Archiv für den Monat: Juli 2016

Hillary-Kampagne: Ein bisschen mehr Zurückhaltung, bitte. Danke.

Am Dienstag hab ich ja – egal, was da jetzt juristisch draus wird – mal eben 10 Dollar rübergechippt. An die über-direkte, jetzt auch offiziell nominierte Kandidatin der Demokraten. (Wie schon gesagt, die ist natürlich Establishment. Aber natürlich hätte der vielleicht moralisch und politisch integrere Bernie Sanders letztlich keine Chance gehabt, weil halt die Mehrzahl der wahlberechtigten Menschen in einer westlichen Demokratie keine linken Gerechtigkeits-Träumer sind. Sondern Idioten. Verführbare. Pragmatiker. Und so weiter. Das kann man bedauern. Ich bedaure das auch.

Aber wenn man diese Linie durchzieht, dann wird nicht der eigene linke Gerechtigkeits-Traum Realität, sondern das Votum der rechten Schwachmaten (die ja übrigens eine ganze Menge nachvollziehbarer Einwendungen haben gegen den linken Gerechtigkeits- und Political-Correctness-Traum…). Leuten wie dem Telepolis-Kolumnisten Tomasz Konicz kann man da eigentlich nur sagen – aufwachen, die Demokratie ist kein Ponyhof! Leider.

Aber mal zurück zur Hillary-App – das mit dem Frontalangriff auf meine Kohle war leider noch nicht das letzte Wort. Die nächste Mail kommt von Robby, dem Campaign Manager:

Marcel —

Hillary’s job is to make her case to as many people as possible for why she should be the next President of the United States. As her campaign manager, my job is to make sure that those people all get the chance to join this team.

Here’s how we do that: We build the biggest possible organization of donors, volunteers, voters, and supporters like you who share our vision for this country. Every donation, just like every phone call made and every door knocked, is a way of showing Hillary that you’re with her — and it all adds up to something pretty incredible.

I’m not going to waste your time. Will you, right now, stand with Hillary by chipping in $8?

Marcel, donate $8

Thanks, Marcel — you’re phenomenal.

Robby

Robby Mook
Campaign Manager
Hillary for America

Kein Dank für meine Kohle von gestern – ich bin zwar total phenomenal, aber der gute Mann will jetzt wirklich nicht meine (und seine…) Zeit verschwenden – ich soll noch mal was reinchippen. 8 Dollar. Sagt mal, Leute, wie kommt ihr eigentlich auf die Beträge? Gestern 1 Buck, heute 8? Steckt da ein Algorithmus hinter, eine KI? Oder ein menschlicher Zocker/Abzocker? Ein Zufallsgenerator? Jetzt bin ich echt ziemlich sauer.

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Die Kampagne hat’s wohl geahnt – oder als Feedback zurückbekommen: Die nächste Mail ist da. Oh Wunder- diesmal kein Betteln um Geld:

Marcel —

I’ve been with Hillary since 1996. She’s been my boss, my mentor, and my friend.

My favorite part of working with Hillary is watching her translate the concerns of everyday families into concrete policies that makes peoples‘ lives better. From expanding access to health care for children to securing resources for the families and responders impacted by 9/11 — Hillary has been standing up for us her whole life.

Marcel, will you take a minute to fill out this short survey and let us know which issues matter most to you and your family?

People like you are shaping the conversation and policies of this campaign. Because of the stories Hillary has heard across the country, she has plans for tackling substance use disorders, working to find a cure for Alzheimer’s, and making our communities safer from the threat of gun violence.

Hillary wants to be the fighter you and your family deserve. Will you help her by letting us know what’s on your mind? Fill out this short supporter profile now:

Start now

Thanks,

Huma

Huma Abedin
Vice Chair
Hillary for America

Das klingt schon besser.

Email von Hillary Clinton: Hastu mal nen Dollar?

OK, das war klar, das ich Post bekommen würde. Als ich gestern die neue Hillary-Clinton-Unterstützer-App getestet habe, musste ich ja erstmal mit gefaketer US-Anschrift eine neue Apple-ID einrichten, um im US-Appstore „einkaufen“ zu können. Und dafür brauchte ich ja auch noch eine neue Emailadresse – die hab ich dann auch brav in der Clinton-App angegeben. Ich habe dann zuerst mal eine Mail von Apple bekommen – da sei ein App-Download mit meiner ID gemacht worden, und zwar aus Deutschland. Ob das in Ordnung sei. Ja, ist in Ordnung.

