Strg-C verwenden führt regelmäßig zu Plagiaten – da hilft auch kein Medienanwalt

Ich habe ja als letzten Beitrag hier gewisse Bullshit-Vorwürfe in Bezug auf angebliche perfide Täuschungsversuche im CV von Annalena Baerbock behandelt, die nur durch die heldenhaft investigative Recherchearbeit deutscher Journalisten aufgedeckt werden konnten. 🙂 Um nun mal meine Unabhängigkeit und Objektivität zu demonstrieren: Die neuerdings vom österreichischen „Plagiatsjäger“ Stefan Weber aufgedeckten abgeschriebenen Stellen in Annalena Baerbocks Buch „Jetzt“ sind kein Bullshit.

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Zu einer eventuellen Agenda und Voreingenommenheit von Herrn Weber in Bezug auf Annalena Baerbock muss ich mich hier gar nicht einlassen bzw. habe gerade keine Zeit und Lust, nachzuprüfen, ob seine früheren Anmerkungen zum akademischen Werdegang der Grünen-Kandidatin tatsächlich „falsch“ waren, wie nun von Baerbock und den Grünen behauptet. Dass es gewisse Zweifel an der Werthaltigkeit des von Annalena Baerbock absolvierten Studienganges gibt, ist eine Tatsache. Ob das ihre Eignung als Kanzlerkandidatin betrifft, ist eine offene Frage.

Was aber keine offene Frage ist: Wenn längere Textpassagen identisch; eins zu eins in einem früheren Werk erschienen sind und dann später in einem späteren Werk erscheinen – dann ist das entweder ein wunderbarer Zufall. Dessen Wahrscheinlichkeit man statistisch beziffen kann. 🙂 Wenn man Wahrscheinlichkeitstheorie und Heisenbergsche Unschärferelation kombiniert, dann tanzen irgendwo im Universum Atome oder Strings oder Geister herum, die genau den Text von Dantes Göttlicher Komödie abbilden.

In unserer realen, so unendlich profanen und flachen Welt ist so eine Koinzidenz aber schlichtweg das Resultat einer geläufigen Tastensequenz: Strg-C. Strg-V. Copy und Paste. Die Passagen, die Stefan Weber in seinem Blog aufzählt, sind schlichtweg aus anderen, früheren Quellen kopiert. Da helfen auch Vernebelungsaktionen wie die Formulierung bei Tagesschau.de in einem angeblichen Faktencheck nicht weiter, Annalena Baerbock habe „die Länder der EU-Osterweiterung in der gleichen Reihenfolge“ aufgezählt, „wie es die Bundeszentrale für Politische Bildung in einem Aufsatz macht.“

Nein, es ist nicht nur eine Aufzählung in der gleichen Reihenfolge; es ist ein Copy und Paste der gesamten Textpassage:

Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei: die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürgerinnen und –bürger.

Mit der Ausnahme einer kleinen Gender-Eigenleistung von Frau Baerbock oder ihrem Ghostwriter: „…neue Unionsbürger*innen.“

Eine andere Passage:

Erstmals wurde der Klimawandel 2007 als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA wahrgenommen und somit als Phänomen, das die Aufmerksamkeit des Pentagons erforderte. Der Bericht „National Security and the ­Threat of Climate Change“ der Denkfabrik CNA beeinflusste die Militärstrategie des Verteidigungsministeriums nachhaltig. … Das Konzept des Klimawandels als „Bedrohungsmultiplikator“, der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte in Entwicklungsländern verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagons geworden. Je gespaltener und korrupter ein Staat ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird – also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Massenmigration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder militärische Interventionen im Ausland.

Im Buch von Annalena Baerbock steht:

„Da ähneln sich die Passagen.“ Höhö, lieber Kollege von Tagesschau.de, da ähneln die sich aber sehr. Heisenbergsche Unschärfe wahrscheinlich. Oder Copy&Paste. Oder : „Bei den kritisierten Passagen scheint es eher so, als habe Baerbock Sachinformationen übernommen.“ Nö. Da sind nicht nur Sachinformationen übernommen, sondern Einordnungen. Das ist auch, liebe Grüne und lieber Medienanwalt Christian Schertz, keine „Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten.“ Das ist eine Passage, die von ihrer Komplexizität her ganz eindeutig urheberrechtlich geschützt sein dürfte. Eine ganze Lobby-Fraktion deutscher Verleger hat ja gerade unter aufopferungsvollstem Einsatz 🙂 durchgepaukt, wo im Netz die Grenzen des zulässigen kostenfreien Zitierens verlaufen sollen. Die dort vorgesehene Bagatell-Zeichenzahl hat Annalena Baerbock bzw. ihr Ghostwriter hier eindeutig gerissen.

