Dass Soziale Netzwerke und der ständige (vorwiegend mobile…) Zugriff darauf Zombies produzieren, ist eh klar 🙂 Aber dass die Toten oder eben vielmehr die Untoten (verstorbene Nutzer mit verwaisten oder in den Gedenkzustand versetzten Accounts…) irgendwann bei Facebook in der Mehrzahl gegenüber den Lebenden sein werden, darauf muss man erst mal kommen. Aber klar; im Gegensatz zu Mikroben oder sonst was pflanzt sich der Mensch nicht exponentiell fort, es gibt also auch trotz eines gewissen oder vielleicht sogar besorgniserregenden Bevölkerungswachstums insgesamt schon mehr Gestorbene als noch Lebende.
Und zweitens: Facebook hat eine so gewaltige Userzahl, dass es überhaupt erst Sinn macht, deren Entwicklung mit der prognostizierten Entwicklung der Weltbevölkerung zu korrelieren: Im “optimistischen” Szenario der beiden Forscher Carl Öhman und David Watson vom Oxford Internet Institute wächst das Netzwerk mit der derzeitigen Rate von 13% jährlich bis zur “Marktsättigung” – soll heißen; jeder Mensch auf der Erde, der einen Facebook-Account haben will, hat dann einen. Mehr Wachstum geht nicht, und insofern setzt dann der oben erwähnte Mechanismus ein: Die Nutzer sterben, und auch wenn es eine Generation neue User geben sollte, stehen denen erst eine, dann zwei, dann drei Generationen tote User (bzw. eben deren Gedenk- oder vergessene Profile…) gegenüber…
Unmittelbar einsichtig wird der Effekt beim Extrem-Szenario der Wissenschaftler: Wenn von heute auf morgen kein neuer Nutzer mehr zu Facebook dazu käme, dann ginge das Sterben sofort los – dann würden übrigens asiatische User den größten Teil der Toten/Untoten stellen. Beim zweiten, realistischeren Szenario (eine vielleicht ja angebrachte Facebook-Kernschmelze infolge eines noch mal potenzierten Cambridge-Analytica-Effekts halten die Autoren für unwahrscheinlich; ich stimme da zu..) inklusive weiteren Wachstums wären das hingegen die Afrikaner: Das reflektiert schlicht und ergreifend die derzeitigen und prognostizierten User-Zuwachsraten und die prognostizierte Bevölkerungsentwicklung in den betroffenen Regionen.
Aber eigentlich ist das Ganze nur ein Big-Data-Rechenexempel, das zeigt: Das digitale Erbe, die digitalen Hinterlassenschaften von Menschen im Netz; nicht nur bei Facebook – die sind in ein paar Jahren kein exotisches Szenario mehr, sondern Mainstream. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob ein User-Profil eines stinknormalen Menschen überhaupt erhalten werden muss oder sollte, oder im Gegenteil im Daten-Nirvana am besten aufgehoben ist – nur; die Entscheidung darüber, das meinen die Autoren der Studie wahrscheinlich zu Recht – die sollte vielleicht besser nicht in der Entscheidungsgewalt eines privaten, gewinnorientierten Unternehmens wie Facebook liegen.
Wie in anderen Disziplinen auch (Einflussnahme auf Wahlen, Mobilisierung von durchgeknallten Extremen…) – ab einer bestimmten Größe ist ein Privatunternehmen mit privaten Nutzungs-Regeln eben nicht mehr privat – und das gilt auch für die toten User.
Facebook in 50 Jahren: Mehr tot als lebendig
DLF Nova – Hielscher oder Haase vom 29.04.2019 (Moderation: Diane Hielscher)