Und heute hat mir Hillary Clinton geschrieben. Höchstpersönlich. (Gestern hatte ich nämlich zunächst nur eine Mail vom „Hillary for America“-Team erhalten, dem Herausgeber der App.) Hillary, das muss man sagen, redet nicht lange um den heißen Brei herum. Denn die Situation ist bekanntlich sehr, sehr kritisch:

Marcel —

Thank you for being a part of this campaign. I’m thrilled to have you on my team, especially at such a critical time.

I’m counting on you to make sure we have the resources we need to take on Donald Trump. Can you chip in $1 right now?

It’s time to act on raising wages and reforming our immigration system. It’s time to change our gun laws and make education more affordable for our children. It’s time to make sure that all people are an equal part of our political process and our communities, regardless of your gender, race, or who you love.

It’s time we make sure that every single child has the chance to live up to their God-given potential.

We can’t wait any longer. I need you to stand with me by chipping in again to support that vision right now, Marcel. It’s the only way we can get this work done and keep Donald Trump out of the White House:

Donate $1

Thank you,

Hillary

Also ich mag ja, wenn Frauen direkt sind. Aber das ist jetzt doch etwas sehr direkt. Anstatt erstmal ein bisschen zu plaudern über die Situation, vielleicht über die App und was ich damit noch an Support leisten könnte, vielleicht über die politischen Interessen, die ich da per Slider eingestellt habe, vielleicht über das LGBT-Plakat oder über den Kühlschrank im Vintage-Look, die ich virtuell gekauft hab – nein, ich soll einen Dollar reinchippen. Einen Dollar? Einen lumpigen Dollar? In der App ging’s doch mit 3$ Untergrenze los? Irgendwie fühle ich mich da etwas beschmutzt. Wobei – Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist.

Aber ich habe eigentlich eher den Verdacht, das ist ein Fake-Check. Hillary will rauskriegen, ob es sich lohnt, mir weiter Mails zu schreiben. Ob ich nicht in Wirklichkeit doch ein verkappter Trump-Anhänger bin. Oder ein deutscher Journalist, der nur die App getestet hat. Das ist wie bei diesen 1-Cent-Testüberweisungen. Ganz bestimmt. Oder steht ihr das Wasser wirklich schon total bis zum Hals? Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich überhaupt was spenden darf, ohne Hillary am Ende in übelste Schwierigkeiten zu bringen. Wenn Donald rauskriegt, dass Marcel gar nicht Marcel heißt und seine Anschrift in Wirklichkeit die einer US-Universität ist.

Wenn man auf den Link klickt, dann soll man plötzlich wieder 5$ abdrücken. Und man muss bestätigen, US-Bürger zu sein. Dachte ich es mir doch. Aber geht das nicht über einen Umweg, über diese Spenden-Sammelstellen, diese PACs? Ich glaube, ich probier das mal aus. Am Ende hab ich Weltgeschichte geschrieben und werde ins Weiße Haus eingeladen. Fragt sich nur noch, von wem. 🙂

Pokémon-Go-Alternativen: Das sind weitere Augmented-Reality-Apps

Ständig stößt man derzeit auf Bilder von Pokémon in der echten Welt – der Augmented-Reality-Funktion von „Pokémon Go“ sei dank. Doch das Spiel ist nicht das erste, das die Realität mit Virtuellem erweitert.

Pokémon-Go-Alternativen: Das sind weitere Augmented-Reality-Apps – SPIEGEL ONLINE

Spiegel Online – Netzwelt vom 26.07.2016

App „Hillary 2016“ – virtuelles Wahlkampfbüro für Clinton-Fans

Ein alternativer Account für den US-amerikanischen iOS-Appstore ist ja nicht so gaaanz konform mit den Nutzungsbedingungen von Apple, aber u.U. doch sehr praktisch. Wenn man z.B. Pokemon Go spielen will, bevor die App in Deutschland gelauncht wird. Oder wenn man mal – aus welchen Gründen auch immer – in den normalerweise dem amerikanischen Publikum vorbehaltenen Angeboten herumstöbern möchte. Zum Beispiel, um die Welt vor dem wahnsinnigen wandelnden Herrenwitz namens Donald Trump zu bewahren – und dafür lieber auch eine Vertreterin des Polit-Establishments zu unterstützen, die sicher ihre Schwächen hat, aber ganz bestimmt nicht wahnsinnig ist. (Das mit den charismatischen Lichtgestalten und Friedensnobelpreisträgern im Weißen Haus war ja auch schon etwas ernüchternd…)

