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Social-Media-Aktivitäten des IS: Frauen spielen eine zentrale Rolle

Wenn man sich so ganz allgemein anschaut, was Menschen dazu bringt, den sogenannten „Islamischen Staat“ zu unterstützen, dann hat das ja offenbar mit einer rationalen Entscheidung meist nicht allzu viel zu tun. Da sind anscheinend viele geistig unzurechnungsfähige oder psychisch Gestörte dabei, an oder jenseits der Debilitätsgrenze und/oder mit einer Klein- oder Schwerkriminellen-„Karriere“ im Gepäck. Oder eben die „ganz normal“ Orientierungslosen, die von tatsächlicher oder vermeintlicher Chancenlosigkeit Entmutigten – die entweder in islamischen Staaten oder in irgendwelchen westlichen „Gast“- oder „Einwanderungsländern“ ein dankbares Missionierungs-Zielobjekt von fanatischen Anwerbern werden. Und wo man in diesem Spektrum diejenigen hintun soll, die sich von über die Wüste galoppierenden Fantasy-Kämpfern unter der grünen Fahne des Propheten begeistern lassen und auch mal endlich nicht nur am PC, sondern „in echt“ mit Schwertern ungläubige Hälse abhacken wollen, die nach den Jungfrauen im Paradies lechzen und sich auch gern schon einmal auf Erden einen kleinen Vorschuss bei „Sexsklavinnen“ holen – das auch noch mal eine Spezialfrage.

Manch einer erklärt das ganze Phänomen „IS“ ja als Ausdruck einer systemischen sexuellen Neurose – aber so einfach ist die Sache wohl auch nicht. Denn es schließen sich ja auch Frauen dem „Projekt“ an oder unterstützen es – andererseits können natürlich auch Frauen bei einer systemischen sexuellen Neurose mitwirken; sie erziehen schließlich ihre Söhne zu neuen kleinen und später großen Arschlöchern emotionalen Krüppeln. (Zusätzliche traumatische Kindheitserfahrungen ggf. obendrein – geschenkt.) Wie dem auch sei – bei der Kommunikation im Netz, bei der Rekrutierung neuer Kämpfer oder Terroristen kommen anscheinend auch im vermeintlich männerdominierten IS-Universum die klassischen „Soft Skills“ ins Spiel, die Frauen nachgesagt werden. Laut einer Studie in Science Advances haben jedenfalls weibliche Akteure in islamistischen Unterstützergruppen beim russischen Facebook-Pendent VKontakte eine signifikant höhere Verknüpfungseffizienz („betweenness centrality“) als ihre zahlenmäßig stärker vertretenen männlichen „Freunde“.

Und damit bestätigen sich also auch bei einer „extremistischen Gruppe unter Druck“ im zeitgemäßen Cyberraum die netzdynamischen Strukturen aus der alten, analogen Welt – die Studienautoren bringen hier detaillierte Sozialgefüge-Analysen der PIRA (Provisional Irish Republican Army) im Nordirland der 70er und 80er Jahre zum Vergleich. Ob die Welt und die individuelle Kommunikations-, Verfolgungs- und Risikosituation damals nicht doch sehr weit von einer heutigen Social-Media-Aktion am warmen PC entfernt ist, ist eine berechtigte Frage. Aber zumindest die möglichen Konsequenzen laufen ja am Ende auf das gleiche, alte Lied hinaus: Gewalt und Tod im Dienste der höheren Sache; für andere und gegebenenfalls auch für die eifernden Akteure selbst.

Vielleicht liegt ja im besonders engagierten und effektiven weiblichen Netz-Einsatz für den „IS“ letztlich sogar ein emanzipatorisches Element? Aus der Perspektive unter den Kopftüchern mancher Frauen bestimmt. Ob’s stimmt, wird sich ja dann irgendwann nach dem ruhmvollen, unausweichlichen Sieg des Kalifats erweisen. Oder auch nicht.

Social-Media-Aktivitäten des IS: Die Anwerberinnen · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 13.06.2016 (Moderation: Till Haase)

Islamischer Staat: Frauen geben bei IS-Propaganda im Netz den Ton an – SPIEGEL ONLINE

(Spiegel Online – Netzwelt vom 14.06.2016)

Google schmeißt antisemitische Chrome-Extension aus dem App-Store

Man kann ja den israelischen Premier für einen opportunistischen Unsympathen halten, die irrlichternden Vertreter kleinerer rechter/orthodoxer israelischer Parteien für komplette Vollidioten und Nazi-Wiedergänger mit verdrehtem Vorzeichen – wer aber andererseits der schönen Verschwörungstheorie von den geheimen Plänen des „Weltjudentums“ zur Erlangung der Weltherrschaft frönt, ist komplett gehirnamputiert. Betrifft also größere Teile der Weltbevölkerung 🙂 …

Und für diese Klientel ist es natürlich auch schon eine aufklärerische Tat, Juden als Juden zu identifizieren – im Netz zum Beispiel. Weil, wer ein Jude ist, bei dem ist ja alles klar. Ob Investmentbanker, Politikerin oder Chef eines Internet-Unternehmens. Oder so. Und zur Kennzeichnung dieser Juden, bei denen ja dann alles klar ist, da gibt es halt die drei Klammern. Also z.B. (((Michael Gessat))) – da steht jetzt die innerste Klammer für: Juden zerstören die Familie. Die mittlere: Juden zerstören die Nation durch Immigration. Und die äußere steht für das internationale Judentum. So weit, so einleuchtend.

Für die angesprochenen Gehirnamputierten ist da natürlich eine Browser-Extension wie „Coincidence Indicator“ ganz hilfreich – da weiß man eben schon beim Besuch auf irgendwelchen Webseiten: Jude, alles klar. Nach einem Bericht der Website mic letzte Woche hat nun allerdings Google die Extension aus dem App-Store geschmissen. Warum nur – was kann denn daran antisemitisch sein, einen Juden als Juden zu identifizieren? (Krokodiltränen-vergieß, naiver Augenaufschlag…) Genau. Um die Diskussion etwas zu befeuern – und um ein Zeichen gegen den antisemitischen Schwachsinn zu setzen, hat jetzt Brian Teeman von Joomla eine Gegenkampagne gestartet; hat selbst die drei Klammern um seinen Twitter-Usernamen ergänzt – mit der Aufforderung an alle, es ihm da gleich zu tun.

