Archiv für den Monat: September 2022

Ein super-peinlicher journalistischer Fehler kann passieren. Aber die Korrektur sollte man nicht auch noch verbocken.

Wie es gerade Tagesschau.de gemacht hat.

Ich bin ja bekanntlich öffentlich-rechtlicher (freier…) Journalist, und ich arbeite als “Netzreporter” bei DLF Nova vorwiegend “kurativ” – das heißt, ich scanne Medienberichte und referiere die dann anschließend hörfunkgerecht und ordne die qua eigener Expertise ein. Dabei habe ich ein eng begrenztes Zeitkorsett – und immer die Gefahr im Hintergrund, mal Bullshit zu lesen, zu glauben und dann zu referieren.

Dagegen hilft – hoffentlich – eine gewisse eigene in langen Jahren erworbene journalistische Erfahrung – sowohl spezifisch fachlich; als auch ganz allgemein ein Misstrauens-Flag für allzu unwahrscheinliche Geschichten. Und dann – hoffentlich – die journalistische oder fachliche Expertise und das angebrachte Misstrauen des abnehmenden Redakteurs oder der abnehmenden Redakteurin bei allzu unwahrscheinlichen Geschichten.

Stromkabel sind so was von out. Die Energie kommt aus der Luft – oder so.

Die ganzen Kontrollmechanismen haben gefehlt bzw. versagt bei einer tollen und eben auch völlig unwahrscheinlichen Geschichte, die die Südafrika-Korrespondentin der ARD, Jana Genth am 16.9. bei Tagesschau.de untergebracht hat. Ein Fernseher, der nicht nur keinen Strom, keine Energie verbraucht – sondern Strom und Energie auch noch “generiert” und damit andere Elektrogeräte versorgen kann – diese Erfindung oder Entwicklung des famosen Simbabwers Maxwell Chikumbutso ist revolutionär. Oder eben für jede(n), der/die auch nur einen Funken Ahnung von Physik oder auch nur Lebens-Wahrscheinlichkeit hat – völlig absurd.

Irgendwie müsste ja auch der technikfernsten Journalistin oder dem technikfernsten abnehmenden oder übernehmenden 🙂 Redakteur klar sein – es gibt kein Perpetuum Mobile, keinen energie-erzeugenden oder “energie-gewinnenden” Mechanismus, der Energie oder Strom irgendwo rausholt, wo sie nicht vorher reingesteckt worden ist. In der Tat ist es möglich, aus “Funkwellen” wieder Energie rauszuholen und z.B. Radioempfänger zu betreiben oder Glühbirnen – nämlich in der unmittelbaren Nähe der Sende-Anlagen. Ein uralter Hut. Es ist auch möglich, aus den mittlerweile zum normalen Spektrum gehörenden “Funkwellen” wieder Energie rauszuholen, um “drahtlos” Geräte mit Strom zu versorgen – allerdings mit ganz bescheidener Ausbeute; für Schaltungen mit minimalem Strombedarf.

Denn es ist völlig klar – aus dem elektromagnetischen “Funkwellen”-Spektrum (abgesehen bzw. inklusive eben vom deswegen ja gerade so super-netten Sonnenlicht…) lässt sich logischerweise maximal die Energie rausholen, die da zuvor reingesteckt worden ist. In Wirklichkeit natürlich aufgrund der Umwandlungsverluste um Größenordnungen weniger – von irgendwie “kostenloser, erneuerbarer und grüner Energie” keine Rede. Das ist so absurd und lächerlich, dass es auch jeder völlig technikfernen Korrespondentin und jedem technikfernen abnehmenden Redakteur mit rudimentärer Schulbildung auffallen müsste.