Also eine GTA-V-Alternative ist die „Hillary 2016“-App jetzt nicht direkt geworden. Wäre ja auch gerade wenig opportun. Ein nettes Motivations- und Mobilisierungs-Vehikel für eh schon Überzeugte, die möglicherweise noch ein paar andere mobilisieren können, aber schon. Die LGBT-Plakate in der App habe ich übrigens „gekauft“, um den Aktivitäten von Peter Thiel und Milo Yiannopoulos etwas entgegenzuhalten. 🙂  Die beiden haben sich ja gerade aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen in ein Boot gesetzt mit Leuten, die ihnen aktuell nicht mal eine Hochzeitstorte verkaufen – und sie „an sich“ wahrscheinlich auch lieber gleich ertränken, teeren und federn würden, von wegen widernatürliche Unzucht und so. Ob der Donald sein Schutzversprechen auch nach der Wahl noch einhält? Oder vielleicht löst das toupierte Haupthaar ja bei den beiden auch irgendeinen Schlüsselreiz aus?

Alles Wahnsinn – „Hill is my girl“. Dummerweise haben ungebildete Nicht-Checker auch eine Stimme. Thiel ist ja auch für die Diktatur – jetzt läuft das aber hier in unverantwortlichen Zirkelschlüssen. Kohle abdrücken kann man in der App übrigens auch.

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Aber letzlich geht es eben um Menschen, die ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle machen. Hoffentlich.

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App „Hillary 2016“ ausprobiert: Und welchen Unsinn hat Trump noch mal verzapft? – SPIEGEL ONLINE

Spiegel Online – Netzwelt vom 25.07.2016

Amok in München, die Medien und die Social Media

Es ist halt so ein gewisses Ritual bei mir, dass ich um 20 Uhr das Fernsehen einschalte, um die Tagesschau zu gucken (und dann ganz schnell auch wieder auszumachen, bevor eine launig-weichgespülte Intromusik signalisiert, dass nun etwas grässliches wie „Um Himmels Willen“ folgt…) – ich ziehe nach wie vor den vielleicht etwas steifen Gestus im Ersten der pseudo-lockeren Nachrichten“präsentation“ bei der Konkurrenz vor. Aber ob ich da wirklich beim richtigen Kanal bin, daran hatte ich gestern erhebliche Zweifel.

Ich mache also völlig unvorbereitet oder uninformiert die Glotze an, zuerst läuft noch ein paar Sekunden Werbung (Bauhaus, wenns gut werden muss, soweit ich mich erinnere…) – der Eingangstrailer läuft, Jens Riewa sagt sein Sprüchlein auf („Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau“) – und dann geht es ohne jegliche Erklärung weiter: (Ein gekürzter Mitschnitt findet sich hier.) „Aktuelle Informationen zur Lage in München jetzt von meinem Kollegen Eckhart Querner. Herr Querner, wie erleben Sie die Lage in München zur Zeit?“ Hinter Jens Riewa sieht man einen Herrn mit Mikrofon, an dem aber ein anderer Herr noch hektisch herumzupft, dann verschwindet die Einblendung.

Tagesschau - Screenshot005

Oha, da gibt es also irgendeine Lage in München – und das kann in diesen Zeiten und unter diesen Umständen ja auch nichts Gutes bedeuten. Herr Riewa schaut betreten drein und lauscht der Regieanweisung in seinem Ohrstecker – dann kommt das Bild im Hintergrund wieder, auf dem wiederum ein emsiger Technik-Kollege um den Reporter herumwieselt und zupft und verkabelt. Ganz offenbar ist Herr Querner noch nicht soweit, was Jens Riewa immer noch sehr souverän entschuldigt, während das Bild wieder weggenommen wird, jetzt erfahren wir immerhin auch, was überhaupt los ist, ein Anschlag nämlich. Nach diesen zusammenfassenden Informationen der nächste Versuch, und erneut die Frage (weil sie nun ja einmal so gut ist…) an Herrn Querner, wie er denn die Lage erlebt.

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Herr Querner schaut sich aber gerade um, guckt dann wieder in bzw. neben die Kamera, im Wartemodus halt und definitiv nicht im Bewusstsein, schon wieder mal auf Sendung zu sein. Neuer Versuch aus der Regie – Telefonschalte zum Kollegen Richard Gutjahr (der offenbar momentan bei allen Anschlägen in Europa als Augenzeuge vor Ort ist, das würde ein KI-Algorithmus für höchst verdächtig halten…) Herr Gutjahr kann aber auch im Moment nichts berichten, weil die Leitung offenbar noch nicht steht. Der arme Herr Riewa fragt noch einmal nach – immer noch mit bewundernswerter Gesichtsbeherrschung – irgendein falscher Ton wird reingeblendet, Herr Riewa bekommt neue Ansagen der Regie aufs Ohr, bittet noch mal um Entschuldigung, und dann, bei Minute 2’35, kommt die erste erlösende Rückmeldung von Herrn Gutjahr, wenn auch zunächst nicht verständlich, der „gerade noch rechtzeitig“ in das Krisengebiet hereingekommen ist, nachdem er im Auto in der Nähe unterwegs, von Schüssen und womöglich Toten erfahren hat.

