheiden lassen.

Gibt es insofern von Ihnen noch irgendwelche näheren Informationen dazu („vertrauliche Analyse“) oder gab es die nur exklusiv für die Kollegen vom Spiegel hinter deren Paywall oder steht in deren Artikel auch nicht viel mehr drin?

Ich nehme zwar an, dass wir irgendwo im DLF auch noch einen SPON-Zugang haben, nur komme ich als da freier Mitarbeiter nicht ohne weiteres dran. Privat kann ich auch beim besten Willen nicht alle Medien abonnieren. Und so wäre jetzt mein Reflex – „da soll es also was gegeben haben“, nähere Infos sind aber nur (vielleicht…) hinter einer Paywall – dann hake ich das mal ab.

Mit freundlichen Grüßen,

Michael Gessat

Am Abend habe ich eine Antwort bekommen – die stellvertretende Sprecherin Kathrin Deschauer habe sich „in der heutigen Regierungspressekonferenz“ dazu geäußert, insofern verweise man „an dieser Stelle“ auf deren Äußerungen. Dann hab ich mir natürlich die PK angeschaut. Hier ist mal die Stelle im Kanal des geschätzten naiven Kollegen – keine Ahnung, warum Google mir das als ersten Treffer geliefert hat…

Hier auch mal das Transkript der Anfrage, der Nachfrage und der Antworten von Frau Deschauer:

Dann, Herr Kuhn.

Eine Frage an das Auswärtige Amt bezüglich des Spiegelberichts, wonach Ihr Haus und Experten aus Ihrem Haus eine russische Desinformationskampagne entdeckt hätten, mit bis zu 50.000 beteiligten Konten. Vielleicht können Sie uns ein bisschen was zu den Details sagen. Da ist von einer Software die Rede. Welche Software würde wurde für die Analyse verwendet? Welche Indizien und Beweise gibt es, dass es eine koordinierte Kampagne ist? Und welche Indizien oder Beweise gibt es, dass diese Kampagne aus Russland gesteuert wird?

(Deschauer) Also wir handhaben das ja hier grundsätzlich so, dass wir Medienberichterstattung nicht kommentieren. Das würde ich in dem Fall auch nicht machen. Insofern möchte ich ganz grundsätzlich etwas sagen und kann auch ganz grundsätzlich etwas sagen, einordnen zu Desinformationen, Desinformationskampagnen und auch zur Bedeutung, die diese für Regierungshandeln haben kann. Der Desinformation ist sicher zu einem globalen Bedrohungsfaktor geworden. Sie wird von denjenigen eingesetzt, die unsere Werte nicht teilen und teilweise auch gezielt eingesetzt, um Gesellschaften zu destabilisieren. Und das gilt nicht nur für Deutschland oder westliche Demokratien. Das ist auch weltweit zu beobachten. Und beispielsweise gibt es nicht authentische Plattformen, Profile, die Desinformation verbreiten. Das können Bildkacheln sein, das können kurze Videos sein, es können online links sein. Das sind einige Beispiele, die wir grundsätzlich beobachten können. Und genau das würde ich jetzt für den Moment dabei belassen.

Nachfrage: Wir sind uns hier wahrscheinlich einig, dass oder vielleicht sind wir doch nicht, dass das nicht vom Heuwagen gefallen ist. Die Informationen, die der Spiegel da hat und im Jahr 2023 (Anmerkung der Redaktion – ok, wir haben sogar schon 2024…) so was über die Medien zu lancieren, falls es so sein sollte, ist auch etwas intransparent in dem Sinne, um Desinformation entgegenzuwirken. Zu diesem, ob es dieses Netzwerk gibt, hilft ja Transparenz am besten. Deswegen frage ich Sie noch mal: Welche Indizien oder Beweise gibt es in diesem Fall, dass es sich um eine koordinierte Kampagne handelt? Und welche Indizien oder Beweise gibt es, dass diese Kampagne aus Russland gesteuert wurde?

(Deschauer) Ich würde es dabei belassen, dass ich den Medienbericht nicht kommentiere, auch wenn ich ihr Interesse verstehen kann. Aber das handhaben wir hier so und ich würde es auch dabei belassen, dass wir aus Sicherheitsgründen es, verstehen Sie hoffentlich, nicht in Details einsteigen können, sondern ich kann Ihnen hier die Bedeutung der wirklich, der Desinformation als Einfallstor für Manipulationen in westliche Demokratien und Gesellschaften weltweit beschreiben. Das habe ich getan und bitte um Verständnis.

