Schlagwort-Archive: Musik

Mila Röder – ein bühnenreifes Leben

Auf dem Friedhof in Bad Honnef steht ein Bauwerk, das herausragt aus den anderen dortigen Erinnerungen an andere Verstorbene: Das Mausoleum der Familie Röder. Ferdinand Röder, einst der bedeutendste Theateragent Deutschlands liegt da begraben. Seine (zweite…) Gattin „Annette“ Röder. Und seine geliebte Adoptiv-Tochter Mila, einst nicht zuletzt für ihre Schönheit gefeierte Sängerin – aber Zeit ihres kurzen Lebens gefangen im Korsett der Erwartungen ihres Ziehvaters und ihrer ehrgeizigen Mutter.

Catrin Möderler, meine gute „uralte“ Freundin – wir hatten uns mal vor Jahrzehnten bei einem Workshop der Musikhochschule Köln kennengelernt – ist selbst ausgebildete Sängerin. Übrigens eher im hochdramatischen als im Soubretten-Fach… Catrin Möderler hat mit bewundernswertem Rechercheaufwand die Biografie der Mila Röder, der herausragenden „Tochter“ der Stadt Bad Honnef rekonstruiert – und dabei die bisherigen geläufigen biografischen Irrtümer über die (zeitweilige…) Favoritin von Jacques Offenbach und Johann Strauss aufgeklärt.

In ihrer Beschreibung – ergänzt durch die höchst unterhaltsamen und meinungsstarken zeitgenössischen Zeugnisse aus Zeitungsrezensionen und Büchern – wird ein Leben nachvollziehbar, das „bühnenreif“ in der besonderen Freiheit der Kunst und der Theaterwelt stattfinden durfte – und andererseits doch immer von den Erwartungen und Beschränkungen der Zeit, der eigenen (schwächelnden…) Konstitution und der eigenen Biografie gehemmt wurde.

In Catrin Möderlers einfühlsamer Biografie wird eine Person wieder erlebbar, die in ihren zeitbedingten Umständen manche Schwierigkeiten im Weg stehen hatte – letztlich aber genau die Schwierigkeiten, die sich auch heute noch bei jeder künstlerischen Laufbahn neu stellen: Wem soll, wem kann ich vertrauen? Was kann ich wirklich? Wie schnell, oder vielleicht lieber wie behutsam soll ich meinen Weg gehen?

Catrin Möderlers Biografie über Mila Röder ist lesenswert für alle, die sich für Gesang; für die Opern-, Operetten- und Schauspielgeschichte des vergangenen Jahrhunderts interessieren – einer Zeit, in der nicht Privatfernsehen und Social Media, sondern die Bühne am Puls des Geschehens war…

Tidal soll Streamingzahlen gefälscht haben

Es läuft etwas gewaltig schief beim Musikstreaming-Dienst Tidal, und das schon seit geraumer Zeit – das ist jedenfalls das Bild, das beim Blick auf die Berichterstattung der norwegischen Finanz- und Wirtschaftszeitung Dagens Næringsliv entsteht. Nun ist die Dagens Næringsliv erstens keine Klitsche oder Gossip-Schleuder, und zweitens gibt es auch für die sehr hartnäckige und intensive Berichterstattung der Zeitung ausgerechnet über den Streamingdienst des Rappers Jay Z einen ganz naheliegenden Grund: Tidal hat ja norwegische Wurzeln; höchstwahrscheinlich sind weiterhin eine Reihe von Mitarbeitern der übernommenen Firma Aspiro an Bord – und aus diesem Kreis dürfte die Dagens Næringsliv mit allergrößter Wahrscheinlichkeit seit jeher die Insiderinformationen gesteckt bekommen haben.