Wer wie ich bei Rundfunk oder TV arbeitet, der kennt solche Albtraum-Situationen mit zusammengebrochenen Leitungen oder kaputten Sendepulten (oder eben mit Techniker- oder Regie-Fehlern, ich selbst habe da auch schon das eine oder andere Mal etwas verbockt) – wobei das Desaster in diesem Fall schon sensationelle Ausmaße hatte. Geschenkt. Aber das wirkliche Grauen, das ging ja nun erst richtig los. Nach dem ersten Telefonat mit Herrn Gutjahr ist Herr Querner nun zum vierten Male auf Sendung, die Frage wiederum „Herr Querner, wie erleben Sie die Lage dort?“ – und oh, Wunder, nach einer Schrecksekunde (im Gesicht von Herrn Riewa laufen ganze Romane ab…) beginnt Herr Querner auch zu reden, Er ist einen halben Kilometer vom Tatort entfernt und referiert das, was er vom Hörensagen weiß und von der Ansicht eines Handyvideos. Dann gibt er „mit diesen Informationen zurück an Jens Riewa.“

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Aber so einfach lässt der ihn nicht davonkommen – eine Nachfrage. Herr Querner steht wieder im Stand-By-Modus und sagt nix. Möglicherweise ahnt er schreckliches. Jetzt kommen nämlich alle mögliche Fragen, zu denen Herr Querner eigentlich absolut nichts sagen kann, jedenfalls nicht aufgrund der Tatsache, dass er da steht, wo er steht. Zwischendurch werden Bilder eingeblendet, wo Polizisten im Laufschritt mit gezückter Waffe Personen einen Bürgersteig entlang eskortieren – vorbei an den Kamerateams, die das in aller Seelenruhe und ohne jegliches Zeichen einer akuten Gefahr filmen und dabei wiederum gefilmt werden.

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Herr Querner schildert, was wir gleichzeitig hinter ihm ohnehin sehen und hören. Er beschreibt die Situation als immer noch extrem angespannt, während hinter ihm Jugendliche hin und her durchs Bild latschen und wiederum das Kamerateam mit dem Smartphone filmen.

Zwischendurch kommt wieder Herr Gutjahr zu Wort, dann auch ein Experte, und die Fachsimpelei geht los, war es ein Terroranschlag oder ein Amoklauf, oder irgendwas mit „fließendem Übergang“? Und immer alle Einschätzungen mit den mittlerweile von allen Akteuren verinnerlichten Einschränkungen – „möglicherweise, vermutlich, wenn das so stimmen sollte“ – alles journalistisch korrekt. Fragt sich nur, warum man dann überhaupt „live“ dran bleibt am Ereignis und wie lange – wenn man offenbar einerseits keine neuen belastbaren Information mehr hat und über weniger belastbare nicht reden möchte.

Die gab es nämlich sehr früh – aus den Social Media. Zum einen kursierten spätestens gegen 18.18 Uhr Aufnahmen (von dem Zeitpunkt findet sich ein Screenshot des Facebook-Accounts der Münchener Polizei, wo das Video gemeldet wurde), die ganz offenbar den (oder einen) Täter auf dem Dach des Parkhauses zeigen, und das andere, schon von Herrn Querner referierte Video, das die ganz offenbar gleiche Person schießend vor der McDonalds-Filiale zeigt. Das dies nun eigentlich die „möglicherweise authentischen“ Quellen sind, über die man so schnell wie möglich und so fachkundig wie möglich reden müsste, das sieht man im Ersten anscheinend nicht so, oder es fehlten die personellen Kapazitäten.

In den Social Media kursiert sehr früh noch ein anderer Hinweis – dass nämlich über ein gehacktes oder gefaketes Facebook-Profil einer jungen Frau offenbar Mitteilungen verschickt worden waren; mit dem Ziel, junge Leute zu dem McDonalds-Restaurant zu locken. Und in dem später von Facebook gesperrten Profil identifiziert ein anderer User dann auch den Täter mit Vor- und Nachnamen. Jetzt, nach der Pressekonferenz der Münchner Polizei stellt sich heraus – das waren in diesem Fall die relevanten Informationen; der merkwürdige Gang des Täters, sein „Dialog“ auf dem Dach, das Anlocken von jungen Menschen, vielleicht sogar gezielt von solchen mit Migrationshintergrund. Auch wenn es zusätzlich die üblichen Fakes gab.

