Wie antisemitisch ist Sucharit Bhakdi?

Es gibt ja so manche Themen, mit denen kann man eigentlich nur verlieren. Oder seine komplette bürgerliche und berufliche Existenz schrotten. Was über Nazis oder über Juden sagen ist da ein Patentrezept. Ich mach das jetzt mal trotzdem. Spannende Sache. „Autobahn“ – das geht bekanntlich gar nicht. Und offenbar gibt es auch noch ein paar andere Verdammungs-Automatismen.

Es gab da einen einstmals sehr renommierten Professor namens Sucharit Bhakdi – der ist allerdings in das Lager der Corona-„Maßnahmenkritiker“ abgetaucht. Ulkigerweise muss ich mich selbst auch in das Lager der Corona- „Maßnahmenkritiker“ – welch schönes Wort, viel schöner als „Verharmloser“, „Relativierer“ oder „Leugner“ – einordnen.  Professor Bhakdi hat zur aktuellen Corona-Pandemie und zu deren Bekämpfungsmaßnahmen und zu deren Sinnhaftigkeit oder Legitimität so einiges gesagt – wofür er auf der einen Seite gefeiert, auf der anderen Seite verdammt wird.

 

Ein Interview aus dem April, das jetzt erst breit bekannt wird, hat die Wahrnehmung noch einmal drastisch verschärft – darin hat Bhakdi etwas über Juden oder Israelis gesagt.

Das Volk, das geflüchtet ist aus diesem Land, aus diesem Land, wo das Erzböse war, (…), und haben ihr Land gefunden, haben ihr eigenes Land in etwas verwandelt, was noch schlimmer ist, als Deutschland war. (…) Das ist das Schlimme an den Juden: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt. Deshalb ist Israel jetzt living hell – die lebende Hölle.

Soweit das Zitat laut Tagesschau.de – die Titelzeile und Überschrift des Artikels lautet:

Antisemitische Aussagen: Bhakdi, die Juden und das „Erzböse“

Das klingt ziemlich durchgeknallt. Wenn man aber mal in das komplette Video des Bhakdi-Interviews reinhört, dann klingt das vielleicht immer noch ziemlich durchgeknallt, aber nicht mehr zwangsläufig antisemitisch. Sucharit Bhakdi erzählt dem etwas perplexen Interviewer nämlich zunächst, warum er „die Juden“ eigentlich verehrt:

Und ich wurde mal gefragt von einem Amerikaner, was ich zu Israel zu sagen habe. Ich hatte für mich die Israelen, dieses Volk, das ich mehr bewundert habe als irgendein anderes Volk auf der Welt – ich war ein Juden-Bewunderer. Ja, du weißt, ich bin Musikliebhaber. Kunstliebhaber, die größten Geister waren die Juden. Es tut mir leid, wenn ich das sagen muss, es tut mir leid. Ich bin Buddhist.

(Interviewer: Ja, ich hab da kein Problem mit.) 🙂

Ich verehrte sie. Ich bin, Du hast meine Schallplatten-Sammlung gesehen, ich bin diesen jüdischen Musikern nachgereist, um eine Unterschrift von ihnen zu bekommen. Isaac Stern, David Oistrach. Ja, hunderte von Kilometern bin ich gereist, um sie zu hören, um ein Autogramm zu holen. Ich habe sie verehrt. Und jetzt machen sie das. Das Volk, das geflüchtet ist aus diesem Land. Aus diesem Land, wo das Erzböse war. (Lange Pause.)

Mit „diesem Land“ ist übrigens Nazi-Deutschland gemeint.

Und haben ihr Land gefunden. Haben ihr eigenes Land verwandelt in etwas, was noch schlimmer ist als Deutschland war. So unfassbar. Und dann habe ich dem Amerikaner gesagt: Das ist das schlimme an den Juden. Sie lernen … gut, es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt … und umgesetzt. Und deswegen ist Israel jetzt „living hell“, die lebende Hölle.

Das ist vermutlich ziemlich irre. Warum Israel jetzt gerade „living hell“ sein soll, das erschließt sich mir nicht. Israel hat eine ziemlich „gute“ Impfquote, wobei es auch in der jüngeren Bevölkerung jetzt so etwas stockt – darüber kann man ja als „Maßnahmenkritiker“ 🙂 geteilter Meinung sein. Israel hat überdies noch einen gewissen Anteil fundamentalistischer Orthodoxer, die auch nicht so ganz impf-begeistert sind. Wo die „lebende Hölle“ in Israel sein soll, bleibt Sucharit Bhakdis Geheimnis. Und natürlich ist die Behauptung „schlimmer als Deutschland war“, totaler Quatsch und eine Verharmlosung des Holocaust.