Ende letzten Jahres hatte die Zeitung Details über die wirtschaftliche Situation von Tidal vermeldet – die Abonnenten- und Streamingzahlen seien weiterhin viel zu gering, um aus der Verlustzone herauszukommen und zu den Big Playern wie Spotify aufzuschließen, Tidal gehe schlicht und ergreifend in sehr absehbarer Zeit das Geld aus. Die jüngste Veröffentlichung von Dagens Næringsliv ist noch einmal deutlich brisanter – wirtschaftlicher Misserfolg ist eine Sache; Manipulation von Streamingzahlen, Bereicherung und Betrug eine ganz andere. Tidal weist die Vorwürfe empört zurück – das dürfte wohl ein Fall für die Staatsanwaltschaft werden.

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Bleibt ein kurzer Blick auf die berühmte Überlegung „cui bono“. Szenario eins: Die Daten auf der von Dagens Næringsliv präsentierten Festplatte sind gefälscht (und zwar sehr aufwendig und wiederum mit immensem Insiderwissen…), das Ganze ist eine Racheaktion von Mitarbeitern oder der Versuch, Tidal sturmreif zu schießen, als Konkurrenten auszubooten oder billig zu übernehmen. Szenario zwei: Die Manipulation ist tatsächlich so passiert, Tidal steht das Wasser tatsächlich bis zum Hals und die Abzocke ist irgendwie der Versuch, vor der Pleite oder dem Notverkauf noch etwas Saft aus dem Laden zu pressen.

Wenn man die Meldungen der letzten Jahre noch einmal Revue passieren lässt – die gescheiterten Verkaufsgespräche mit Apple  oder Samsung  (die wohl nach einem intensiven Blick auf die Zahlen von Tidal und die Preisvorstellung abgewunken haben…), die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Engagements von Sprint, die seit jeher ständigen Querelen um Streaming-Zahlen und Ausschüttungen, am prominentesten vom möglicherweise ja jetzt „entschädigten“ Jay Z-Buddie Kanye West, dann die Vorwürfe der Tidal-Gründer an die Vorläuferfirma, deren Zahlen hätten schon nicht gestimmt und man selbst sei bei der Übernahme übers Ohr gehauen worden – dann kommt man schon irgendwie ins Grübeln.

Immerhin; sollten sich die Manipulationsvorwürfe bestätigen: Ein als Betrüger ertappter Gangster-Rapper hat im Gegensatz zu einem Automobilmanager oder Banker wenigstens ein dickes Plus – seine Street Credibility geht wieder rasant nach oben 🙂

Musikstreaming: Tidal soll Abrufzahlen gefälscht haben · Dlf Nova

Deutschlandfunk Nova – Hielscher oder Haase vom 11.05.2018 (Moderation: Till Haase)

Klassik-Sendung in China – und eine Crowdfunding-Seite

Wir sind ja ziemlich weit entfernt vom „Reich der Mitte“ und wissen daher auch recht wenig über die Stadt Chongqing – so richtig klein ist die allerdings nicht. Was wir wahrscheinlich auch nicht so ganz auf dem Schirm haben: viele Chinesen interessieren sich für westliche Kultur, für westliche Musik zum Beispiel – und auch für klassische Musik. Nier Chen moderiert die Klassik-Sendung beim Chongqing Musik Radio FFM 88.1 – und da lief vor kurzem die Besprechung der ersten CD einer mir ganz gut bekannten Sopranistin aus Düsseldorf und eines mir ganz gut bekannten Pianisten 🙂 …

Stephanie Doll und Thomas Hinz versuchen übrigens gerade, ihre zweite CD auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo anzuschieben. Wer dazu beitragen möchte, erntet ewigen Dank…

Chongqing Musik Radio FFM 88.1

Internet-Ordnung in Gefahr: Gangnam Style braucht eure Solidarität!

Es gibt ja diese ganzen popularitätsfeindlichen Bedenken; wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich die zuweilen auch vorgebracht. Also so was wie: „Vox populi, vox Rindvieh“. (Lieblingsspruch meines Lateinlehrers, Herr Erdmann.) Oder wie: „Fresst Scheiße, Millionen Fliegen können (sich) nicht irren!“ Oder so. Ist ja alles schön und gut. Aber dass „Gangnam Style“ der gigantische, epische Überflieger und lange, lange Zeit die Nummer Eins der YouTube-Charts war, das hat ja sehr gute Gründe.