Aber ok. Das vielgerühmte “vier-Augen-Prinzip” des verantwortungsvollen öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird natürlich im Zweifelsfall schon durch zwei Personen ausgehebelt: Eine ahnungslose Korrespondentin und ein/eine ahnungslose(r) abnehmende(r) Redakteur(in) im Wochenend-Modus. Kann passieren. Ist super-peinlich, aber kann passieren. Jetzt setzt kurz nach Veröffentlichung des Beitrages das Feedback bzw. der Shitstorm ein. Am 16.9. Mit einem Artikel beim geschätzten Qualitäts-Organ bild.de; mit Artikeln bei den üblichen ÖR-kritischen Webseiten, mit Memes, die vor allem auch genüsslich das Narrativ im Artikel aufgreifen: Die “Forschungen” des famosen Maxwell Chikumbutso werden nicht gewürdigt – aus Rassismus. Natürlich.

Und dann kommt am Montag (19.9.) spätnachmittags (!!) eine Reaktion. (Willkommen zurück aus dem Wochenende, liebe “EntscheiderInnen”… 🙂 ) Nur – das von euch ansonsten so geliebte Internetz ist ja bekanntlich ein verhältnismäßig schnelles Medium. Von dem besonders heiklen und in der aktuellen ÖR-feindlichen Diskussion verheerend wirkenden, weil die Vorurteile bestätigenden “Rassismus”-Aspekt ist in der “Korrektur” auf Tagesschau.de für die Verbreitung der “Ente” und Fake-Meldung selbstredend nicht die Rede. Stattdessen wird weiter herumgeschwurbelt – um irgendwas zu retten, was aber nicht mehr zu retten ist?

Hier auch noch einmal mein Kommentar unter dem Blogartikel:

59: Michael Gessat: 19. September 2022 um 21:15 Uhr

Was soll das heißen: "Es ist wahrscheinlich, dass sie auch nie belegt werden, weil sie physikalischen Grundsätzen widersprechen"??? Was soll das heißen: "Wir gehen davon aus, dass alle Korrespondentenberichte, die wir veröffentlichen, vorab nach allen journalistischen Grundregeln geprüft wurden"??? Die "Forschungen" des Simbabwers werden nicht nur "wahrscheinlich" nie belegt werden, sondern nie – weil sie Bullshit und Betrug sind. Und die Redaktion von Tagesschau.de darf nicht nur "davon ausgehen", dass die Korrespondentenberichte nach allen journalistischen Grundregeln geprüft wurden – sondern muss dies ja gerade selbst sicherstellen – wer sonst sollte denn dafür verantwortlich sein??? Die viel zu spät publizierte "Korrektur" dieses Desasters ist immer noch ein Desaster. Liebe Kolleginnen und Kollegen – bitte aufwachen. Und Korrektur und Transparenz heißt: Butter bei die Fische, nicht noch irgendwie beschönigen wollen. 🙂

Oder wie ich bei Twitter angemerkt habe:

Das alles ist jetzt “Nestbeschmutzung”. Nein, es ist ein Last-Minute-Nest-Säuberungs-Versuch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Eine tendenziöse pro-Baerbock-Kampagne von öffentlich-rechtlichen “Faktencheckern”?

Tja, man weiß es nicht. Man/frau/es weiß es ja nie bei Überschriften mit Fragezeichen dahinter. Ein Artikel mit Fragezeichen weiß es entweder nicht genau oder möchte sich nicht festlegen – das kann bei komplizierten Sachverhalten, die in der vom Honorar her angemessenen Recherchezeit eines/einer (freien 🙂 ) öffentlich-rechtlichen Journalisten/Journalistin eben nicht wirklich verantwortungsvoll zu klären sind, so einigermaßen ok sein.

Oder aber der Artikel oder vielmehr sein(e) Verfasser(in) möchte sich einen schlanken Fuß machen. Und irgendwas raushauen, ohne im Zweifelsfall für etwaige juristische und journalistische Folgen belangt zu werden. Oder – noch viel schlimmer: Irgendetwas insinuieren, was faktisch und journalistisch gar nicht belegt werden kann.