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 06.06.2016 (Moderation: Thilo Jahn)

FAZ und Anonymous-Faker fachen Verwirrung um „Anonymous-Kollektiv“ an

Wenn ich die heutige FAZ-Ausgabe schon am Morgen gelesen hätte, wäre mir der Kaffeelöffel aus der Tasse gefallen. Jetzt ist mir fast noch das Gute-Nacht-Schokoeis im Hals stecken geblieben. Denn als wäre die Sache mit „Anonymous-Kollektiv“ nicht schon unbegreiflich verwirrend genug für alle, die hinter jeder Guy-Fawkes-Maske unbegreiflich verwirrendes vermuten – nun werfen auch noch Qualitätspresse und unverantwortliche Zeitgenossen aus dem sogenannten „Internet“ weitere Nebelkerzen in die aufgeheizte Gemengelage:

Fragt man bei Anonymous nach, so erfährt man, dass die Seite „Anonymous Kollektiv“ tatsächlich bis 2012 von drei Anonymous-Mitgliedern administriert worden sei …„Bei einem Streitthema wurden die drei Admins rausgeworfen“, teilt Anonymous auf Anfrage mit.

Dazu möchte ich festhalten – ich weiß nicht, wo genau Artikelautorin Andrea Diener nachgefragt bzw. ihre Anfrage gestellt hat. Bei Anonymous; genauer gesagt, beim echten Anonymous-Kollektiv jedenfalls definitiv nicht.

Der anonyme Pressesprecher von Anonymous vor dem Brandenburger Tor. (Thomas Wolf, www.foto-tw.de Montage: anonym)

Der anonyme Pressesprecher von Anonymous vor dem Brandenburger Tor. (Thomas Wolf, www.foto-tw.de CC BY-SA 3.0 Montage: anonym)

Anonymous-Sprecher N.N. teilt hierzu ganz offiziell folgendes mit:

„Die Seite „Anonymous-Kollektiv“ ist weder bis 2012 noch sonst irgendwann von drei oder sonst wievielen Anonymous-Mitgliedern administriert worden. Das wüsste ich sonst schließlich. Die im Namen von Anonymous Erklärungen abgebenden angeblichen Anonymous-Vertreter tun dies zu Unrecht, sie sind überdies keine Mitglieder von Anonymous und waren dies auch nie. Eine Unterlassungserklärung an FAZ und Pseudo-Anonymous ist bereits unterwegs, erwartet sie. Wir sind Anonymous. Wir sind Legion. Und wir werden Desinformation in unserem Namen niemals zulassen.“

Kanzlerin Merkel telefoniert mit dem türkischen Premier über Böhmermann – der geleakte Mitschnitt hier!!

Bei den deutsch-türkischen Irritationen um einen beleidigenden, sogenannten „Satirebeitrag“ des NDR vor ein paar Tagen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch – von vielen kritisiert – staatsfräuliche Zurückhaltung walten lassen. In der neuerlichen und nun vollends aus dem Ruder laufenden Böhmermann-Krise aber griff sie jetzt doch höchstpersönlich zum Telefonhörer. Spät, aber nicht zu spät. Hoffentlich. Aus gut informierten Kreisen ist uns der abgehörte Mitschnitt übermittelt worden:

Tüüüt…

Frau Merkel?? Hier Davutoglu. Das war aber wirklich aller, aller, allerhöchste Eisenbahn, dass Sie anrufen. Unser verehrter Präsident schäumt, was sage ich, er rast ja vor Wut. Ein paar Tage lang hatte sich ja niemand getraut, ihm die neue Geschichte überhaupt zu erzählen. Aber dann hat er die Sache beim Googeln nach seinem Namen selbst gefunden. Und jetzt weiß ich wirklich nicht mehr, was ich machen soll. „Bringt mir den Kopf und die Eier dieses verfickten Schweines Böhmermann!“ schreit der Präsident – Gottes Segen liegt auf ihm – immer und immer wieder. Die ganze schöne Einrichtung in seinem geschmackvollen Palast hat er schon zerdeppert und die Brustharnische seiner Janitscharen-Leibgarde völlig zerbeult.

Also jetzt mal Klartext, Frau Merkel – wenn dieses Schwein Böhmermann nicht ausgeliefert wird, dann… Dann – jetzt hören Sie mal schön zu – dann machen wir die Grenzen auf und schicken euch eine Million, ach was, zwei, drei Millionen Flüchtlinge plus dazu noch haufenweise anatolische Bauern – nein, ich meinte haufenweise verficktes Kurdenpack. Und die anderen Terroristen auch noch – nein, nicht die Journalisten, ich meine die vom IS!!!

Aber Herr Davutoglu, bitte beruhigen Sie sich doch, ich habe doch vollstes…

Nein, das Fass ist mehr als voll. Das Schwein ausliefern oder Abbruch der Beziehungen, ach was sage ich denn, Krieg!!

Aber Herr Davutoglu, bitte beruhigen Sie sich doch, ich stimme doch ganz mit Ihnen überein…

Also Sie liefern aus, das Schwein?

Nein, Herr Davutoglu, das geht ja nicht, ich habe da nicht die Spielräume wie ihr verehrter Herr Präsident. Aber ganz klar, das Gedicht von diesem Böhmermann war ein bewusst verletzender Text.

Das mit dem, wie heißt das – Gelöt?

Genau, das mit dem Gelöt…

Und mit den Ziegen?

Ja, das…, das auch. Ich, das heißt wir, die Bundesregierung, also wir messen natürlich grundsätzlich der Presse und Meinungsfreiheit einen hohen Wert zu…

Was sagen Sie da???

Einen hohen Wert zu – aber natürlich ist die nicht schrankenlos, diese Dings, diese Freiheit…

Natürlich nicht, ganz und gar nicht schrankenlos. Und deswegen muss der Kerl hingerichtet werden. Oder ausgepeitscht. Wieso wagt das dieser Wicht einfach so? Bewusst verletzen? Unseren Präsidenten, Gottes Segen auf ihm? Was ist mit dem Schwulsein?

Das ist auch bewusst verletzend. Natürlich ist und war kein türkischer Präsident schwul, auch nicht Herr Atatürk – tschuldigung, Herr Erdogan…

Was sagen Sie da??

Ich verweise ja auch drauf, also der ausstrahlende Sender, dieser NDR – ach nein, das ZDF war das ja in diesem Fall, der ausstrahlende Sender also hat ja bereits, hat ja auch die Konsequenzen bereits gezogen..

Also das Schwein und die ganze verfickte Truppe entlassen und die verantwortlichen Chefs natürlich auch?

Das nicht direkt, also man hat, man hat den Mitschnitt aus der Mediathek und dem Netz genommen und die Passage rausgeschnitten. Und dann … und dann, na ja, den Rest hat man dann wieder reingestellt…

Was???