Erst mal singt da ein nach herkömmlichen Maßstäben nicht unbedingt wahnsinnig gut aussehender Typ

in einer (jedenfalls für den Rest der Welt…) etwas exotischen Sprache herum. Das Video ist auch jetzt nicht irgendwie sensationell in dem Sinne, dass da Atomraketen aufsteigen oder extraterristische Vulkanausbrüche nahtlos in vereisende Walgesänge übergehen. Oder sonst irgendein theatralischer Kitsch. Dafür liefert Gangnam Style aber erstens eine astreine Choreografie mit sehr innovativen Elementen wie Lassoschwingen, Hüftkreisen und Kniewippen, was unzählige Arbeitsplätze in der Tanz-Ausbildungsszene gesichert hat.

Zweitens liefert Gangnam Style die perfekte Vorlage für unzählige wunderbare Parodien und Variationen; das gilt übrigens auch für die weiteren herrlichen Kreationen des südkoreanischen Schöpfers Psy. (Ich bin übrigens absolut sicher, dass der schmerbäuchige und feistgesichtige („Hey! Where did you get that body from? I got it from my DAD!“) Lenker des nordkoreanischen Bruderstaats, mein ganz besonderer Freund Kim Jong Un, ein Fan von Psy und von Gangnam Style und dessen weiteren herrlichen Kreationen ist. „Korean Style“ ist eben nicht nur Süd-Korean-Style. „Mother Fucka Father Gentleman.“

Aber vor allen Dingen: Gangnam Style hat eine der herrlichsten, wichtigsten und effektvollsten Pausen der Musikgeschichte. „Ticke-ticke-ticke-ticke-ticke-ticke-ticke-ticke-ticke-tay… (Pause. Nix. Pause. Pause. Immer noch Pause. Nix. Pause.)

(W)oppan Gangnam Style.“ Jetzt hat angeblich irgendein sentimentales Stück mit auf eine bestimmte Person bezogener rührender, aber letztlich fragwürdiger Jenseits-Romantik den Spitzenplatz der YouTube-Charts übernommen. Das Stück, das ich jetzt hier gar nicht verlinken will, wird angeblich gerne bei Beerdigungen gespielt. Ok, ok. Ich respektiere die situationsgebundene Betroffenheit und emotionale Befindlichkeit – aber die sollte nicht eine solche dramatische Auswirkung haben. Trauern ist ok, aber trauern ist nicht der Haupt-Impetus im Leben. (Das wäre jedenfalls ziemlich depressiv.)

Gegenbeispiel: Da soll da noch ein fröhliches Reggae-Stück im Anmarsch auf die Top-Position bei YouTube sein, das ich natürlich auch nicht verlinke. Da ist die Stimmung nicht traurig und betroffen, sondern eher belanglos heiter. Ist auch keine legitime Konkurrenz. Ganz klarer Fall also: Gangnam Style muss vor diesen Angriffen wie auch immer gearteter Motivation und Sentiments-Geschmacksrichtung geschützt und verteidigt werden. Die Bitte, nein der Befehl geht also an alle meine zahlreichen Follower in der ganzen Welt: Klickt alle immer und immer wieder auf Gangnam Style, lasst eure Bots und Klickfarmen aktiv werden und bringt Psy wieder an die Spitze der Rangliste. Woppan Gangnam Style!!!! „Ich habe mich klar genug ausgedrückt!!!“

Neue Geigen sind besser als alte? So einfach ist die Sache nicht.

