Schlagwort-Archive: Wissenschaft

Die Strategien von Männern und Frauen bei Tinder sind (eigentlich…) inkompatibel

Tinder gilt gemeinhin nicht gerade als die Plattform zur Anbahnung einer „seriösen, auf Dauer angelegten Lebenspartnerschaft“ – wobei das natürlich auch nur eine Einschätzung ist, die in der Mehrzahl der Fälle stimmt, aber nicht immer: Wie mir heute morgen ein Arbeitskollege erzählte, hat er nämlich dort seine Freundin gefunden. Und im Grunde ist es ja tatsächlich eine mindestens ebenso realistische Partnersuch-Strategie, erstmal mit der Optik anzufangen und dann zu inneren Werten überzugehen wie umgekehrt 🙂 …

Und trotzdem – wer bislang schon vermutet hat, dass Männer insgesamt eher etwas weniger wählerisch sind bei der Suche nach einem Sexualpartner als Frauen, liegt vollkommen richtig – das bestätigt auch eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern verschiedener Universitäten. Das Team aus London, Rom und Ottawa hat mangels Unterstützung durch Tinder selbst mit Fake-Profilen und Scripts gearbeitet – und insgesamt auch völlig vorhersehbare Ergebnisse herausgefunden. Die Zahlen sind allerdings schon teilweise drastisch: Durchschnittlich hat ein Mann nur 0,6% „Rücklaufquote“ oder eben Relikes auf seine Likes, bei den Frauen beträgt der Wert hingegen 10%.

Vielleicht etwas irritierend für alle heterosexuellen Männer (wobei ja immer die Chance zum Erkunden neuer Ufer besteht…): 86% der Antwort-Matches an die männlichen (Fake-)Profile kam von Männern. Tinder scheint also möglicherweise am ehesten etwas für Schwule zu sein, da dann beide Seiten die gleiche Strategie verfolgen: Alles matchen und liken, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Versuchen kann man es ja mal.

Oder muss man es ja mal, denn an sich ist die quasi wahllose Massen-Anquatsch-Strategie der Männer nur die logische Antwort auf die mauen Rücklaufquoten. Dummerweise ist die eher zurückhaltende Frauen-Reaktion wiederum die logische Antwort auf das wahllose Anmach-Feuer der Männer. Und so könnte der ganze Tinder-Algorithmus also theoretisch gegen die Wand donnern und die Plattform und das Geschäftsmodell obsolet machen – aber offenbar ist dies nicht der Fall, offenbar hat sich das Anfrage-Antwort-Verhältnis doch auf einem Level eingemendelt, das einen weiteren Match- und Paarungserfolg zulässt, schreiben die Wissenschaftler; Tinder muss es selbst am Besten wissen.

Ein paar praktische Ratschläge haben die Forscher auch noch aus ihren Daten ableiten können; auch die sind wieder nicht sehr überraschend: Mehrere Fotos bringen mehr Match-Erfolg als ein einziges (da lässt sich nämlich eher abschätzen, ob die Person überhaupt echt ist oder nur ein Fake mit Stock-Foto-Profilbild…) Und eine klitzekleine Biografie einstellen hilft auch immens – das machen aber allen Ernstes viele Leute nicht; vielleicht sind das also Spaßvögel, oder sie bauen auf eine absolut überwältigende Optik. Männer und Frauen unterscheiden sich auch in ihrem Message-Verhalten nach einem ersten gegenseitigen Matchen – auch das vielleicht keine ganz große Überraschung.

Völlig nebulös ist nur ein Ergebnis – auch die angeblichen Männer, die statt einem Foto eine gefakete Fehlermeldung in ihrem Profil hatten „dieser Account wurde gesperrt“, bekamen Matches. Und zwar entgegen dem „normalen“ Trend nur von Frauen. Da sind wahrscheinlich ein paar sehr abenteuerlustige Mainstream-Verächterinnen unterwegs. Oder so.

DRadio Wissen – Hielscher oder Haase vom 19.07.2016 (Moderation: Diane Hielscher)

Entenküken lassen sich auf abstrakte Konzepte prägen

Abstrakte Konzepte erfassen können – das gilt gemeinhin als Voraussetzung und im Umkehrschluss auch als Zeichen für Intelligenz. Im Tierreich hat man die Fähigkeit vor allem bei solchen Spezies erforscht und gefunden, die ohnehin im Verdacht standen, etwas mehr auf dem Kasten zu haben: bei Menschenaffen, Delphinen oder Elefanten, auch bei Rabenvögeln. Aber dass frisch geschlüpfte Entenküken schon mit abstrakten Kategorien wie „Gleich“ oder „Verschieden“ umgehen können, das hätte man vielleicht eher nicht vermutet. Die kleinen Federknäuel sind schlauer als gedacht, so steht das jedenfalls in der Presseankündigung für die aktuelle Ausgabe von „Science“.