Herr Davutoglu, bitte, ich verstehe ja und stimme ja ganz mit Ihnen…

Also Sie entschuldigen sich jetzt sofort bei mir, dem verehrten Herrn Präsidenten und dem ganzen türkischen Volk, sonst…

Aber Herr Davutoglu, ich stimme ja ganz mit ihnen, ich bin ja ganz Ihrer Ansicht – sagen Sie das bitte auch dem verehrten Herrn Präsidenten…

Entschuldigen Sie sich jetzt oder nicht???

Ich… ja, das heißt nein, ich meine – von mir aus können Sie das ja in ihren Zeitungen und Sendern so formulieren lassen, hier bei mir ist das etwas heikel, ich meine…Aber Herr Davutoglu, es bleibt doch bei unserer Verabredung da mit den Flüchtlingen, ich meine…

Tüüüt….

(Hier endet die Aufzeichnung.)

Nachklapp ( 22.04.2016): Das Gespräch war ein Fehler, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Deutungs-Diskussionen um Böhmermanns Erdogan-„Schmähgedicht“

Man muss Jan Böhmermann und seinen Humor nicht unbedingt mögen. Ich vermute mal, er würde selbst gar nicht widersprechen, wenn ihn manche Leute als zynisches Arschloch wahrnehmen. Passiert mir selbst auch zuweilen (dass ich so wahrgenommen werde…); ist auch möglicherweise eine gewisse Berufskrankheit bei Journalisten. Hinter der letztlich in vielen Fällen das Leiden an dem Wahnsinn der Welt steckt, an dem unfassbaren Irrsinn, den Leute tagtäglich verzapfen und anderen Leuten antun. Über den man jeden Tag liest und hört und sieht und über den man jeden Tag berichtet und zu dem man ab und zu Stellung bezieht – normalerweise aber immer in einem gesitteten, öffentlich-rechtlichen Gestus. Obwohl man der Kanaille (also den zynischen Arschlöchern, die dies aber nicht aus Weltschmerz, sondern aus authentischer Arschlochhaftigkeit sind…) eigentlich nur mal richtig die Fresse polieren möchte.

Das hingegen ist das Vorrecht der Satiriker. Wenn man als normaler Journalist über Satiriker wie Jan Böhmermann schreibt (und jetzt hier konkret über dessen Sendung vom 31.3.2016), dann sollte man am besten weder doof noch faul sein. Nicht doof: Soll heißen, man sollte geistig in der Lage sein, einen Kontext und Meta-Ebenen einbeziehen und verstehen zu können. Nicht faul: Soll heißen, dass man sich schon die Mühe machen muss, im konkreten Fall die gesamte Sendung anzuschauen und nicht nur das (im „offiziellen“ Mitschnitt herausgeschnittene…) „Schmähgedicht.“ (Natürlich finden sich komplette Versionen im NetzNachklapp: Hier ist jetzt auch die vollständige Passage in Textform dokumentiert. Oder hier, um mal meinen Heimatsender hinzuzufügen. In der FAZ war es heute (13.04.2016) auch abgedruckt. Wahnsinn, Obszönitäten in der Qualitätspresse 🙂  )

Also z.B. der Artikel von Michael Hanfeld in der FAZ vom 1.4.: Schwachsinn; natürlich kennt Böhmermann „den Unterschied zwischen Satire und primitiver Beleidigung“: Er hat ja mit Ansage beleidigt bzw. die primitive Beleidigung als „nicht zulässig“ vorgetragen. Wer hier doof ist (Herr Hanfeld ist ja im Gegensatz zu Böhmermann sehr mutig bei der Beleidigung von harmlosen Zielen…), das ist noch die ganz große Frage.

Oder die Kritik von Hakan Tanriverdi bei jetzt.de: „Ich habe das Video gesehen, nicht aber die gesamte Sendung.“ Dann sollte man aber auch nicht drüber schreiben. Klar, wenn man das „Gedicht“ aus dem Kontext nehmen würde, „wenn man da das Wort ‚Erdogan‘ durch ‚Migrant‘ oder ‚Muslim‘ ersetzt, dann hört sich das Ganze wie ein braunes Gedicht vom AfD- und Pegida-Clan an.“ Ist aber nicht so. Jan Böhmermann ist ja – obschon man ihn „wie ein Stück Seife“ nicht mal endlich zu einer klaren Aussage bringen kann „was meint der denn jetzt wirklich“ – eher nicht Nazi- oder Pegida-verdächtig. Auch der geschätzte Kollege Stefan Niggemeier diagnostiziert auf „Übermedien“ nur eine weitgehend wohlfeile, eigenwerbende Daffke-Mentalität bei Böhmermann.

Stimmt ja vielleicht. Aber nein: Alles Quatsch. Es geht eben nur um Kontext und Meta-Ebenen, wenn man nicht ganz schlicht veranlagt ist. Und im aktuellen Fall ist der Kontext: Erdogan lässt in der Türkei Journalisten, die über mögliche Verstrickungen des türkischen Geheimdienstes mit dem IS berichten, als angebliche Terroristen ins Gefängnis werfen. Missliebige Polizisten, Staatsanwälte oder Richter wandern gleich hinterher. Das Instrument der Beleidigungsklage wird quasi inflationär eingesetzt, um Kritiker mundtot zu machen. Und der türkische Staatspräsident Erdogan akzeptiert auch explizit Urteile des türkischen Verfassungsgerichts nicht – ein lupenreiner Demokrat halt.

Hierzulande müsste aber auch ein eitler, aufgeblasener Popanz wie Herr Erdogan (der seine Macht ja „nur“ einem (hoffentlich…) demokratischem Wahlergebnis verdankt…) selbst bei einer richtigen, nicht nur eingebildeten Beleidigung den ganz normalen, popeligen Rechtsweg beschreiten, wenn er denn (ausnahmsweise mal zu Recht…) gegen das grottige, eindeutig beleidigende und schmähende „Gedicht“ von Böhmermann vorgehen wollte. In der Verhandlung wird die Verteidigung dann allerdings fadenscheinige Gegenargumente bringen – das Ganze sei ja nur ein Beispiel für etwas gewesen, was man nicht sagen dürfte. Das bescheuerte „Gedicht“ wird immer wieder zitiert und interpretiert (Streisand-Effekt).  Und dann gibt es vielleicht irgendwann einen Strafbefehl gegen Böhmermann – eine überschaubare Geldstrafe.