Die Überschrift bei Tagesschau.de lautet:  “Debatte um Baerbock-Äußerung: Eine pro-russische Kampagne?” Und da würden wir doch gerne von unseren öffentlich-rechtlichen Faktencheckern eine gute und vor allem objektive Analyse dieser Frage erwarten – wenn das denn überhaupt eine neutrale Frage ist und nicht vielmehr eine Insinuation und Suggestion. Ok, ich analysiere das mal als öffentlich-rechtlicher Journalist. Die Deutsche Außenministerin hat am 31. August in Prag auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Konferenz “Forum 2000” gesprochen – in Englischer Sprache. Davon gibt es ein Komplett-Video, dessen Authentizität niemand in Frage stellt.

Bei diesem Auftritt sagt Baerbock: “But if I give the promise to people in Ukraine: ‘We stand with you as long as you need us.’ then I want to deliver. No matter what my German voters think, but I want to deliver to the people of Ukraine.” Auf Deutsch: (ich habe nix an der Übersetzung meiner geschätzen Tagesschau-KollegInnen auszusetzen… 🙂 ) “Aber wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ‘Wir stehen zu euch, solange ihr uns braucht’, dann will ich das auch halten. Egal, was meine deutschen Wähler denken, aber ich möchte für die ukrainische Bevölkerung liefern.”

Das hat sie gesagt. Definitiv. Laut Tagesschau- und BR-Faktencheckern bzw. Fakten-Füchsen 🙂  haben interessierte Kreise, z.B. das Portal Welt.de, das ja vom dem bekanntlich auch von mir super-geschätztem Axel-Springer-Verlag 🙂 herausgegeben wird, zunächst eine falsche Version des Zitats verbreitet. “Regierung stehe an Seite der Ukraine, egal was die deutschen Wähler denken, sagt Baerbock.” Und dann korrigiert: “Regierung stehe an Seite der Ukraine, egal was meine deutschen Wähler denken, sagt Baerbock.”  Die tollen, geschätzten ÖR-Faktenchecker und -Füchse bleiben allerdings jeglichen Hinweis schuldig, was denn an der korrigierten Version anders oder besser sein soll als an der meinetwegen falsch zitierten ersten.

Mir fällt da auch – als top-verantwortungsvoll handelndem, denkendem und recherchierendem öffentlich-rechtlichem Journalisten 🙂 nix zu ein. Es ist ja ziemlich klar, dass Annalena Baerbock sich nicht allen deutschen Wählern und Wählerinnen verantwortlich fühlt. Was z.B. die Wähler und Wählerinnen der AfD denken, kann Baerbock legitimerweise einigermaßen egal sein. Rein rechtlich gesehen kann ihr sogar alles Denken der Wähler und Wählerinnen egal sein – wir haben nämlich kein imperatives Mandat hier in Deutschland, sondern die Abgeordneten sind aus gutem Grund nach der Wahl erst mal nur ihrem Gewissen verpflichtet.

Von daher sind natürlich auch die AfD- und sonstigen rechten Idioten-Reflexe lächerlich – #Hochverrat und #Rücktritt erinnern so etwas an die nostalgischen “Angela-Merkel-an-die-Wand-stellen”-Schwachmaten-Geifereien. So weit, so schlecht. Selbstverständlich haben aber in Minutenschnelle sowohl russische Internet-Trolle als auch politische Gegner und Gegnerinnen die Steilvorlage der Außenministerin aufgenommen. Die Verbreitungs-Analyse im Tagesschau- und BR-Artikel – die mag ja insofern sicherlich stimmen. Aber die ändert ja keinen Deut an der Aussage der Ministerin.

Dass aber jetzt meine geschätzten öffentlich-rechtlichen KollegInnen Interpretationshilfe geben, wie denn die erst mal faktisch unzweifelhafte Aussage von Annalena Baerbock zu kontextualisieren und einzuordnen und “gemeint” sein könnte – das erschüttert und empört mich allerdings zutiefst. Ich habe mir das Video angeguckt (Baerbocks Englisch ist übrigens wirklich nicht wahnnsinnig gut…) und ihre nach dem Zitat folgenden weiteren Äußerungen zu der Notwendigkeit, auf die Nöte der von Sanktionsmaßnahmen-Folgen Betroffenen solidarisch einzugehen: Die sind zwar schön und gut und sicherlich auch politisch notwendig – aber die Aussage “egal was meine Wähler denken” wird dadurch nicht neutralisiert.