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

A duckling imprinted on two cubes approaches two spheres during testing. [Credit: Antone Martinho]

Das Experiment von Antone Martinho III und Alex Kacelnik von der Universität Oxford ist bestechend einfach – so einfach, dass sich die Frage aufdrängt, warum es bislang noch niemand versucht hat. Die Antwort von Antone Martinho:

Maybe that is the bias you come in with thinking imprinting which is happening in baby birds must not be very complicated, must not be very sophisticated. So I think we maybe have been guilty as anybody else of these biases, and if other people think that way it may be they like us they thought “oh, it’s impossible“, no one would ever do that. And I think this is a very surprising result, even I now think there a good biological reasons why the result is what we found it still surprises me and it still surprise most people who hear it.

Das liegt vielleicht an der Tendenz, mit der man an das Phänomen „Prägung“ herangeht; das passiert bei Baby-Vögeln und kann ja dann wohl nicht sehr kompliziert sein. Diese Vorurteile haben wir wahrscheinlich genauso gehabt wie alle anderen, und so haben alle anderen wir wir gedacht „das ist unmöglich“ – und so hat es niemand ausprobiert. Ich denke, es ist ein sehr überraschendes Resultat, und obwohl ich mittlerweile denke, dass es sehr gute biologische Gründe für das gibt, was wir herausgefunden haben – es überrascht mich immer noch und eben auch die meisten Leute, die davon hören.

Und die zweite Frage, die sich aufdrängt – was sagt das Experiment bzw. sein Ergebnis eigentlich wirklich aus? Sind die Enten wirklich „schlauer als gedacht“ – auf welcher Ebene findet denn eigentlich die Abstraktion statt? Antone Martinho ist sich da sehr sicher: „jenseits der rein physischen oder visuellen Ebene“. Aber die Enten hatten ja nur mit einem visuellen Stimulans zu tun, das sie möglicherweise – die Idee hatte etwa auch Prof. Manfred Gahr vom Max-Planck-Institut für Ornithologie – gar nicht als Objektpaar, sondern als ein Objekt wahrgenommen haben, und zwar eben als ein symmetrisches oder assymmetrisches Objekt.

Wie komplex oder vielleicht auch wie relativ simpel sind denn die neuronalen Mechanismen, die die Grundlage für die „Abstraktionsfähigkeit“ der Entenküken bilden? Könnte man eine ähnliche Leistung nicht auch relativ unaufwendig mit einem künstlichen neuronalen Netz nachvollziehen? Ist das Ganze nicht vielleicht doch eine relativ unspektuläre Verarbeitung von Sinneseindrücken? Ganz trivial wären entsprechende Generalisierungen auch für ein Computermodell nicht, sagt Philipp Berens, auf Perzeption und neuronale Verarbeitung spezialisierter Forscher an der Universität Tübingen. Erst in den letzten Jahren hätten die Fortschritte in der Computertechnologie vergleichbare Leistungen künstlicher neuronaler Netze möglich gemacht.

Und möglicherweise, so sein Hinweis, kommen bei der Bewertung von Experimenten wie dem der Oxforder Wissenschaftler auch unterschiedliche semantische Konzepte mit ins Spiel: Kognitionsforscher würden bei der Erklärung von Experimenten wie dem von Antone Martinho von „Abstraktion“, „Konzepten“ oder abstrakten „Kategorien“ sprechen; Neurophysiologen oder Spezialisten für künstliche neuronale Netze eher bei der schlichten Feststellung bleiben – was kann das künstliche oder natürliche Netz denn eigentlich erkennen oder kategorisieren (bzw. „generalisieren“) und was nicht?

Aber vielleicht geht es gar nicht um die Frage, wie schlau oder nicht schlau die Entenküken nun wirklich sind – wahrscheinlich beruhen eben auch vermeintlich exklusive menschliche Geistesleistungen letztlich auf ganz elementaren, kognitiv nützlichen Grundlagen.

Intelligenz – Entenküken ziehen abstrakte Schlüsse

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 15.07.2016 (Moderation: Ralf Krauter)

Wenn Software über Leben und Tod entscheidet

Es gibt ein erstes Todesopfer in einem Auto mit eingeschaltetem Autopiloten, einem Tesla. Der Fall ereignete sich bereits im Mai, das Unternehmen gab den Vorfall nun mit dem Ausdruck des tiefsten Bedauerns bekannt. Und man darf wohl annehmen, dass jedenfalls einigen Insidern und Silicon-Valley-Nachbarn von Tesla das Unglück schon bekannt war, während sie in dieser Woche auf der Fachmesse ConCarExpo 2016 in Düsseldorf ungebrochenen Technik-Optimismus verbreiteten.