Andererseits – wenn wir mal konzedieren, dass die Behauptung – „lebende Hölle“ – und die suggerierte dramatische Gleichsetzung zur Zwangssituation im dritten Reich eh Quatsch ist – dann bleibt doch möglicherweise auch vom Antisemitismus-Verdacht nicht mehr so viel übrig. Stereotype und Vorurteile gegenüber „Völkern“ und Nationen (oder gar „Rassen“…) sind ja generell Quatsch. Und trotzdem völlig normal und geläufig. Die Deutschen: Sind spießig, aber effektiv. (Vor den Bauversuchen zum Berliner Flughafen zumindest.) Die Franzosen: haben guten Wein und kochen gut. Die Italiener: Sind entspannt, kochen auch gut, überfallen als Armee vorzugsweise Wehrlose. Die Engländer: kochen nicht gut, stehen aber diszipliniert Schlange.

Wenn so ein geläufiger Quatsch geläufig ist – dann ist vielleicht auch ein Quatsch nicht wirklich dramatisch wie der von den „gut lernenden Juden“, hinter dem in diesem Fall eher kein Hass, sondern etwas wie Bewunderung steht. „Schlimm“ ist ja auch die stereotype Spießigkeit der Deutschen und die Feigheit der Italiener und das Porridge der Engländer 🙂 Aber klar – das alles ist Quatsch – und andererseits vielleicht noch kein Weltuntergang, sondern normaler, geläufiger Quatsch – bei dem jede und jeder einmal kurz innehalten muss und sich fragen – hab ich solche Klischees nicht auch verinnerlicht?

Dass „Judenhass … zentrales Bindeglied der Corona-Proteste“ sein soll – das ist wiederum für mich: Quatsch. Klar, da gibt es jede Menge Durchgeknallte, und wie immer versammeln sich Durchgeknallte – und darunter auch Antisemiten – hinter einer Protest-Agenda. Die Protest-Agenda aber mal einfach pauschal zu verteufeln und in eine Schublade zu stecken mit verkürzten Zitaten einzelner, vielleicht auch partiell durchgeknallter Akteure – das ist wiederum unredlich.

Kann man partiellen Quatsch über Juden oder über Israel relativieren? Ja, man kann. Finde ich zumindest. Das ändert nichts daran, dass der Quatsch Quatsch ist. Aber nicht unbedingt antisemitischer Quatsch.

2 Gedanken zu „Wie antisemitisch ist Sucharit Bhakdi?

  1. Alex

    Stereotype und Vorurteil sind an sich Quatsch. Außer für die, die an den Quatsch glauben.
    Die lernen gut, jetzt das Böse, ist weder aus dem Kontext des Interview gerissen, keine Interpretation, sondern antisemitisch.
    Die-da-ismus als angebliche Analyse oder Kritik funktioniert immer nach dem gleichen Muster. Die da.
    Das teilen Coronaleugner mit Rassisten zu der auch Antisemiten gehören. Darum kommen solche Leute auch auf konkret gleiche Inhalte. Und nicht etwa zufällig.
    Mich nervt das Virus und viele der zum Teil nicht nachvollziehbaren Regelungen auch und nicht etwa weniger als andere. Trotzdem hat nicht der Nuppel oder irgendein anderer Sündenbock Schuld.

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    1. mgessat Beitragsautor

      Hallo Alex –

      Sorry,

      Ihr Kommentar bzw. die Nachricht darüber waren in meinem Spam-Ordner gelandet. Ich habe den Kommentar jetzt natürlich freigeschaltet.

      Mit Ihren Anmerkungen zum „Die-da-ismus“ haben Sie natürlich völlig recht – mein Punkt war nur einfach: Ich finde, dass es auch „normalen“ Quatsch und „normale“ Stereotype gegenüber Juden und Israel geben kann, der – sofern der nicht aus einem Grundtenor von Hass oder Vernichtungswillen kommt – nicht zwangsläufig antisemitisch sein muss.

      Aber ich gebe zu – Stereotype und vielleicht sogar Abneigung gegenüber Deutschen, Engländern oder Italienern sind standardmäßig nicht mit einem Absprechen der Existenzberechtigung verbunden. Und das ist bei „Die-da-ismus“ gegenüber Juden oder Israelis natürlich signifikant eher der Fall.

      Mit freundlichen Grüßen,

      Michael Gessat

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