Und das Fazit? Es wäre vielleicht noch einmal an der Zeit, in den Redaktionen sehr gründlich darüber nachzudenken, wie man solche „Akutsituationen“ eigentlich abdecken will und kann. Das Tempo herausnehmen und sich auf bestätigte Informationen der Polizei verlassen wäre die eine Möglichkeit – da verliert man allerdings seine Kundschaft im Zweifelsfall an weniger zimperliche Konkurrenz. Ein rund um die Uhr verfügbares und auch noch sehr kompetent besetztes Team, das Onlinequellen sichtet und mit forensischen Methoden verifiziert, wäre eine andere Option – angesichts der finanziellen Realitäten in öffentlich-rechtlichen wie in privaten Medien eine ziemlich unrealistische.

Kleiner, großer Haken überdies: Eine forensisch abgesicherte und sachkundig eingeordnete „Live-Berichterstattung“ mit Netz-Quellen wäre zwar journalistisch wertvoll, würde aber u.U. der Polizei in die akute Arbeit hineinpfuschen – die sich wiederum fragen lassen muss, ob sie beim Monitoring und der Verifizierung von Net-Input schon auf der Höhe ist. Was ich selbst jedoch eigentlich nicht mehr sehen möchte: Vor-Ort-Live-Reporter, die mit zuversichtlichem oder verzweifeltem Gesicht über Dinge spekulieren, über die sie nichts wissen. Oder verpixelte Einspieler aus dem Netz, von denen man sich „journalistically correct“ distanziert, anstatt den Versuch einer Überprüfung und Bewertung zu machen.

Wikileaks-AKP-Email-Leak: Seltsame Tweets, bislang keine Sensationen

Auch einen Tag nach der Veröffentlichung des „ersten Teils“ von Mails der türkischen Regierungspartei AKP zeichnet sich nicht ab, dass Wikileaks mit der jüngsten Aktion Weltgeschichte schreiben wird. Im Gegenteil – ganz offenbar machen sich viele Türken, die das Material gesichtet haben, auf Twitter über die Belanglosigkeit lustig. Motherboard.vice.com hat den Stand der Dinge erst einmal zusammengefasst: „Das Saftigste, was der AKP-Leak bisher enthüllt hat, ist diese Grießspeise“. Und stellt erneut zu Recht die Frage, ob die Verletzung der Privatsphäre hier eigentlich in Verhältnismäßigkeit zum Erkenntnisgewinn steht.

Bei Wikileaks hatte man die Veröffentlichung ja wegen des Putsches in der Türkei vorgezogen – das mag eine kleine Entschuldigung sein dafür, dass man selbst offenbar nichts strukturiertes zum Inhalt des Materials vorzutragen hat. Zumindest die für den Twitter-Account von Wikileaks Verantwortlichen scheinen jedenfalls keine übermäßige journalistische Kompetenz zu haben – warum man eine selbst mit Google Translate als völlig unseriös identifizierbare Quelle wie „Yeni Safak“ über die angebliche Planung des Putsches durch die USA retweetet, ist ein Rätsel.

Und ein ziemlicher Hammer ist dieser Tweet hier:

Der angebliche Beleg für die Relevanz des AKP-Leaks verweist auf die Website thecanary.co; in dem dortigen Artikel wird über ein Treffen des türkischen Innenministers mit dem Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan, Masoud Barzani referiert. Eine Suche nach dieser Passage im AKP-Material bleibt aber ohne Treffer – kein Wunder, denn die „hacked mail, courtesy of Wikileaks“ stammt aus den Cables-Leaks und aus dem Jahr 2010. Keine Spur von einem (neueren) „geheimen Treffen“ also, keine Spur von einem Bezug auf die aktuelle Situation und auf den neuen Leak – das grenzt stark an Desinformation. In den Reaktionen auf den Tweet gibt es diverse entsprechende Bemerkungen – mittlerweile auch von mir – aber natürlich wird so etwas erst einmal ungeprüft retweeted und geliked.

Ich nehme einmal zugunsten von Wikileaks an, dass die Fehlleistungen auf Schlampigkeit beruhen („oh, da kommt ein Hashtag Wikileaks rein, da hat jemand was gefunden in unserem Material, das hauen wir sofort raus“…) und nicht etwas bewusst in die Irre führen sollen.

Mittlerweile steht das geleakte Material übrigens auch bei Archive.org zur Verfügung, die Website von Wikileaks hingegen wurde heute zeitweise von Mozilla als mit Schadsoftware verseucht gemeldet.