Keine Hinrichtung. Kein Kerker. Keine Entlassung. Quod erat demonstrandum. Für Leute in angeblichen Demokratien. Und angeblichen Rechtsstaaten. Für lupenreine Demokraten mit neurotischen Sultan-Allüren. Mit Sonder-Durchgriff auf die Justiz. Fazit: Das bescheuerte Gedicht (es ist allerdings wirklich schwierig, eine weniger platte, aber eben auch wirklich beleidigende und nicht mehr satirisch abgedeckte Alternativ-Version zu finden…) erfüllt tatsächlich einen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag. 🙂 Das ist letztlich eben doch ziemlich witzig (und sogar ziemlich mutig…), das mal einem humorlosen und nachtragenden Politiker zu zeigen. Und ist halt ein Privileg der Satiriker, auch wenn das „Gedicht“ isoliert betrachtet keine Satire ist…

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 04.04.2016 (Moderation: Till Haase)

 

P.S. Die Sache hat mittlerweile noch einen neuen, irren Dreh: Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel oder irgendwelche anderen Regierungsmitglieder ja sehr vornehm zurückgehalten haben, die absurde Einbestellung des deutschen Botschafters nach der NDR-Satire zu kommentieren – jetzt telefoniert die Kanzlerin plötzlich mit dem türkischen Premier Davutoglu. Über die Böhmermann-Sendung. Herzlichen Glückwunsch – auch Frau Merkel ist klargeworden, dass es sich bei dem „Gedicht“ um einen „bewusst verletzenden Text“ handelt. Dass es sich bei den Aktionen gegen türkische Journalisten und Zeitungen, und beim Einbestellen des deutschen Botschafters auch um bewussten oder unbewussten, aber nicht nur kalkuliert verletzenden satirischen, sondern ganz ernsthaften Staats-Bullshit handelt, das kam in dem – wie in Istanbul üblich, abgehörten – Gespräch aus gewissen Gründen nicht zur Sprache… 🙂

P.S. 2 – Es ist ja immer tröstlich, auch mal einen Checker-Kommentar zu lesen oder zu hören:

Lorenz Maroldt, Chefredakteur vom Tagesspiegel in rbb radio eins. (Der schöne Morgen vom 05.04.2016)

P.S. 3 (06.04.2016) – Jetzt wird es möglicherweise juristisch interessant: Die Staatsanwaltschaft Mainz hat nach diversen Anzeigen Ermittlungen wegen Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten eingeleitet. Allerdings muss auch die Türkei noch mitspielen wollen. Die Bundesregierung wird sich jedenfalls einem Ermittlungsverlangen im Zweifelsfall nicht in den Weg stellen, das hat Frau Merkel ja schon signalisiert 🙂 …

P.S. 4 (08.04.2016) – Jetzt hat sich auch noch der Intendant des ZDF, Thomas Bellut, beim türkischen Botschafter entschuldigt bzw. „sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Beitrag Gefühle von Zuschauerinnen und Zuschauern verletzt hat“. (Was nicht unbedingt ein verlässliches Kriterium sein muss, ich verweise auf Charlie Hebdo und die Mohammed-Karikaturen…) Da bekommen also jetzt nicht nur die lupenrein demokratischen Staatslenker ihr Trostpflästerchen, sondern auch noch die Nicht-Checker vor der Glotze, inklusive der in ihrem nationalen Stolz verletzten Schwachmaten. In der Türkei hat das ganze ja (kein Wunder bei einem gewissen Volks-Neurotizismus und einer mittlerweile weitgehend von Erdogan kontrollierten Presse…) schon zu Angriffen gegen ZDF-Einrichtungen geführt, insofern steckt hinter dem Intendanten-Anruf eine ähnlich pragmatische Logik wie hinter dem der Kanzlerin. Es ist irgendwie nachvollziehbar, aber auch irgendwie noch mehr zum Kotzen.

P.S. 5 (11.04.2016) – Die türkische Regierung spielt „natürlich“ mit, das ist sie ja schon dem landesüblichen bzw. orientalischen Hang zur leicht geschmacksverwirrten National-Theatralik schuldig. Die Böhmermann-Verse (die sich ja inzwischen ausgerechnet Mathias Döpfner – nicht ohne Hinweis auf eigene öffentlich-rechtliche Verwundungen im Zusammenhang mit dem Wort „ficken“ 🙂 – „vollinhaltlich“ zu eigen gemacht hat – oh weh, oh weh, das wird für ihn im Gegensatz zu Böhmermann schlimme Folgen haben, denn dem Springer-Boss fehlt ja der Satire-Kontext. Kleiner Scherz – die BILD ist natürlich das populärste Satire-Magazin Deutschlands, das weiß man sowohl in Berlin als auch in Ankara…) seien ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, so der türkische Vizeministerpräsident Numan Kurtulmuş. Dann ist das Ganze natürlich auch kein Fall mehr für das Berliner (oder Mainzer?) Amtsgericht, sondern für Den Haag.

P.S. 6 (12.04.2016):

Die Produktionsfirma btf GmbH und Jan Böhmermann haben entschieden, die für Donnerstag geplante nächste Ausgabe von Neo Magazin Royale nicht zu produzieren. Grund ist die massive Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator. Die Entscheidung erfolgte in Abstimmung mit dem ZDF.

Häh? Bislang ist die Sache doch eigentlich so gelaufen wie geplant (die ganz normale popelige persönliche Beleidigungsklage von Herrn Erdogan…

Blödsinn aus dem notorischen Hort des Blödsinns, dem „Internet“

…ist ja – neben dem bereits im Raum stehenden Klageverlangen wegen Majestätsbeleidigung – unterdessen auch eingetrudelt…) Und jetzt ist der Druck zu hoch? Oder hat doch das ZDF eine kleine Sendepause verordnet? Immerhin steht mittlerweile nicht nur die weitere Karriere von Herrn Döpfner mit auf Messers Schneide, sondern auch die Kanzlerschaft von Frau Merkel. Eine Staatsaffäre eben. Und noch der absolute Super-Kracher: Das alles hängt mit dem Berliner-Flughafen-GAU zusammen!!! Zu sehen am Schluss der Gehirnamputierten-Reportage eines türkischen Schwachmaten-Senders. Jetzt wird plötzlich alles klar!