Wenn man die Veröffentlichungen von Claudia Fritz, Akustikerin am Nationalen Forschungszentrum CNRS in Paris, mitverfolgt – oder vielmehr die Schlagzeilen, die dann in der medialen Abbildung der „Blind-Spiel- oder Hörtests“ geschrieben werden, dann ist die Diagnose eindeutig. Das Geheimnis der Stradivaris: gibt es gar nicht. Weder für die Spieler selbst, noch für die Hörer. Der Nimbus der alten Instrumente, die hohen Preise für die wenigen am Markt verfügbaren Exemplare aus der Glanzzeit Cremonas: ein Marketing-Gag und Abzockerei. Das ganze Suchen, Testen, Eintauschen und Sich-Hocharbeiten von Instrument zu Instrument bei zehntausenden von Profi-Musikern: alles Selbsttäuschung und Akustik-Voodoo.

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Als Musiker sage ich einfach einmal: Das glaube ich nicht. Als Sänger sage ich einfach mal: Das für den Laien potentiell nach Voodoo klingende psycho-akustische Phänomen der „Tragfähigkeit“, dass eine Stimme oder auch eine Geige beim Musiker selbst, am Mund oder am Kinn laut klingen kann und dann aber nur bis zur vierten Reihe im Saal reicht, das ist Realität. Anders herum funktioniert das genauso – eine an sich „kleine Stimme“, die aber „über das Orchester kommt“ und letztendlich die vermeintliche Super-Wuchtbrummen-Kollegin „plattmacht“ – auch das ist Realität und völliger „Common Sense“ bei allen Experten und im Musikgeschäft an Opern oder bei Orchestern Beteiligten – und nach dem Kriterium werden halt u.a. Stellen besetzt.

Die „Tragfähigkeit“ hat etwas mit Formanten zu tun, die – so sagt das auch Claudia Fritz – bei Stimmen und Blasinstrumenten noch etwas anders funktionieren als bei Geigen; und sich bei Geigen im Vergleich zu Stimmen oder Blasinstrumenten auch schlechter identifizieren oder quantifizieren lassen. Claudia Fritz ist auch mit der Bewertung ihrer Experimente im Gespräch sehr viel zurückhaltender als die Schlagzeilen in der Presse suggerieren – strenggenommen haben die Versuche aus allen drei Veröffentlichungen nämlich nur eine sehr, sehr begrenzte Aussagekraft:

Die Ergebnisse gelten nur für die jeweiligen Instrumente, die jeweiligen Räume und die jeweiligen Spieler. Das Argument von mit alten Instrumenten vertrauten Geigern, dass eben auch eine einstündige Beschäftigung mit einem unbekannten Instrument nicht ausreicht, dessen akustische Finessen zu ergründen bzw. mit dem eigenen Spiel-Stil in Übereinkunft zu bringen, ist unbedingt ernstzunehmen. Zu den – im Beitrag erwähnten – individuellen Spieltechniken kommen auch noch regionale Vorlieben dazu: In Amerika werden die Instrumente vorzugsweise „härter“, mit einem brillanteren Ton eingestellt (z.B. über die Stimmstock-Position oder die Besaitung…) In Europa sieht man das anders. Wie der Klang „sein soll“, hängt auch vom gespielten Repertoire oder der Situation ab – Solokonzert oder Streichquartett?

Fazit: Wenn die Experimente von Claudia Fritz und ihren Kollegen dazu beitragen, dass sich Musiker und Geigenbauer vorurteilslos darüber klar werden, was sie eigentlich wollen, dann ist das natürlich zu begrüßen. Und eigentlich alle befragten Geiger sagen: Natürlich gibt es auch ausgezeichnete moderne Instrumente, die möglicherweise auch nach einer gewissen Zeit vollkommen an die alten heranreichen. Aber ein Satz wie „Stradivari-Geigen halten dem Vergleich mit modernen Violinen nicht stand“ – sorry, liebe Kollegen – ist einfach nur Bullshit von Ahnungslosen.