Der Witz ist ja erstens – in wieweit die angedachten Kompensationsmaßnahmen tatsächlich die Zumutungen und Belastungen für die Bevölkerung kompensieren werden, ist noch keinesfalls klar. Und zweitens – wir haben nach den Corona-Zumutungen direkt die nächsten Zumutungen, bei denen wiederum die Bürgerinnen und Bürger gar nicht gefragt worden sind, ob sie denn “selbstverständlich” solidarisch sein wollen. Solidarisch zu sein fällt naturgemäß leichter, je mehr man mit 5000,- Netto und mehr in einer schicken Berliner Altbauwohnung residiert 🙂

Klar – die Russen-Trolle und die politischen Gegner greifen die Baerbock-Äußerung gerne und social-media-pointiert auf. Das ist sozusagen deren normales Business – das man aber auch gar nicht weiter skandalisieren muss. Vom Auswärtigen Amt kommt hingegen ein furchtbarer Verdacht: Der dort angesiedelte “Ministeriumsbeauftragte für strategische Kommunikation” (Mist, woran erinnert mich diese Amtsbezeichnung nur?? Ich denk da lieber nicht zu intensiv drüber nach, Autobahn geht ja gar nicht…), Peter Ptassek schwurbelt da via Twitter rum:

"Der Klassiker: Sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange."  

Wo genau da jetzt die Sinnentstellung und Desinformation gewesen sein soll – bei Herrn Ptassek ebenso wie bei den Faktenfüchsen: Fehlanzeige. Die Verteidigungsstrategie erinnert stark an die des Grünen-Wahlkampfteams, das ebenso erfolglos wie peinlicherweise versucht hatte, Annalena Baerbock aus ihrem unbestreitbaren Plagiats-Sumpf rauszupauken. Bei Herrn Ptassek ist das “sich in die Bresche werfen” aber auch Teil seines Jobs. Bei meinen Kollegen und Kolleginnen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk allerdings nicht. Wie kommt ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen darauf, hier mit Fragezeichen-Überschriften, mit Selbstverständlichkeiten politischer Gegner, und mit von ihren Auswirkungen her gar nicht erläuterten angeblich “verzerrenden” Fehlern konkurrierender Medien in den reichweite-starken öffentlich-rechtlichen Medien Partei zu ergreifen?

Wir haben seit langer Zeit eine Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir haben gerade die Causa Schlesinger beim rbb – wobei ich übrigens sagen würde – ein Großteil der vermeintlich so klaren Missbräuche/Skandale dort ist überhaupt nicht so klar oder justiziabel – aber ok: Wir sind gerade extrem unter Beobachtung und unter Beschuss. Und dann veröffentlichen wir so eine Schei…/so eine tendenziöse, parteiergreifende und in der journalistischen Form herumschwurbelndende Kacke (oh, Entschuldigung! 🙂 ), bei der eben gar nicht klar wird, was hier “Faktencheck” ist und was nur normale “grün-versiffte” Parteiergreifung.

Der absolute Gag ist ja – ich bin eigentlich politisch-emotional auch in dem “grün-versifften” Lager, weil die anderen Lager noch widerlicher sind. 🙂 Aber seit der Plagiats-Affäre von Frau Baerbock und ihren famosen Partei-Kollegen ist das bei mir vorbei. Fazit: Wir haben hier keinen Baerbock-Skandal. Wir haben aber leider wieder mal einen (Mini-) ÖR-Parteiergreifungs- und “Faktenchecker”-Skandal.

“How dare you?” Wenn wir da  nicht endlich die nötige Sensibilität und Neutralität entwickeln und zeigen, kicken wir uns raus. Und dann zu recht.

 

P.S. /Korrektur: Ich hatte in einer ersten Version des Artikels geschrieben, Peter Ptassek sei Mitglied des Grünen-Wahlkampfteams gewesen. Das war eine Verwechslung.