Und trotzdem zur Abwechslung noch mal ein Abstecher vom Wahnsinn zum Rationalen – mit der juristischen Einordnung von Alexander Thiele im Verfassungsblog bin ich natürlich ausgesprochen d’ac­cord…

P.S. 7 (13.04.2016) Nachdem sein Boss ja schon in einem heroischen Selbstaufopferungs- und Selbsterhöhungsakt mit in die juristische Jauchegrube gesprungen ist (ich warte immer noch auf die überfällige Strafanzeige gegen Herrn Döpfner…), muss natürlich auch der „ich-möchte-doch-auch-so-gerne-mitspielen“-Journalismus-und-Intellektuellen-Imitator Kai Diekmann einen Beitrag zuliefern. Ist logischerweise richtig schlecht geworden (eine Hornbrille und ein Dreitagebärtchen machen eben noch nicht geistreich…), ist möglicherweise auch im Rahmen der normalen BILD- bzw. Diekmann-Perfidie perfide. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Ob der Satire-Versuch von Tübingens grünem OB Boris Palmer richtig gut geworden ist, weiß ich auch nicht so recht. Auf jeden Fall ist einem Kommentator bei Tagesschau.de zuzustimmen:

Inzwischen ist es Slapstick.
Ich möchte nur alle bitten: Jeder nur eine Torte.

P.S. 8 (14.04.2016) Die Titanic-Torte hier ist allerdings gar nicht mal schlecht.

P.S. 9 (15.04.2016) Die „Ermächtigung“ der Bundesregierung zur Weiterverfolgung der Majestätsbeleidigungsklage war ja wie gesagt absehbar 🙂 – und mit den heute von Angela Merkel vorgetragenen Erläuterungen ist letztlich die Weitergabe an die Justiz auch gar nicht besonders skandalös. Aber so hochgerutscht habe ich den Atem der Bundeskanzlerin noch nie gehört, dazu die diversen Versprecher – die Frau ist definitiv schwer unter Druck. Kein Wunder bei einem Zwangs-Eiertänzchen mit einem Partner wie Herrn Erdogan 🙂 …

Unterdessen gibt es schon die erste „offizielle“ juristische Einordnung – sie kommt vom Berliner Verwaltungsgericht und geht – was Böhmermann angeht – in die Richtung der Einschätzung von Alexander Thiele.

P.S. 10 (16.04.2016) ZDF-Intendant Thomas Bellut hat Jan Böhmermann die juristische Unterstützung des Senders zugesagt und betont, dass auch der abnehmende Redakteur „keinerlei disziplinarische Maßnahmen befürchten“ müsse. Das ist jetzt mal ein gutes Signal sowohl nach außen als auch nach innen.

P.S. 11 (19.04.2016) In unserer Reihe „Fremde Federn ohne Internetzugang“: Horst Möller

…Abwegig erscheint es, den inkriminierten Text von Jan Böhmermann als politische Satire zu klassifizieren. Das „Schmähgedicht“ ist ebenso vulgär wie dümmlich, es besitzt keinerlei politische Substanz. Geradezu vernichtend für den Anspruch auf Satire aber ist sein eklatanter Mangel an Witz. Eigentlich müssten Satiriker beleidigt sein, wenn ein solches Machwerk als Satire bezeichnet wird. Und ärgerlich ist es für die Bürger, die durch Zwangsbeiträge das öffentlich-rechtliche Fernsehen finanzieren, unfreiwillig für solchen Mist oder seine öffentliche Unterstützung zur Kasse gebeten zu werden.

Ärgerlich ist es allerdings auch, wenn ich mit meinem freiwilligen Abo für die FAZ für einen Text zur Kasse gebeten werde, bei dem der Autor 20 Tage (!!!) nach dem auslösenden Ereignis und den unzähligen und mehr oder weniger erhellenden Einlassungen dazu auf den isoliert betrachteten „Schmähgedicht“-Text abhebt und den mittlerweile ebenso ausreichend dokumentierten (s.o.) wie kommentierten Kontext ignoriert. (Die ebenso nichtcheckenden diversen Doktoren und Professoren in der Leserbriefspalte lassen wir hier mal gnädigerweise außer Betracht – Blödheit ist halt kein Privileg der Unterschicht; das mit dem „immer klugen Kopf“ hinter der Zeitung ist leider eben auch nur ein Werbespruch…) AU WEIA! (Ach nee – der Gastkommentar war sicherlich natürlich auch wiederum satirisch gemeint…)

Ach, und beim verspäteten Durchblättern der FAS von letzter Woche sehe ich auch noch das hier. Heilige Scheiße, um mal sprachlich-thematisch anzuknüpfen, auch der verdienstvolle Ex-Satiriker Gerhard Henschel „analysiert“ das „Schmähgedicht“ isoliert. Herr, wirf Hirn vom Himmel! Nein, das Zoten-Gedicht ist ISOLIERT BETRACHTET kein Kunstwerk, auch keine „Polemik“ (im Sinne eines überzeichneten, aber ernst gemeinten Angriffs…) und insofern   „unterstellte“ Böhmermann Erdogan die Sachen von Ziegen bis Gangbangpartys auch nicht. Und es gab sehr wohl einen „Grund für einen Schlag unter die Gürtellinie“ – weil es im Anschluss an die NDR-Satire und Erdogans Reaktion ja nicht um weitere satirische „Angriffsflächen“ ging, sondern um eine (mal im Kontext notwendige…) BELEIDIGUNG. Hoffentlich wird Nicht-Checker Henschel nicht als Satire-Sachverständiger bei der Gerichtsverhandlung eingesetzt 🙂 …

P.S. 12 (22.04.2016)

Beleidigungen gegen den türkischen Gröpaz Erdogan müssen natürlich sofort gemeldet werden – auch und gerade, wenn sie im Ausland erfolgen. Wenn solche unfassbaren, geradezu gotteslästerlichen Taten nicht durch die landesinterne Justiz adäquat geahndet werden können, ist es selbstverständlich nur ein Akt der legitimen Notwehr, einen (gehirnamputierten…) grauen, schwarz-weißen oder pinken Wolf loszuschicken, um die Schmach zu rächen.

Moment mal – ach so, war nur ein Missverständnis.

 

Dass Politiker Fehler machen oder mit Einschätzungen daneben liegen, ist normal. Dass sie das dann einsehen und auch noch öffentlich eingestehen (jedenfalls solange sie noch im Amt sind…), das ist hingegen schon eine absolute Rarität. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute ihre Bewertung der Causa Böhmermann („bewusst verletzend“) im Telefongespräch mit dem türkischen Premier Davutoglu am 4.4. (s.o. und hier 🙂 …) als Fehler eingestuft – sie ärgere sich im Nachhinein darüber.

Da kann man einfach nur sagen – ein solches Statement verdient Respekt. (Und zwar nicht im Sinne der üblichen politischen Semantik, wo die Formulierung ja als Standard-Nachruf-Floskel für endlich zurückgetretene bzw. zurückgetreten wordene Akteure fungiert. Sondern ganz ernsthaft.)

