Dass US-amerikanische Internetfirmen in einem gewissen peinlichen Dilemma stecken, wissen wir seit Edward Snowden: NSA, CIA und FBI wollen da schon ganz gern mal sehr intensiv in die Daten der Kunden hereinschnüffeln. Und wenn da Auskunftsbegehren bzw. -anordnungen oder Abschnorchelaktionen ablaufen, dann müssen die Firmen das auch noch hübsch für sich behalten. Ein patriotischer Maulkorb halt, der freilich vielen Unternehmen überhaupt nicht passt – weil er letztlich ihr Geschäftsmodell und das wichtigste Kapital, das Vertrauen der Nutzer, komplett untergräbt.
Yahoo hat aber offenbar 2015 noch nicht einmal versucht, gegen eine “behördliche Anordnung” von NSA bzw. FBI zu protestieren. Sondern eifrig eine eigene Xkeyscore-Schnüffelsoftware entwickelt und auf die eingehenden Mails der Kundschaft losgelassen. (Update hierzu s.u.) Bezeichnenderweise, ohne der hauseigenen IT-Security (intern “die Paranoiden” genannt…) Bescheid zu sagen. Als Sicherheitschef Alex Ramos den Braten entdeckt hatte (der auch noch weitere Lücken in der eh schon gehackten Yahoo-Infrastruktur aufriss…), warf er Marissa Mayer die Brocken hin. Die zudem auch “konsequenterweise” die Einführung der bereits fertig entwickelten Verschlüsselungslösung für Yahoo Mail verhindert hatte.
Die Dame hat halt lieber lieb Kind mit den Schlapphüten gemacht, aber gleichzeitig den Kunden treuherzig Bullshit erzählt. Wenn dabei auch noch Geld geflossen sein sollte, wie manche Quellen vermuten, dann war das – zumindest für das Unternehmen 🙂 – eine Fehlinvestition. (Und wieder knallen die Leute bei Verizon ihre Köpfe auf die Tische, um mal das schöne Bild von The Register aufzugreifen…)
Jetzt beteuern alle anderen US-Player (bei Twitter kam immerhin die vielsagende Antwort, man dürfe laut US-Gesetzen nicht über eventuell eingegangene “behördliche Anordnungen” Auskunft geben…), so wie bei Yahoo würde das bei ihnen nicht laufen. “No Way”. Das kann man glauben. Muss man aber nicht.
Spionage im Regierungsauftrag · DRadio Wissen
DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 05.10.2016 (Moderation: Diane Hielscher)
P.S. 06.10.2016 Inzwischen sind neue Details bekannt geworden – wie die New York Times wiederum mit Bezug auf Insider berichtet, hat Yahoo nicht, wie von Reuters beschrieben, eine gesonderte Schnüffelsoftware entwickelt, sondern das ohnehin vorhandene Modul, das eingehende Mails nach Kinderpornographie, Malware und Spam durchscannt, mit bestimmten Signaturen ergänzt. Diese Signaturen oder Schlüsselbegriffe wurden von einem Geheimdienst zur Verfügung gestellt und sollten offenbar Mails einer – nicht weiter identifizierten – ausländischen “Terrororganisation” aufdecken helfen.
Ob das die Angelegenheit weniger gravierend macht, ist eine äußerst interessante Frage. Zum einen akzeptieren ja (was für mich selbst schon nie nachvollziehbar war) offenbar Millionen von Menschen, dass Google ihre Gmails ebenfalls durchscannt – wenn auch nicht, um das einem Geheimdienst zu petzen, sondern “nur”, um einem “interessante” Werbung zukommen zu lassen. (“Sie interessieren sich für Bombenanschläge? Probieren Sie unser neues Dschihad-Kit für handwerklich unbegabte Volldebile! Besuchen Sie auch unseren Wollstrickmützchen-Shop und schauen Sie sich unsere Pflegeprodukte für Vollbärte an.” 🙂 ) Wenn man das Argument “sie werden ja nur von einem Roboter durchsucht” akzeptiert, dann könnte man das ja tatsächlich genauso gut auf die analoge Welt übertragen. Ein Albtraum.
Inzwischen knallen die Leute bei Verizon nicht mehr nur ihre Köpfe auf den Tisch, sondern haben auch ihren Kaufpreis mal eben um eine Milliarde nach unten angepasst.
P.S. 07.10.2016 Und ein weiterer unbekannter Yahoo-Insider bezeichnet wiederum die Darstellung bei der NYT, es habe sich “nur” um eine Erweiterung des Malware-Scanmoduls gehandelt, als falsch. Eine solche Modifikation wäre dem Yahoo-IT-Security-Team gar nicht ohne weiteres aufgefallen. Es habe sich eben doch um eine gesonderte Backdoor gehandelt, die dann auch (wie schon ursprünglich berichtet…) ein weiteres Einfallstor für Hackerangriffe aufgerissen habe.