Quelle: Akustik – Zuhörer bevorzugen den Klang moderner Geigen

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 16.05.2017 (Moderation: Uli Blumenthal)

Entsperrte Videos: FAQs zum Youtube-Gema-Deal

„Die Hölle ist zugefroren“ – „ein großer Tag für das Internet“ – „ein Meilenstein für Musiknutzer“ – ausgerechnet am heutigen 1. November, an dem ja in weiten Teilen des Landes und auch in vielen Redaktionen Feiertagsruhe angesagt ist, kommt die Knallermeldung: YouTube und die GEMA haben ihren seit 2009 laufenden Rechtsstreit beigelegt, haben sich auf eine Vergütung, eine Lizensierung für urheberrechtlich geschützte Musik geeinigt. Und die berüchtigten roten Sperrtafeln „Leider ist dieses Video in Deutschland nicht verfügbar“ nerven uns nicht länger. Zumindest die, die auf das Kräftemessen zwischen dem Videoportal und der deutschen Verwertungsgesellschaft zurückgingen.

Die Einigung wird in praktisch allen ersten Reaktionen gutgeheißen, auch wenn man nun natürlich trefflich darüber spekulieren kann, welche Seite denn nachgegeben oder gar „gewonnen“ hat. Nach den bisherigen Informationen (die Vertragsparteien haben Stillschweigen über die genauen Konditionen vereinbart…) sieht es so aus, dass YouTube letztlich sein Bezahlkonzept durchsetzen konnte – laut der (eigentlich ebenfalls vertraulichen, aber natürlich im Netz auffindbaren) Mail der GEMA an die Mitglieder umfasst der Lizenzvertrag „eine prozentuale Beteiligung sowohl an den Werbeerlösen, als auch an den zukünftigen Abonnementerlösen, die YouTube mit der Nutzung urheberrechtlich geschützter Musikwerke erwirtschaftet.“ Damit auch bei weniger populären Titeln noch etwas Geld fließt, gibt es eine „Minimumgarantie“, außerdem zahlt YouTube einen vermutlich erheblichen Betrag für die „lizenzlosen“ Jahre ab 2009 nach.

Aber das Paket dürfte wohl deutlich unterhalb der „offiziellen“ GEMA-Tarife zustandegekommen sein, und ganz ausdrücklich bleibt YouTube auch bei seinem juristischen Standpunkt, es sei als Plattform eigentlich nicht zahlungspflichtig – im schier endlosen Marsch durch die Gerichte und Instanzen hatte die Google-Tochter ja zuletzt im Januar 2016 vor dem OLG München damit einen weiteren Punktsieg verbucht. Rechtssicherheit für andere Betreiber schafft der „Deal“ also nicht. Aber für YouTuber, die eigene Clips mit GEMA-Musik hochladen – vorausgesetzt, sie achten darauf, nicht eventuelle andere Leistungsschutz- oder Herstellerrechte zu verletzen. Und die GEMA-Mitglieder dürften sich auf die nächste Ausschüttung freuen, nachdem die Taube jetzt schon so lange auf dem Dach saß 🙂 …

Entsperrte Videos: FAQs zum Youtube-Gema-Deal · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Redaktionskonferenz vom 01.11.2016 (Moderation: Sonja Meschkat)

Nachklapp 03.11.2016: Es gibt ja „formaljuristisch“ korrekte Erläuterungen, auch von Pressestellen. Und es gibt „formaljournalistisch“ korrekte Darstellungen von komplizierten Sachverhalten. Insofern könnte ich mich, glaube ich, noch einigermaßen gut aus der Affäre ziehen in Bezug auf meine Darstellung am 1.11. bei DRadio Wissen nach der Einigung zwischen GEMA und YouTube. Bei der für viele User ja höchst interessanten Frage, ob sich nach der Lizensierung nun irgendetwas verändert, wenn man einen eigenen Videoclip mit Musik untermalen will und dann hochladen – da habe ich ja die Einschränkung erwähnt, die mir auch die GEMA-Pressesprecherin so gesagt hat: Ja, das geht jetzt – wenn man die gegebenenfalls weiteren bestehenden Leistungsschutz-, Mitwirkenden- oder Herstellungsrechte beachtet bzw. abklärt.