Obwohl ich bestimmt in vielen Dingen nicht auf der Linie der Bundeskanzlerin liege (z.B. auch was die Strategie in der Flüchtlingsfrage angeht…) – was Frau Merkel immer schon ausgezeichnet hat, ist ihre „fehlende“ Eitelkeit. Machtwillen ja, aber kein Unfehlbarkeitsanspruch. Insofern (das ist jetzt ein Geschlechter-Klischee, aber vermutlich sogar empirisch belegbar…): Frauen sind halt doch die besseren Politiker(innen…) 🙂

 

P.S. 13 (09.05.2016)

Den ganzen Quatsch in der Zwischenzeit habe ich jetzt mal ausgelassen – aber eine ganz wichtige Sache war ja immer noch offen: Was war eigentlich mit Döpfners vollumfänglicher, aber satirefreien Solidaritäts-Trittbrettfahrer-Beleidigung? Die hat Herr Erdogan erst mal gebührend abhängen lassen, aber jetzt endlich auch vor den Kadi gebracht. Und wie gesagt, da sehe ich im Gegensatz zur Sache Böhmermann selbst juristisch eigentlich keine „mildernden Umstände“. Die Begründung des Landgerichts Köln, die einstweilige Verfügung „eher nicht“ zu erlassen, die möchte ich wirklich gern mal sehen…

P.S. 14 (10.05.2016)

Eine absurde Fehlentscheidung des Kölner Landgerichts. (Nein, diesmal nicht die übliche lächerliche Bewährungsstrafe für türkische Killer-„Autorennfahrer“ auf öffentlichen Straßen.) Sondern die in der Sache Döpfner. (Ok, das war jetzt auch die Pressekammer 🙂 ) Sorry, aber den Vorstandschef des Axel-Springer-Verlags muss man schon als sorgfältig formulierenden Menschen ernstnehmen. Und wenn er sich allen „Formulierungen und Schmähungen“ Böhmermanns „inhaltlich voll und ganz“ anschließt (s.o.) und sie sich „in jeder juristischen Form zu eigen“ macht, dann ist das natürlich keine (selbstverständlich zulässige) Meinungsäußerung wie „Ich finde das gut, was Böhmermann gemacht hat“ oder wie der (selbstverständlich zulässige) Rest des Textes seinerzeit in der „Welt“.

„Ich mache mir das zu eigen“ heißt ganz klar, ich stelle die fremde Äußerung eins zu eins einer eigenen Äußerung gleich (daher brauche ich sie auch gar nicht explizit wiederholen und damit „neu zu verbreiten“, wenn sie ohne Probleme an anderem Ort auffindbar ist. Wie die Pressekammer zu der Auffassung gelangt, Döpfner habe die eine zitierte Äußerung „erkennbar nur Böhmermann“ zugerechnet, ohne „den türkischen Präsidenten selbst mit einer solchen Äußerung zu belegen“, wo Döpfner sich doch explizit alles zu eigen macht und auch selbst dafür mit einem Auftritt vor Gericht rechnet – das ist mir völlig rätselhaft. (Wobei ich da als fachlicher Laie natürlich nur mit normaler deutscher Semantik argumentieren kann. Auf Juristisch ist das angeblich alles total anders, das hat jedenfalls ein Medienanwalt meinen Kollegen von DRadio Wissen erläutert…) Aber das werden höhere Instanzen schon geraderücken. Herr Erdogan, jetzt nur nicht klein beigeben! (Und: Hätte man die einstweilige Verfügung nicht eigentlich besser in Hamburg beantragen sollen ? 🙂 )

P.S. 15 (12.05.2016)

Hurra, der Wahnsinn galoppiert eifrig weiter und hat nun auch eine Runde durch das Hohe Haus in Berlin gezogen. Was den CDU-Abgeordneten Detlef Seif bei seiner (sprachlich ganz manierlich vorgetragenen…) Rezitations-Darbietung getrieben hat, das ist noch etwas nebulös. Wirklich nur der jetzt schon so uralte Nicht-Checker-Dauerbrenner, der Hinweis auf die unsägliche „Qualität“ des Gedichts?  Oder die Vorbereitung eines Wechsels ins Satirefach? (Dann hätte der Mann es aber wirklich faustdick hinter den Ohren. Etwas schalkhaft sieht er ja aus.)

https://www.youtube.com/watch?v=WAwQlmq68QU

Oder eine allgemeine Aktion nach dem Motto „5 Minuten Ruhm“? Ich tippe eher auf eine Wette im Kollegenkreis (a la „in den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“…); oder er hat eine neue Freundin und die wollte einen Liebes- und Zeig-mir-dass- du-Eier-und-keine-Schrumpelklöten-in-der-Hose-hast-Beweis 😉 („OK – du kannst das morgen im TV sehen. Ich mach das wirklich!). Juristisch kommt mit der Lesung auch wieder ein aparter neuer Aspekt ins Spiel. Danke dafür! Ich habe es auch mal in Seifs bisher etwas dünnem Wikipedia-Artikel lobend erwähnt.

Screenshot 2016-05-12 19.05.08

 

 

 

 

 

 

 

 

P.S. 16 (17.05.2016) Gröpaz Erdogan und sein Anwalt Hubertus von Sprenger sind meinem Ratschlag gefolgt und haben endlich die richtige Instanz eingeschaltet: Das Landgericht Hamburg. Interessant allerdings, dass Aussagen wie „Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan der Präsident“ und „Er ist der Mann der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt“ als „harsche Kritik“ an der Politik Erdogans zulässig sein sollen, andere, mit „Sexualbezug“ hingegen nicht. Dazu sei dem Gericht aus meiner laienhaften Einschätzung mitgeteilt, dass das gummimaskentragende Schlagen von Mädchen selbstverständlich auch einen starken Sexualbezug hat. Oder wie?

Terroranschläge in Brüssel: Facebook aktiviert Safety Check, Netz-Fakes & der ganz normale Irrsinn bei Twitter

Ungefähr drei Stunden hatte sich Facebook Zeit gelassen und dann doch nach inzwischen drängenden User-Nachfragen Safety Check aktiviert – wie auch schon nach den Anschlägen in Paris im November 2015. Ursprünglich war das Feature ja für eine Lebenszeichen-Rückmeldung nach Naturkatastrophen konzipiert worden – und auch dieses Mal kann, wer Lust hat, die treffliche Frage in den Cyberraum stellen, welche Kriterien das Social Network heranzieht, die Sonderfunktion scharf zu schalten – ist es die Opferzahl oder der Ort des Geschehens und damit womöglich die Anzahl „westlicher“ Opfer?