Stefan Weber hat gerade noch eine weitere Passage gefunden bzw. dokumentiert. Kommen wir mal zu der Bewertung. Herr Weber hat ja sogar selber gesagt, die fraglichen Stellen im Buch seien „nichts Weltbewegendes“. Das ist korrekt. Annalena Baerbocks Buch ist keine Dissertation, das ist auch korrekt und banal. Plagiate sind aber auch außerhalb von Dissertationen Plagiate. In Artikeln von Journalisten z.B., wo ich die mal als abnehmender Redakteur gefunden habe. Oder sonstwo. Bei der Übernahme von Fotos im Netz, bei der Übernahme von Melodien oder Samples in der Musik. Darüber freuen sich normalerweise; bzw. davon profitieren normalerweise „Medienanwälte“.

Bei der Abgrenzung eines Plagiates zu einer zulässigen Übernahme geht es regelmäßig um die Frage der „Schöpfungshöhe“. Wenn die bei der gerade zitierten Passage nicht erreicht sein sollte, dann fresse ich einen Besen oder spiele wahlweise eine Runde Golf um eine Kiste Wein gegen Herrn Schertz oder die „Rufmord“-Rufer von den Grünen 🙂 (Das können aber auch gerne einfach Gerichte klären…) Liebe Leute – diesmal ist der Bullshit-Joker auf eurer Hand. Gebt doch einfach zu, dass so ein „Sachbuch“ halt relativ pragmatisch zusammengezimmert wird, dass das vermutlich überwiegend ein Ghostwriter schreibt, der seinen Job pragmatisch macht.

Über die Qualifikation der Kandidatin sagt die „Affäre“ immer noch nix aus. Ich war übrigens schon bei früheren Doktorarbeits-Analysen eher großzügig: Meiner Meinung nach sind Zitierungs-Sünden im Abschnitt des Referierens der vorhandenen Literatur eher lässlich – bei dieser Fleißarbeit behauptet der Autor/die Autorin ja eh nicht, einen eigenen genialen Gedanken zu formulieren.  Bei einem Sachbuch mag die Schwelle noch geringer sein – nur; wenn da so viel von anderen stammt, warum das dann unter eigenem Namen veröffentlichen?

Wie dem auch sei. „Nichts Weltbewegendes.“ Stimmt. Aber das allzu selbstgefällige „Rufmord“-Gequake, die plakative Empörung und der Aufruf zur Solidarität von den Grünen gegen das eigentlich nicht wegzudiskutierende sind peinlich. Und die verschwurbelten und einfach nicht zutreffenden „Faktencheck“-Einordnungen von öffentlich-rechtlichen Kollegen, die sind vielleicht noch viel heikler.

P.S. 06.07.2021: Stefan Weber hat wie angekündigt einen ersten größeren Überblick über die bislang gefundenen Plagiatsstellen in Annalena Baerbocks ( 😉 ) Buch online gestellt – nach Lektüre des PDFs erübrigen sich wohl alle weiteren Diskussionen, nach welcher „Methode“ das „Werk“ angefertigt wurde. Ich empfehle den „Faktenchecker“-Kolleginnen und -Kollegen dringend die Lektüre – es ist dann übrigens auch nicht nötig, noch Dritt-Expertise von Juristen oder Medienwissenschaftlern oder „Plagiatsexperten“ einzuholen. Wer nicht glasklar erkennt (und auch benennt!), dass diese Art des systematischen Fremdtext-Ausschlachtens alle Konzepte von „geistigem Eigentum“ einerseits und selbstständigem Denken und Texten andererseits verletzt, der/die hat auch als Journalist/Journalistin seinen/ihren Beruf verfehlt, untergräbt die eigene berufliche und gesellschaftliche Existenzberechtigung, und sollte vielleicht auch dringend mal mit dem hauseigenen Justiziar plaudern. 🙂

Und wer die schlichte Dokumentation dieses Desasters als „Rufmord“ bejammert, sollte vielleicht mal das Oberstübchen durchlüften.

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