Entenküken lassen sich auf abstrakte Konzepte prägen

Abstrakte Konzepte erfassen können – das gilt gemeinhin als Voraussetzung und im Umkehrschluss auch als Zeichen für Intelligenz. Im Tierreich hat man die Fähigkeit vor allem bei solchen Spezies erforscht und gefunden, die ohnehin im Verdacht standen, etwas mehr auf dem Kasten zu haben: bei Menschenaffen, Delphinen oder Elefanten, auch bei Rabenvögeln. Aber dass frisch geschlüpfte Entenküken schon mit abstrakten Kategorien wie „Gleich“ oder „Verschieden“ umgehen können, das hätte man vielleicht eher nicht vermutet. Die kleinen Federknäuel sind schlauer als gedacht, so steht das jedenfalls in der Presseankündigung für die aktuelle Ausgabe von „Science“.

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

Das Experiment von Antone Martinho III und Alex Kacelnik von der Universität Oxford ist bestechend einfach – so einfach, dass sich die Frage aufdrängt, warum es bislang noch niemand versucht hat. Die Antwort von Antone Martinho:

Maybe that is the bias you come in with thinking imprinting which is happening in baby birds must not be very complicated, must not be very sophisticated. So I think we maybe have been guilty as anybody else of these biases, and if other people think that way it may be they like us they thought “oh, it’s impossible”, no one would ever do that. And I think this is a very surprising result, even I now think there a good biological reasons why the result is what we found it still surprises me and it still surprise most people who hear it.

Das liegt vielleicht an der Tendenz, mit der man an das Phänomen “Prägung” herangeht; das passiert bei Baby-Vögeln und kann ja dann wohl nicht sehr kompliziert sein. Diese Vorurteile haben wir wahrscheinlich genauso gehabt wie alle anderen, und so haben alle anderen wir wir gedacht “das ist unmöglich” – und so hat es niemand ausprobiert. Ich denke, es ist ein sehr überraschendes Resultat, und obwohl ich mittlerweile denke, dass es sehr gute biologische Gründe für das gibt, was wir herausgefunden haben – es überrascht mich immer noch und eben auch die meisten Leute, die davon hören.

Und die zweite Frage, die sich aufdrängt – was sagt das Experiment bzw. sein Ergebnis eigentlich wirklich aus? Sind die Enten wirklich “schlauer als gedacht” – auf welcher Ebene findet denn eigentlich die Abstraktion statt? Antone Martinho ist sich da sehr sicher: “jenseits der rein physischen oder visuellen Ebene”. Aber die Enten hatten ja nur mit einem visuellen Stimulans zu tun, das sie möglicherweise – die Idee hatte etwa auch Prof. Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie – gar nicht als Objektpaar, sondern als ein Objekt wahrgenommen haben, und zwar eben als ein symmetrisches oder assymmetrisches Objekt.

Wie komplex oder vielleicht auch wie relativ simpel sind denn die neuronalen Mechanismen, die die Grundlage für die “Abstraktionsfähigkeit” der Entenküken bilden? Könnte man eine ähnliche Leistung nicht auch relativ unaufwendig mit einem künstlichen neuronalen Netz nachvollziehen? Ist das Ganze nicht vielleicht doch eine relativ unspektuläre Verarbeitung von Sinneseindrücken? Ganz trivial wären entsprechende Generalisierungen auch für ein Computermodell nicht, sagt Philipp Berens, auf Perzeption und neuronale Verarbeitung spezialisierter Forscher an der Universität Tübingen. Erst in den letzten Jahren hätten die Fortschritte in der Computertechnologie vergleichbare Leistungen künstlicher neuronaler Netze möglich gemacht.

Und möglicherweise, so sein Hinweis, kommen bei der Bewertung von Experimenten wie dem der Oxforder Wissenschaftler auch unterschiedliche semantische Konzepte mit ins Spiel: Kognitionsforscher würden bei der Erklärung von Experimenten wie dem von Antone Martinho von “Abstraktion”, “Konzepten” oder abstrakten “Kategorien” sprechen; Neurophysiologen oder Spezialisten für künstliche neuronale Netze eher bei der schlichten Feststellung bleiben – was kann das künstliche oder natürliche Netz denn eigentlich erkennen oder kategorisieren (bzw. “generalisieren”) und was nicht?

Aber vielleicht geht es gar nicht um die Frage, wie schlau oder nicht schlau die Entenküken nun wirklich sind – wahrscheinlich beruhen eben auch vermeintlich exklusive menschliche Geistesleistungen letztlich auf ganz elementaren, kognitiv nützlichen Grundlagen.

Intelligenz – Entenküken ziehen abstrakte Schlüsse

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 15.07.2016 (Moderation: Ralf Krauter)

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