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 21.07.2016 (Moderation: Diane Hielscher)

 

Und Tusch – wie schon gestern aufgrund der Wikileaks-Formulierung zur Quelle des Materials gemutmaßt – es war wahrscheinlich ein Hack eines renommierten Hackers 🙂 (der selbstverständlich eine nur allzu bekannte Maske trägt 🙂 …)

 

P.S. 22.07.2016:  Wikileaks hat eingestanden, einen Fehler gemacht zu haben:

Ich denke allerdings, da hat hat nicht „someone“ etwas falsch zitiert, sondern die Fehlinterpretation geht auf die Kappe von Wikileaks – bei thecanary.co stand an der Stelle nur „Mail“, nicht AKP-Mail (siehe Screenshots). Mittlerweile hat die Website ihren Text dort auch geändert, jetzt heißt es (zutreffend…) zur Herkunft der Passage, es sei „an extract from a cable, courtesy of Wikileaks“.

P.S. 2 Beim Hochladen auf Archive.org hat es auch noch eine fette Datenschutzpanne gegeben. Das sind halt die Transparenz-Kollateralschäden.

P.S. 3 Edward Snowden hat sich von der „alles raushauen, Kollateralschäden egal“-Mentalität von Wikileaks distanziert. Volle Zustimmung.

Wikileaks veröffentlicht 300.000 Mails der türkischen Regierungspartei AKP

Theoretisch könnte Wikileaks mit seiner jüngsten Aktion Weltgeschichte schreiben. Wenn man nämlich in den 294548 Mails irgendwo Hinweise darauf finden würde, dass der gescheiterte Militärputsch in Wahrheit eine Inszenierung von Präsident Erdogan war. Oder dass ihm zumindest die Pläne vorab bekannt waren und er die Verschwörer ins Messer laufen ließ, um nun durchzuregieren. Aber die Chance für eine solche Sensation geht gegen Null. Denn der gehackte oder geleakte Account war, wie die Enthüllungsplattform ja auch schreibt, der für die Außenkommunikation – nicht etwa ein interner Kommunikationskanal für möglicherweise vertrauliche oder heikle Angelegenheiten der Partei.

 

Dass da also irgendjemand nach außen herumposaunt hat „so machen wir das mit der Verschwörung“, ist so gut wie ausgeschlossen – dass die Mails „irgendwie“ interessant sein könnten, davon kann man hingegen ausgehen. Interessant wäre es ja allerdings auch irgendwie, die Mails von CDU und SPD zu lesen, oder die Post von Oma Kruppke aus der Parkallee 🙂 . Wie immer bei Wikileaks-Veröffentlichungen stellt sich die Frage nach der Legitimität – die jedesmal nur darin bestehen kann, dass man abwägt und das Interesse der Öffentlichkeit höher einschätzt als das Recht auf Vertraulichkeit bzw. als die negativen Folgen für die Betroffenen. Das war schon bei den „Botschafts-Depeschen“ zweifelhaft.

Bis türkischsprachige Journalisten das Material gesichtet und ausgewertet haben, dürften noch ein paar Tage ins Land gehen – und in der Türkei selbst dürfte diese Sichtung bzw. eine Publikation der Ergebnisse zur Zeit eher nicht stattfinden. Wer in diesen Tagen dort Internetblockaden (der Zugang zu Wikileaks ist momentan gesperrt) umgeht und das bekannt werden lässt, bringt sich möglicherweise in Lebensgefahr. Und in den türkischen Redaktionen im Ausland hat die aktuelle Berichterstattung über Erdogans Antwort-Maßnahmen nach dem Putsch Priorität.

Eine erste Einschätzung aber gibt es aber inzwischen auch von türkischen Kollegen und Kolleginnen – das geleakte Material scheint ziemlich banal zu sein. Offenbar sind die Hälfte der Mails lediglich Bounce-Messages, und überwiegend scheint es sich wohl auch um Nachrichten von Außenstehenden an AKP-Politiker zu handeln und nicht umgekehrt. Immerhin: Wer nach dem berühmten „Böhmermann-Gedicht“ sucht, wird fündig 🙂 .