Zu berechtigten und deplatzierten, ideologischen, idiotischen oder idealistischen Netz-Äußerungen aus der Hüfte gab die Terrorserie in der belgischen Hauptstadt wieder einmal reichlich Anlass. Dabei macht es – mit Verlaub – keinen großen Unterschied auf der Dämlichkeits-Skala, ob man einen Massenmord reflexartig instrumentalisiert, oder ob man reflexartig die tatsächliche oder angebliche Instrumentalisierung eines Massenmordes heftiger beklagt als den Massenmord selbst. Oder der Urheberin einer angeblichen oder tatsächlichen Instrumentalisierung mal eben den Tod wünscht. (So geschehen in einer persönlichen Twitter-Message eines „Künstlers“ an die AfD-Politikerin Beatrix von Storch…)

Aus hiesiger (westlicher…) Perspektive nimmt man zwar die hiesigen, schon hinreichend aufgeladenen Twitter-Kontroversen zur Kenntnis, kaum aber die fundamental andere Sichtweise vieler Social-Media-Nutzer, die mit dem „IS“ sympathisieren. „Die Welt trauert mit Brüssel“ stimmt eben so nicht; wer die westlichen Staaten als „Kreuzfahrernationen“ und Moslemschlächter wahrnimmt, für den sind die Terroranschläge ein Grund zum Jubel.

In quasi eigener Sache: Was den Wert von Netzquellen für die journalistische Arbeit betrifft, zeigten sich wieder einmal die zwei Seiten der Medaille: Da fiel die belgische Nachrichtenagentur VRT auf einen Fake herein – und mit ihr nachfolgende Online-Medien.

Andererseits dauerte es bis zum späten Mittag, bis deutsche Agenturen das Dementi bzw. die Klarstellung des belgischen Energieversorgers Electrabel „entdeckt“ hatten, das schon sehr früh auf der Twitter-Seite nachzulesen gewesen wäre – stattdessen hatten die Meldungen über die „Evakuierung“ des Atomkraftwerks Tihange für zusätzliche Unruhe, zusätzliche reflexartige oder berechtigte Diskussionen und einen weiteren trendenden Hashtag gesorgt…

Die ersten gefälschten Videos im Umlauf · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Grünstreifen vom 22.03.2016 (Moderation: Thilo Jahn)

UN-Arbeitsgruppe sieht Julian Assange „unrechtmäßig festgehalten“

Der Fall Julian Assange liefert dankbaren Stoff für juristische Seminare und Fachdiskussionen – jetzt kommt auch noch eine Stellungnahme der „UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen“ hinzu. Der Wikileaks-Mitgründer hatte bei dem Gremium Beschwerde eingelegt – aus seiner Sicht jetzt erfolgreich. Assange sei in der Botschaft Ecuadors in London „de facto“ unrechtmäßig inhaftiert und habe Anspruch auf Freilassung und Haftentschädigung, so die UN-Experten – deren Votum ist allerdings nicht bindend. Ein widerstreitendes Rechtsgut ist nämlich auch der EU-Haftbefehl, den Schweden erwirkt hat. Andererseits sind die Befürchtungen Assanges, sich dort nicht nur einem Prozess wegen Vergewaltigungsvorwürfen stellen zu müssen, sondern anschließend in die USA ausgeliefert zu werden (wo ihm für seine Wikileaks-Aktivitäten im Extremfall die Todesstrafe droht…) nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Ein Votum eines UN-Gremiums, das von UN-Mitgliedsländern nicht befolgt wird, kann wiederum nicht gerade als „Auszeichnung des UN-Menschenrechtssystems“ angesehen werden, meint Christoph Safferling, Professor für internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Der Fall bleibt spannend, im Laufe des Tages stehen Erklärungen (und ggf. Aktionen) Assanges bzw. der englischen Regierung an.

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 05.02.2016 (Moderation: Marlis Schaum)

Nachklapp: Inzwischen hat Assange sich in einer Pressekonferenz geäußert – er fühlt sich bestätigt oder gar „rehabilitiert“ ; verwechselt aber wohl (absichtlich?) das Votum mit einem Urteil und die nun erforderliche Stellungnahme der englischen und schwedischen Behörden mit einem angeblich erforderlichen Einspruch. Die Botschaft verlässt Assange wohlweislich einstweilen nicht. Der britische Außenminister Philip Hammond hatte zuvor mit der Einschätzung geglänzt, das Votum der UN-Experten sei „lächerlich“. Eine Formulierung, die offizielle Stellen in China, Saudi-Arabien oder Nordkorea sicherlich bei nächster Gelegenheit gerne wieder aufgreifen.

Big Data – Handydaten verraten Wohlstand und Armut

Dass ein Mobiltelefon billig oder teuer sein kann, ist klar. Aber dass die Mobiltelefon-Nutzung etwas darüber verraten kann, ob der Besitzer oder die Besitzerin eher reich oder eher arm ist – darauf muss man erst einmal kommen. Oder man muss einen Computer darauf kommen lassen.

Das Versprechen von Big-DataModellen ist ja: Im Idealfall findet der Algorithmus in ziemlich unstrukturiertem Datenmaterial plötzlich Zusammenhänge, gewinnt neue Erkenntnisse, die bislang unentdeckt waren. Im banalsten und gleichzeitig auch häufigsten Szenario sind das ökonomische Erkenntnisse – wer bei Amazon schon drei Pferdehof-Bücher gekauft hat, interessiert sich vielleicht auch für einen Reitkurs; wer anscheinend dauernd mit Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs ist, braucht vielleicht ein noch schnelleres Auto, einen Zeitmanagement-Ratgeber oder eine Risiko-Lebensversicherung 🙂 .

Das ganz große Problem bei Big-Data-Ansätzen: Der Algorithmus spürt statistische Korrelationen auf (z.B. die Länge von Röcken zur Aktienperformance…) – aber ob letztlich wirklich ein Kausalzusammenhang dahinter steht, das kann man nur mit gesundem Menschenverstand oder mit einem Abgleich anhand von völlig unabhängigen Datenquellen überprüfen.

