Es ist schon einigermaßen lustig. Da gibt es einen höchst kontroversen Streit, der mit allen Argumenten (und allen Pseudo-Argumenten, Übertreibungen und Tatsachenverdrehungen; übrigens durchaus von beiden Seiten…) über Monate hinweg ausgetragen wird, in aller Öffentlichkeit. In Diskussionsrunden, in Blogs, in Zeitungen, im Rundfunk, im Netz. Mit massivem Einsatz aller Lobby-Instrumente, mit Massen-Mails und angeblich oder tatsächlich auch mit Todes-Drohungen irgendwelcher durchgeknallter Eiferer.
Und dann fällt die Entscheidung im EU-Parlament “in zweiter Instanz” nach all diesen Argumenten; vorgetragen ja jeweils von höchst respektablen Parteigängern: auf der einen Seite Verleger, Kreativschaffende und Gewerkschaften; auf der anderen Seite “Netzaktivisten”, Internet-Wirtschaftsverbandsvertreter, Verbraucherverbände, andere Kreativschaffende und natürlich auch (eher hinter den Kulissen…) die “Betroffenen”, also allen voran Google. Die Entscheidung fällt also in einem klaren Ergebnis zugunsten der “Pro-Providerhaftung und Pro-Leistungsschutzrecht”-Fraktion; ich referiere das und gebe wie immer als Netzautor meinen – wohlgemerkt aber auch als persönliche Meinung gekennzeichneten – Senf dazu ab; und wir (DLF Nova…) bekommen prompt eine Hörer-Zuschrift eines “Musikautors, Fachjournalisten, Buchautors” und offenbar auch Dozenten, der meint, ich würde in meiner Beurteilung der Kontroverse “falsche Schlüsse” ziehen.
Ich könnte vielleicht die Reklamation an die 226 EU-Parlamentarier weiterleiten, die mit “Nein” gestimmt haben, oder an die “Netzaktivisten”, Internet-Wirtschaftsverbände, Verbraucherverbände, andere Kreativschaffende oder Kommentatoren, die eben anderer Meinung sind. Ich selbst bin ja auch Kreativschaffender, und auch auch Gewerkschaftsmitglied – und in diesem Fall muss ich einfach sagen: Ich teile die Meinung meiner Gewerkschaft und meiner ansonsten hochgeschätzten Kollegen hier einfach nicht. Nach Auffassung des Hörerbriefschreibers sollten wir “als Journalisten hier eine eindeutigere Interessenslage haben.”
Es geht aber – mit Verlaub – gar nicht immer um die individuelle Interessenslage. Ich bin selbstverständlich VG-Wort-Mitglied und würde theoretisch (praktisch glaube ich eher nicht…) von der beschlossenen Reform profitieren – und trotzdem halte ich die für falsch. Auf der Payroll von Google stehe ich auch nicht. Wahnsinn, was? Ein “erheblicher” Mangel an Expertise, wie vom Hörermail-Autor vermutet, liegt bei mir auch nicht vor – mit einer kleinen Google-Suche 🙂 hätte er bestimmt auch schnell herausgefunden, dass ich kein “einfacher Korrespondent, der seine Meinung kund tut” bin, sondern schon ein Weilchen über Netzthemen berichte – tendenziell sehr kritisch gegenüber Google, Facebook und Konsorten.
Vielen Dank in diesem Zusammenhang für die Aufklärung über die Monetarisierung von Google durch unsere User-Daten – da hab ich ja noch nie etwas drüber gehört. 🙂 Das Problem ist nur, dass der Hörerbriefschreiber – genau wie die Apologeten der Verleger-Seite (wobei das bei FAZ-Angestellten klar ist, dass sie das Lied ihres Brötchengebers singen müssen, während ich als ÖR-Beschäftigter einigermaßen gut pfeifen habe…) – stocksteif nur bei der einen, der eigenen “Interessenslage” geschuldeten Sichtweise bleibt. Ich habe in der Sendung die Frage aufgeworfen, ob es denn eigentlich einen Anspruch auf die kostenfreie Dienstleistung “aufgelistet werden in einer Internet-Suchmaschine” geben kann.
Der Hörermail-Verfasser wendet den Aspekt “kostenfreie Dienstleistung” prompt wieder in die Gegenrichtung und merkt an:
“Ganz genau! Google News nutzt die Lead-Sätze/Teaser-Texte und schafft dafür für sich einen Mehrwert. Es gibt Erhebungen, dass Google News-User gar nicht mehr auf die Seiten der Zeitungen/Contentanbieter gehen, sondern sich nur die Kurzversionen durchlesen. Damit ist der Vorteil von Google & Co schon hinweg.”