Ich habe daraufhin eine weitere Mail an die Pressestelle des AA geschrieben:

Liebe Frau W….,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ich habe mir jetzt die Äußerungen Ihrer stellvertretenden Sprecherin in der Regierungspressekonferenz angehört. … Ich möchte mal betonen – ich bin ein ganz seriöser, staatstragender 🙂 öffentlich-rechtlicher Journalist. Das Phänomen der Sockenpuppen-Farmen und Desinformation aus russischen Quellen ist mir völlig vertraut, daran zweifle ich natürlich auch nicht und darüber habe ich oft berichtet. Die Frage ist nur trotzdem grundsätzlich, welche angeblichen oder vermeintlichen Fake- oder „Bot“-Accounts in Social Media tatsächlich Fake-Accounts sind – denn dabei gibt es – das kann ich als Fachjournalist und Netz-Experte sagen – bei Laien und leider auch unkritischen Medien-Kollegen falsche Vorstellungen. Insofern sind die Fragen des Kollegen Kuhn in der PK absolut berechtigt. Sie haben ja auch eine gewaltige politische Brisanz – wenn nämlich ein gewisser Teil der vermeintlichen Fake-Accounts oder -Postings authentisch wäre oder eben tatsächlich von deutschen Social-Media-Teilnehmern stammen würden, dann hätten wir ja ein viel größeres Problem 🙂 …

Der Kollege hat also absolut recht mit seiner Anmerkung, dass Sie als AA hier größtmögliche Transparenz über ihre Studie schaffen sollten. Ich muss ganz ehrlich sagen, die Äußerungen Ihrer Kollegin Deschauer sind vor diesem Hintergrund absolut ärgerlich und kontraproduktiv. Sie stechen erst Informationen an ein Presseorgan (Spiegel) hinter einer Paywall durch und weigern sich dann, die „Medienberichte“ zu kommentieren, die sie selbst lanciert haben?? Das kann ja wohl nicht wahr sein.

Die angeführten „Sicherheitsgründe“ für eine Nicht-Information (bzw. eine nicht nachvollziehbar exklusive Information an ein einzelnes Presseorgan…)  bei einem allgemein bekannten und nun wirklich auch nicht geheimdienst-verdächtigen Phänomen in öffentlichen Netzwerken sind auch – Entschuldigung – lächerlich.

Ich bin einigermaßen empört. Wir reden hier von „Desinformation“. Dagegen brauchen wir völlig transparente Information – falls Sie das noch nicht ganz gecheckt haben. Und falls Sie noch nicht ganz gecheckt haben, wie völlig kontraproduktiv rumschwurbeln und Informations-Zurückhalten und Intransparenz sind. Genau das wird – mit Bezug auf uns öffentlich-rechtliche Sender, aber auch mit Bezug auf Sie in der Regierung – von den Demokratie-Zweiflern und -Gegnern als Argument für die angebliche „Verschwörung“ und staatliche Manipulation angeführt. In den Social Media übrigens. Nicht von Fake-Accounts übrigens.

Mit freundlichen Grüßen,

Michael Gessat

Ich kann nur noch mal resümieren – wenn man als Vertreter eines „Diktatur“-Narrativs unterwegs ist, oder eben zu den Russen-Trollen gehört – dann braucht man nur die Passage aus der Regierungskonferenz und die transparenz-verweigernden, Worthülsen-produzierenden Statements der unfroh dreinschauenden Sprecherin des AAs rauszuschneiden. Und hat den „perfekten“ „Beweis“, dass die Berichte über die angebliche russische Desinformations-Kampagne „natürlich“ Fake und Propaganda der amerika-hörigen Bundesregierung sind.

Das wär echt extrem hilfreich, wenn die Super-Checker in der Bundesregierung samt ihren Super-Experten mal so ganz einfache Kommunikations-Mechanismen checken würden. Super-bezahlte Beratungs-Auträge nehme ich als freier Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks übrigens immer gerne entgegen. 🙂

Ein Gedanke zu „„Baerbocks Digitaldetektive decken russische Lügenkampagne auf“

  1. Prof. Dr. Key Pousttchi

    Gut gebrüllt, Löwe. Ehrlicher Journalismus. Danke dafür. Und im übrigen das beste, was wir gegen Desinformation (sowohl aus Rußland als auch in diesem Fall aus dem AA) tun können.

    Meine Vermutung zu der Spezialsoftware ist: Es gibt sie gar nicht, zumindest nicht in einer Form, die den Namen verdienen würde. Jeder TwitterX-Nutzer kennt ja diese hölzernen „Für die Ukraine ist Geld da, für xyz nicht“-Postings, um die und ähnliche es offensichtlich geht.

    Die Grundgesamtheit der Berichte, auf die verwiesen wird, scheint mir dabei gar nicht so groß – die Anzahl der Accounts, die auf diese verweisen, dagegen sehr groß. Wenn man aber die Berichte weitgehend kennt, kann man problemlos ein kurzes Skript schreiben, das darauf verweisende Accounts identifiziert, kategorisiert und auflistet. Der „Experte“ könnte in diesem Fall durchaus ein programmierkundiger Praktikant sein, oder mehrere. Meine Studenten in Potsdam konnten sowas jedenfalls.

    Und falls ich als Ministerium so etwas machen würde, und statt der trockenen Wahrheit eine große Heldengeschichte dazu erzähle (bzw. von einem mir gewogenen Medium erzählen lasse), wäre mir sehr daran gelegen, daß es nicht rauskommt und ich gebe nich bei Nachfragen sehr zugeknöpft.

    Aber das ist natürlich nur eine Theorie. An die Herr Kuhn und Sie vermutlich auch schon gedacht haben. Für diese Theorie spräche allerdings a), daß so etwas ja eigentlich nicht Aufgabe des AA, sondern eher des BSI wäre, und b), daß zwar die alten Troll-Accounts gesperrt zu sein scheinen, aber heute bereits wieder neue Postings der bekannten Strickmuster aufgetaucht sind – das Problem also mitnichten gelöst ist.

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