Auch Joshua Blumenstock von der University of Washington kann nicht bis ins letzte Detail erklären, warum Reiche in Ruanda andere Mobilfunk-Kommunikationsmuster haben als Arme. Aber ganz offensichtlich passt seine in der aktuellen Ausgabe von „Science“ vorgestellte Big-Data-Abschätzung des ökonomischen Status von Handy-Nutzern sehr gut zu Daten aus der realen Welt. Eine neue, preiswerte und ziemlich verlässliche Methode also gerade in Entwicklungsländern, Politikern eine Basis für ökonomische Entscheidungen zu geben – für Infrastruktur-Investitionen, Sozialmaßnahmen oder Steuertarife. Vorausgesetzt, die Entscheidungen sollen überhaupt aufgrund von objektiven Kriterien gefällt werden 😉 …

Big Data – Handydaten verraten Wohlstand und Armut

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 27.11.2015 (Moderation: Monika Seynsche)

Anonymous gegen den IS – ein Internet-Meme als Medienhype

Vollmundige Verlautbarungen, mit welch schrecklicher Wirkung man jetzt diesen oder jenen Bösewicht (bislang waren das ja vorwiegend Banken oder Behörden 🙂 …) aus dem Netz radieren werde – die haben wir ja schon oft gehört. Von anonymen Hacker- oder Aktivistengruppen, die sich LulzSec oder eben Anonymous nennen. Und wenn so ein Grüppchen dann mal konkret aufflog, dann waren das häufig eben nur ein paar Leute, die gerade mal der Pubertät entwachsen waren und ein DDOS-Script ablaufen lassen konnten.

Das schöne und semantisch ewig witzige an Anonymous ist eben das Anonyme; und jeder kann anonym im Namen der Anonymen Erklärungen abgeben, zum Beispiel des Inhalts, dass gewisse andere Anonyme nicht die wahren Anonymen sind und man sich daher schärfstens davon distanziere  – anonym selbstverständlich.

AnonymousPressesprecher

Der anonyme Pressesprecher von Anonymous distanziert sich von anonymen Trittbettfahrern. ( Foto: Thomas Wolf, www.foto-tw.de CC BY-SA 3.0 Montage: anonym)

Die Annahme, dass es im Netz eine nennenswerte Crowd von koordiniert handelnden anonymen Aktivisten geben würde, die denn auch zu irgendwelchen spürbaren und sinnvollen Aktionen gegen einen Gegner wie den IS in der Lage wäre, ist vollkommen naiv und geht halt dem Vendetta- und Matrix-Mythos auf den Leim. Aber irgendwo will der verunsicherte Netzbürger ja seinen Like-Mausklick machen, um mit minimalem Aufwand digital Stellung zu beziehen oder einfach nur das Gefühl der Hilflosigkeit etwas abzumildern.

Und die Presse will natürlich auch immer allzu gern über irgendetwas wirklich spannendes und geheimnisvolles berichten  – da wird nur leider der ernüchternde Fakt außer acht gelassen, dass eine anonyme Netzquelle halt journalistisch praktisch wertlos ist. Wenn drei anonyme Wirtshausbesucher aus Winsen an der Luhe dem IS den Krieg erklären, dann hat das wohl kaum irgendeine Relevanz. Wenn sie aber eine Facebookseite oder einen Twitteraccount betreiben, der mit einer Guy-Fawkes-Maske garniert ist – dann plötzlich schon.

Mit Listen von angeblichen IS-Accounts, die sich dann als teilweise falsch recherchiert erweisen, mit Anschlagswarnungen über Twitter-Hashtags, die sich als Fehlalarm herausstellen – damit ist natürlich niemandem gedient. Dabei steht es ja jedem technisch versierten Hacker frei, ein paar islamistische Webseiten unter Beschuss zu nehmen – aber das Cyberkrieg-Geschwafel ist genauso kindisch wie das Geschwafel der Gegenseite. Selbstverständlich gibt es ja auch bei den Islamisten junge Männer mit Allmachtsphantasien und Computerkenntnissen, und selbstverständlich drohen auch die damit, die Welt der Ungläubigen digital auszuradieren.

Und dann gibt es auch noch die Cyberwar-„Profis“ bei den Geheimdiensten – was die ganze Sache nicht besser macht. Zuviel Herumsitzen vor Tastatur und Bildschirm geht halt immer mit einer etwas verzerrten Wahrnehmung der Realität einher.

Frage des Tages – Warum wird Anonymous den IS nicht besiegen?

Deutschlandradio Kultur – Kompressor vom 24.11.2015 (Moderation: Timo Grampes)

P.S. 3.12.2015 – Marina Strauß von der DW hat das Thema auch noch einmal ausführlich beleuchtet.

de Maizière unterstützt wirksame Verschlüsselung – trotz der Terror-Diskussion

In den letzten Tagen ist viel darüber spekuliert worden, über welche versteckten Kanäle islamistische Terroristen kommunizieren – da ist von Playstations die Rede gewesen, aber vor allem natürlich von Verschlüsselung. In den USA fordern hochrangige Politiker wieder einmal ein Verbot von wirksamer Kryptografie – ganz anders dagegen unser Innenminister Thomas de Maizière: Er hat sich gestern ganz ausdrücklich dazu bekannt, dass Privatpersonen und Firmen absolut vertraulich kommunizieren können müssten.

In Anbetracht der aktuellen Lage ist das schon etwas überraschend, andererseits vielleicht auch nur ein Zeichen dafür, dass der Innenminister hier im Gegensatz zu diversen internationalen Kollegen kühlen Kopf bewahrt. Zum einen können die vielen Pro-Argumente für wirksame Verschlüsselung – als da sind Schutz der Privatsphäre, Schutz von Firmengeheimnissen, Schutz auch von politisch sensibler Kommunikation nicht einfach weggewischt werden durch den natürlich unangenehmen „Nebeneffekt“, dass auch Kriminelle und Terroristen verschlüsselt kommunizieren können.

Zum anderen ist ja trotz der Forderung von technisch Ahnungslosen eine „Abschaffung“ oder ein Verbot von Verschlüsselung gar nicht mehr machbar – die Technologie, die Software ist in der Welt, ist verfügbar für alle mit etwas Know-How…

Laut Informationen der französischen Sicherheitsbehörden haben die Attentäter von Paris gar nicht verschlüsselt, sondern per gewöhnlicher SMS kommuniziert – das deutet einerseits darauf hin, dass Polizei und Geheimdienste personell bzw. von ihren Resourcen her jetzt schon überfordert sind. Andererseits – wenn Täter (die selbstverständlich mit dem Islam gar nichts zu tun haben…) ihr Ableben (und die reichlich vage Hoffnung auf die ihnen zum Preis im Jenseits wartenden Jungfrauen…) schon jetzt einkalkulieren… – dann braucht man natürlich kurz vor dem Übergang in jene glorreiche Sphären keinen Gedanken mehr auf PGP, Signal oder sonstige konspirative Software verschwenden…

Dradio Wissen – Schaum oder Haase vom 19.11.2015 (Moderation: Till Haase)