DRadio Wissen · Türkei: 300.000 Mails der AKP geleakt

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 20.07.2016 (Moderation: Diane Hielscher)

Die Strategien von Männern und Frauen bei Tinder sind (eigentlich…) inkompatibel

Tinder gilt gemeinhin nicht gerade als die Plattform zur Anbahnung einer „seriösen, auf Dauer angelegten Lebenspartnerschaft“ – wobei das natürlich auch nur eine Einschätzung ist, die in der Mehrzahl der Fälle stimmt, aber nicht immer: Wie mir heute morgen ein Arbeitskollege erzählte, hat er nämlich dort seine Freundin gefunden. Und im Grunde ist es ja tatsächlich eine mindestens ebenso realistische Partnersuch-Strategie, erstmal mit der Optik anzufangen und dann zu inneren Werten überzugehen wie umgekehrt 🙂 …

Und trotzdem – wer bislang schon vermutet hat, dass Männer insgesamt eher etwas weniger wählerisch sind bei der Suche nach einem Sexualpartner als Frauen, liegt vollkommen richtig – das bestätigt auch eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten. Das Team aus London, Rom und Ottawa hat mangels Unterstützung durch Tinder selbst mit Fake-Profilen und Scripts gearbeitet – und insgesamt auch völlig vorhersehbare Ergebnisse herausgefunden. Die Zahlen sind allerdings schon teilweise drastisch: Durchschnittlich hat ein Mann nur 0,6% „Rücklaufquote“ oder eben Relikes auf seine Likes, bei den Frauen beträgt der Wert hingegen 10%.

Vielleicht etwas irritierend für alle heterosexuellen Männer (wobei ja immer die Chance zum Erkunden neuer Ufer besteht…): 86% der Antwort-Matches an die männlichen (Fake-)Profile kam von Männern. Tinder scheint also möglicherweise am ehesten etwas für Schwule zu sein, da dann beide Seiten die gleiche Strategie verfolgen: Alles matchen und liken, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Versuchen kann man es ja mal.

Oder muss man es ja mal, denn an sich ist die quasi wahllose Massen-Anquatsch-Strategie der Männer nur die logische Antwort auf die mauen Rücklaufquoten. Dummerweise ist die eher zurückhaltende Frauen-Reaktion wiederum die logische Antwort auf das wahllose Anmach-Feuer der Männer. Und so könnte der ganze Tinder-Algorithmus also theoretisch gegen die Wand donnern und die Plattform und das Geschäftsmodell obsolet machen – aber offenbar ist dies nicht der Fall, offenbar hat sich das Anfrage-Antwort-Verhältnis doch auf einem Level eingemendelt, das einen weiteren Match- und Paarungserfolg zulässt, schreiben die Wissenschaftler; Tinder muss es selbst am Besten wissen.

Ein paar praktische Ratschläge haben die Forscher auch noch aus ihren Daten ableiten können; auch die sind wieder nicht sehr überraschend: Mehrere Fotos bringen mehr Match-Erfolg als ein einziges (da lässt sich nämlich eher abschätzen, ob die Person überhaupt echt ist oder nur ein Fake mit Stock-Foto-Profilbild…) Und eine klitzekleine Biografie einstellen hilft auch immens – das machen aber allen Ernstes viele Leute nicht; vielleicht sind das also Spaßvögel, oder sie bauen auf eine absolut überwältigende Optik. Männer und Frauen unterscheiden sich auch in ihrem Message-Verhalten nach einem ersten gegenseitigen Matchen – auch das vielleicht keine ganz große Überraschung.

Völlig nebulös ist nur ein Ergebnis – auch die angeblichen Männer, die statt einem Foto eine gefakete Fehlermeldung in ihrem Profil hatten „dieser Account wurde gesperrt“, bekamen Matches. Und zwar entgegen dem „normalen“ Trend nur von Frauen. Da sind wahrscheinlich ein paar sehr abenteuerlustige Mainstream-Verächterinnen unterwegs. Oder so.

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 19.07.2016 (Moderation: Diane Hielscher)

Pokemon-Go-App komplett entschlüsselt

Genau eine Woche ist es her, da haben wir in „Hielscher oder Haase“ den größten Hype ausgelöst, der jemals das deutsche Netz durchfegt hat. Pokemon Go. Keine Ahnung, warum die Kollegen und Kolleginnen in allen anderen Redaktionen so enthusiastisch darauf eingestiegen sind. Ist ja auch egal – Hauptsache, wir haben unsere Provision bekommen; das war diesmal wirklich ein guter Deal. Und eigentlich war ja letzte Woche auch schon alles gesagt. Wir bringen trotzdem nochmal ein Update. Ein Hype ist eben ein Hype.