Entschuldigung – trotz des Dauerfeuers in der von mir geschätzten und abonnierten FAZ erschließt sich mir immer noch nicht, wie denn die angebliche unmittelbare Mehrwert-Schaffung bzw. der Content-Diebstahl hier aussehen soll – bei Google News schaltet Google ja eben keine Werbung. Dass es mittelbar einen gewissen Mehrwert allein schon durch die Datenauswertung der Google News nutzenden User gibt, ist mir mit meiner vorhandenen Expertise 🙂 durchaus klar. Dass es Leute geben mag, denen das Lesen von Überschrift und Teaser (“Kurzversionen” -:) ) reicht, mag ja sein – aber das ist natürlich eher ein tragischer Kulturverfall als ein Problem von Google. Das sind aber dann eben Leute, die das eigentliche Qualitätsprodukt auf den Verleger-Seiten eh nicht mehr lesen und die Seiten eh nicht mehr ansteuern.
Meiner Meinung nach ist das Verhältnis zwischen Content-Produzenten (sowohl private als auch geschäftliche…) und Google eine Symbiose, und zwar eine höchst heikle – das ist mir völlig klar. Ob die vollkommen austariert ist – keine Ahnung. Ich bin da ja eigentlich eher radikal und habe immer dafür plädiert, das furchtbar nervende Internet-Geschäftsmodell “Werbung” mit dem absolut problematischen Deal “Daten gegen Pseudo-Gratis-Dienste” aufzugeben. Leider sieht das die Masse der User anders.
Ich selbst befürworte den Einsatz von Werbeblockern, ich würde mir wünschen, dass andere Geschäftsmodelle – Content-Flatrates, Pay-Modelle funktionieren; ich selbst abonniere nach wie vor diverse Zeitungen samt Online-Ausgaben, obwohl ich die auch “gratis” im Sender lesen könnte; leider sieht das die Masse der User anders – und liest eben überhaupt keine Artikel mehr, sondern bestenfalls noch eine Überschrift oder einen Clickbait-Teaser und drückt dann mit letzter Kraft auf den “like”-Button. 🙂 Solche Leute kommen aber eh nicht mehr auf die Seiten der “Qualitätsjournalismus”- Anbieter – wobei ja ulkigerweise das Haus Axel Springer am lautesten jammert 🙂
Aber ist Google für diesen Kulturwandel verantwortlich? Ich glaube nicht. Das Pech für die Verleger ist nur, dass ihr angestammtes Finanzierungsmodell – eben das Schalten von Werbung, von Anzeigen den Bach runter geht bzw. jetzt in anderen Kanälen stattfindet. Das Glück von Google ist, dass das Schalten von Werbung insgesamt immer noch funktioniert – trotz aller Fragwürdigkeiten in Bezug auf die Wirksamkeit, trotz aller Manipulation wie Clickbait und Klickbetrug; und trotz meines eingeschalteten Werbeblockers. 🙂
Aber jetzt noch mal mein Argument: Wieso glauben denn Verleger und andere Akteure im Netz, dass die bislang immer kostenfreie Dienstleistung von Google, sie bzw. ihre Webseiten auffindbar zu machen, auch für immer kostenfrei bleiben muss? Die Akteure bezahlen doch auch teures Geld für SEO-Maßnahmen und ggf. natürlich auch für Werbe-Kampagnen; die Auffindbarkeit ist absolut existenziell für ihr Geschäftsmodell. Wie ich schon in der Sendung gesagt habe – wenn Google als Monopolist mit einer radikalen Auslistung von allen Kohle-Anforderern drohen würde, wäre das vielleicht wettbewerbswidrig. Aber wieso sollte nicht Google von allen kommerziellen Akteuren eine kleine Gebühr für das Auflisten im Suchindex fordern dürfen, eventuell zufällig in gleicher Höhe wie die anders herum verlangten Leistungsschutzrechts-Abgaben? 🙂
Das mal so als meine selbstverständlich völlig “expertiselose und uninteressante” Meinung. Aber die Schlacht ist ja eh geschlagen. Warten wir mal ab, was die Trilog-Besprechungen aus dem Quark noch machen. Notfalls tröstet mich ja meine nächste VG-Wort-Abrechnung 🙂
Was die Urheberrechtsreform der EU für das Netz bedeuten könnte
Deutschlandfunk Nova – Hielscher oder Haase vom 13.09.2018 (Moderation: Till Haase)