In dem Fall ist alles paletti, habe ich gesagt – und hier habe ich aber zugegebenerweise die Gewichtung zwischen „irgendetwas geht ab jetzt“ und “ es bleiben aber noch Vorbehalte“ völlig falsch interpretiert. In Wirklichkeit ist nämlich überhaupt nichts paletti, weil in praktisch der völlig überwältigend überwiegenden Mehrzahl der Fälle diese „gegebenenfalls bestehenden“ weiteren Rechte so gravierend sind, dass sich für die allermeisten User durch die GEMA-YouTube-Einigung überhaupt nichts ändert. Die Sache ist nämlich nach wie vor ziemlich komplex bzw. desaströs: Erstens: Es gibt keine Einigung oder Lizensierung oder überhaupt Zuständigkeit zwischen YouTube und der Verwertungsgesellschaft der Mitwirkenden, der GVL – wie man das ja analog zu Rundfunksendern oder auch Webradios vermuten oder hoffen könnte.

Die GVL erteilt Lizenzen im Fall von linearen Sendungen (diese aus der analogen Zeit stammende Prämisse führt schon bei der Podcast-Bereitstellung von Rundfunksendern zu etwas abenteuerlichen juristischen Hilfs-Konstruktionen…) – ein „öffentlich zugänglich machen“ wie im Fall eines Hochladens auf YouTube ist aber schon eine andere, viel weitgehendere Hausnummer. Zweitens: Wer ein Video produziert und mit Musik unterlegen will, sendet nicht einfach mit irgendwie vielleicht lizensierten Komponenten, sondern bewegt sich im Bereich des „Erstverwendungsrechts“. Da kommt dann plötzlich so etwas wie das „Synchronisationsrecht“ ins Spiel – wenn z.B. eine Nazi-Gruppe ihren Werbespot mit dem Song einer Band unterlegen will, dann braucht sie deren Einverständnis – und das kann die Band auch verweigern – unabhängig von irgendwelchen finanziellen Aspekten.

Die Einigung zwischen YouTube und GEMA bzw. die Lizensierung führt eigentlich nur in ein paar Spezialfällen dazu, dass Uploads erleichtert bzw. legal werden: Bei alten, nach 70 Jahren abgelaufenen Mitwirkenden-Rechten. Bei Coverversionen von GEMA-Stücken – wobei ulkigerweise das Cover wirklich 1 zu 1 sein muss; ansonsten kommt wieder ein „Bearbeitungsrecht“ bzw. eine dementsprechende Genehmigungspflicht ins Spiel… Und eben bei Leuten, die alle kompletten „weiteren“ Rechte selbst haben – Judith Holofernes z.B. oder andere Bands oder Labels – die dürfen jetzt netterweise ihre selbst komponierten und gespielten und produzierten Stücke auch auf YouTube hochladen, ohne dass die gesperrt werden.

So etwas in der Art “ Vorsicht, es ändert sich eigentlich gar nichts, von ein paar Ausnahmefällen abgesehen“ würde ich eigentlich auch gerne kommuniziert bekommen, wenn ich als Journalist und juristischer Laie mit genau der Frage „was ändert sich für User-Uploads?“ an die Pressestelle der GEMA herantrete. Anscheinend ist aber den Pressevertretern der GEMA der unterschiedliche Auftrag zwischen sich selbst als Interpreten eines (zugegebenermaßen komplizierten…) Sachverhaltes und dem Justiziar der GEMA als Gralshüter der juristischen Exaktheit bzw. Spitzfindigkeit noch nicht ganz klar. Der Job der Pressestelle ist aber, nicht nur eine formaljuristisch korrekte Darstellung zu liefern, sondern eine allgemeinverständliche – die dann vielleicht auch schon naheliegende Missverständnisse nicht befördert, sondern proaktiv zu vermeiden sucht.