Komplett entschlüsselt · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 18.07.2016 (Moderation: Diane Hielscher)

P.S. @Onliner: Wie erwähnt hat der Pokemon-Hasser in Texas nicht nur gedroht, er wolle Pokemon-Sammler „zusammenschlagen“, sondern eliminieren, ausradieren, wegsäubern. („purge“) – hab ich selbst falsch gesagt in der Live-Sendung 🙂

Entenküken lassen sich auf abstrakte Konzepte prägen

Abstrakte Konzepte erfassen können – das gilt gemeinhin als Voraussetzung und im Umkehrschluss auch als Zeichen für Intelligenz. Im Tierreich hat man die Fähigkeit vor allem bei solchen Spezies erforscht und gefunden, die ohnehin im Verdacht standen, etwas mehr auf dem Kasten zu haben: bei Menschenaffen, Delphinen oder Elefanten, auch bei Rabenvögeln. Aber dass frisch geschlüpfte Entenküken schon mit abstrakten Kategorien wie „Gleich“ oder „Verschieden“ umgehen können, das hätte man vielleicht eher nicht vermutet. Die kleinen Federknäuel sind schlauer als gedacht, so steht das jedenfalls in der Presseankündigung für die aktuelle Ausgabe von „Science“.

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

Das Experiment von Antone Martinho III und Alex Kacelnik von der Universität Oxford ist bestechend einfach – so einfach, dass sich die Frage aufdrängt, warum es bislang noch niemand versucht hat. Die Antwort von Antone Martinho:

Maybe that is the bias you come in with thinking imprinting which is happening in baby birds must not be very complicated, must not be very sophisticated. So I think we maybe have been guilty as anybody else of these biases, and if other people think that way it may be they like us they thought “oh, it’s impossible“, no one would ever do that. And I think this is a very surprising result, even I now think there a good biological reasons why the result is what we found it still surprises me and it still surprise most people who hear it.

Das liegt vielleicht an der Tendenz, mit der man an das Phänomen „Prägung“ herangeht; das passiert bei Baby-Vögeln und kann ja dann wohl nicht sehr kompliziert sein. Diese Vorurteile haben wir wahrscheinlich genauso gehabt wie alle anderen, und so haben alle anderen wir wir gedacht „das ist unmöglich“ – und so hat es niemand ausprobiert. Ich denke, es ist ein sehr überraschendes Resultat, und obwohl ich mittlerweile denke, dass es sehr gute biologische Gründe für das gibt, was wir herausgefunden haben – es überrascht mich immer noch und eben auch die meisten Leute, die davon hören.

Und die zweite Frage, die sich aufdrängt – was sagt das Experiment bzw. sein Ergebnis eigentlich wirklich aus? Sind die Enten wirklich „schlauer als gedacht“ – auf welcher Ebene findet denn eigentlich die Abstraktion statt? Antone Martinho ist sich da sehr sicher: „jenseits der rein physischen oder visuellen Ebene“. Aber die Enten hatten ja nur mit einem visuellen Stimulans zu tun, das sie möglicherweise – die Idee hatte etwa auch Prof. Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie – gar nicht als Objektpaar, sondern als ein Objekt wahrgenommen haben, und zwar eben als ein symmetrisches oder assymmetrisches Objekt.

Wie komplex oder vielleicht auch wie relativ simpel sind denn die neuronalen Mechanismen, die die Grundlage für die „Abstraktionsfähigkeit“ der Entenküken bilden? Könnte man eine ähnliche Leistung nicht auch relativ unaufwendig mit einem künstlichen neuronalen Netz nachvollziehen? Ist das Ganze nicht vielleicht doch eine relativ unspektuläre Verarbeitung von Sinneseindrücken? Ganz trivial wären entsprechende Generalisierungen auch für ein Computermodell nicht, sagt Philipp Berens, auf Perzeption und neuronale Verarbeitung spezialisierter Forscher an der Universität Tübingen. Erst in den letzten Jahren hätten die Fortschritte in der Computertechnologie vergleichbare Leistungen künstlicher neuronaler Netze möglich gemacht.

Und möglicherweise, so sein Hinweis, kommen bei der Bewertung von Experimenten wie dem der Oxforder Wissenschaftler auch unterschiedliche semantische Konzepte mit ins Spiel: Kognitionsforscher würden bei der Erklärung von Experimenten wie dem von Antone Martinho von „Abstraktion“, „Konzepten“ oder abstrakten „Kategorien“ sprechen; Neurophysiologen oder Spezialisten für künstliche neuronale Netze eher bei der schlichten Feststellung bleiben – was kann das künstliche oder natürliche Netz denn eigentlich erkennen oder kategorisieren (bzw. „generalisieren“) und was nicht?

Aber vielleicht geht es gar nicht um die Frage, wie schlau oder nicht schlau die Entenküken nun wirklich sind – wahrscheinlich beruhen eben auch vermeintlich exklusive menschliche Geistesleistungen letztlich auf ganz elementaren, kognitiv nützlichen Grundlagen.

Intelligenz – Entenküken ziehen abstrakte Schlüsse

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 15.07.2016 (Moderation: Ralf Krauter)