Aber natürlich habe ich da als Journalist auch meine Mitverantwortung, selbst auf naheliegende Missverständnisse nicht hereinzufallen. Ist manchmal etwas schwierig; speziell an Feiertagen und unter Zeitdruck 🙂 . Wie dem auch sei – immerhin sieht die GEMA inzwischen wohl auch in ihrem Factsheet einiges Fehlinterpretations-Potential

Upload von Musikwerken auf YouTube: Soweit die von der GEMA wahrgenommenen Nutzungsrechte betroffen sind, können Nutzer Musikwerke auf YouTube hochladen oder ihre Uploads mit Musik untermalen.

und will das jetzt „entsprechend“ anpassen. Eine FAQ-Liste samt nicht juristisch spitzfindiger, sondern allgemein verständlicher Antworten soll es auch geben auf der GEMA-Website. Das ist doch schon mal sehr begrüßenswert…

DRadio Wissen – Redaktionskonferenz vom 03.11.2016 (Moderation: Sonja Meschkat)

Family-Tarif beim Streamen – Dumping auf Kosten der Musiker?

Es gibt schon Super-Schlaumeier mit super „Dealz“-Ideen. Wie wäre es hiermit: Einen philippinischen Spotify-Account anlegen, dort den Family-Tarif wählen. Kostet – den ortüblichen Einkommens- und Lebensverhältnissen angepasst – 194 Pesos. Umgerechnet 3,72 Euro. Bezahlt wird per extra eingerichtetem philippinischen Paypal-Konto. Dann das ganze hier mit fünf anderen Schlaumeiern sharen; mit einer gefakten Adresse, die man sich aus Google Maps holt. Macht monatlich 62 Cent pro Nase fürs Musikhören bis zum Abwinken – oder, wenn der Leit-Schlaumeier seinen Aufwand bezahlt haben will oder gar etwas am „Deal“ verdienen; vielleicht einen Euro.

Mit Fairness hat so ein Abo natürlich nicht mehr allzuviel zu tun, das ist vielmehr wegen des viel breiteren Katalogs und der Bequemlichkeit einfach besser als nur Klauen („Raubkopieren“ 🙂 ). Aber letztlich ist der Gedanke „die Musik ist mir etwas wert“ auch nur eines der vielen Motive beim Geschäftsmodell Streaming. Das Ganze ist eine labile Balance zwischen den Interessen der Produzenten, Zwischenhändler und Konsumenten – und jeder Player spielt nach eigenen Regeln. Und die werden wiederum zuweilen von anderen vorgegeben. Ob z.B. Spotify (und auch Netflix…) wirklich bewusst und aus freien Stücken auf Dumping setzt, wie Moritz Stückler bei t3n beklagt, das ist noch die Frage.

Denn – auch das erwähnt Stückler ja – die Preisvorgabe kommt von Apple, mit komfortablem Cash-Speck zur Querfinanzierung im Rücken. Da bleibt Spotify schlicht nichts anderes übrig, als nachzuziehen. Die Kundschaft ist höchst preissensibel, das Produkt sehr ähnlich und austauschbar. Und die mangelnde Kontrolle der Schlaumeier-Familys? Ist wahrscheinlich eine ganz schlichte Abwägung des Kosten-Nutzen-Aufwandes. Wenn jetzt die ganze Welt auf die Philippinen abwandert, dann gibt’s wahrscheinlich bald eine Kontrolle der IP-Nummer. Aber bei ein paar tausend Leuten mit aufwendiger Recherche, mit Sperre und anschließender Korrespondenz nachzuhaken, immer in der Gefahr, auch normale Kunden zu nerven oder fälschlich zu verdächtigen – das wäre nicht sehr attraktiv für Spotify. Die Schlaumeier sind halt eingepreist in der Gesamtkalkulation. Und ob die fair ist, das ist ja noch die offene andere Frage.

Aber die grundsätzliche Diagnose bei t3n stimmt natürlich – vor lauter Geiz kann man ein Produkt vor die Hunde gehen lassen. So wie das deutsche Schweinekotelett oder den Wasser- und Antibiotika-aufgepimpten Pangasius. Wem’s halt schmeckt 🙂 …

Dumpingpreis auf Kosten der Musiker? · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 30.5.2016 (Moderation: Till Haase)