Möglicherweise ja vielleicht sogar zurecht – denn das Argument lautet schlicht und ergreifend: In der Gesamtbilanz werden selbstfahrende Autos (mit assistierenden Autopiloten wie im Fall Tesla oder eben als nächste Perspektive völlig autonom agierende Vehikel…) die Zahl der Unfälle und Opfer senken.

IMG_0787

Vortrag „Impact Assessment Methods for Automated Driving with regard to Road Safety“, 29.6.2016

Was nicht heißt, dass es nicht ab und zu tödlich verlaufende Crash-Szenarien geben könnte und weiter geben wird – sei es durch Soft- oder Hardware-Unzulänglichkeiten, sei es in tatsächlich „ausweglosen“ Situationen, in denen der Algorithmus nur noch zwischen zwei Übeln wählen bzw. abwägen kann.

Das kürzlich in „Science“ noch einmal prominent dargestellte ethische Dilemma spielte auch auf der ConCarExpo eine Rolle – immerhin beschäftigten sich mehrere Vorträge im Konferenzprogramm mit dem Thema. Einer der Referenten war Jason Millar, der Philosophie (mit dem Schwerpunkt Technik- und Robotik-Ethik) an der Carleton-Universität im kanadischen Ottawa lehrt. Eine „Patentlösung“ hat natürlich auch Millar nicht anzubieten – er plädiert aber ganz klar für maximale Transparenz, wie Algorithmus-Entscheidungen eigentlich zustande kommen. (Eine besondere Herausforderung, wenn neuronale Netzwerke und Deep Learning mit im Spiel sind…)

Und dann müsse eine politisch-demokratische Diskussion und Konsens- (oder zumindest Mehrheits-) findung einsetzen und Regeln festlegen. Wie bei allen Regeln oder Gesetzen mit eventuellen Härten für Einzelne, aber mit einer grundsätzlichen Akzeptanz durch die Gesellschaft.

At least if regulators are making decisions about how these problems get solved in engineering, people can make choices whether they participate in using this type of technology, they can feedback into the legislation or regulation process and provide their input. As the sense right now companies are doing this behind closed doors. So we don’t really know how they are thinking about solving these problems. And we do know that they are thinking about solving these problems.

Wenn der Gesetzgeber hier Entscheidungen trifft, wie diese Probleme in der technischen Entwicklung gelöst werden sollen, dann können die Leute zumindest ihre Wahl treffen, ob sie eine solche Technologie nutzen wollen. Sie können auf den Gesetzgebungs- oder Regulierungsprozess reagieren und ihre Argumente vorbringen. Momentan läuft das Ganze bei den Firmen hinter verschlossenen Türen ab. Wir wissen nicht genau, was sie denken, wie sie diese Probleme lösen wollen. Wir wissen aber, dass sie schon konkret darüber nachdenken.

Sowohl das ausweglose-Situation-Dilemma als auch der aktuelle Todesfall (bei dem die „Schuld“ ohnehin zu einem erheblichen Teil auch beim verunglückten Fahrer liegen dürfte, weil das Tesla-System ja kein wirklicher „Autopilot“ ist, sondern immer noch die menschliche „Hand am Lenkrad“ und den Fuß an den Pedalen voraussetzt…) zeigen aber in den Reaktionen eines doch sehr deutlich: Wir Menschen sterben „lieber“ durch den Fehler oder durch die Unzulänglichkeit eines anderen Menschen als durch den Fehler oder die Unzulänglichkeit einer Software oder eines Roboters. Jedenfalls zur Zeit noch.

Algorithmus soll über Leben und Tod entscheiden · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Grünstreifen vom 01.07.2016 (Moderation: Steffi Orbach)

Terrorprognose mit Social Media – origineller Ansatz, vage Resultate

Was sich in den vermeintlich virtuellen Welten von Facebook, Twitter, dem chinesischen Baidu oder dem russischen Vkontakte abspielt, das spiegelt die Interessen, Überzeugungen und Stimmungen von realen Menschen wider. Es kann aber auch Entscheidungen und Handlungen von realen Menschen verändern, verstärken oder überhaupt erst auslösen – vom Kauf eines Produkts, der Wahl eines Politikers bis hin zur Ausführung eines Terroranschlags. Und dementsprechend interessieren sich nicht nur Werbeindustrie, Versicherer und Finanzwelt brennend dafür, wie solche dynamischen Prozesse in den Social Networks funktionieren, sondern auch Regierungen, Sicherheitsbehörden und Geheimdienste.

Nach der Untersuchung zur besonderen Rolle von Frauen bei IS-Aktivitäten im Netz legt das selbe Wissenschaftlerteam In der aktuellen Ausgabe von Science eine zweite Studie vor, die ebenfalls auf der Beobachtung von islamistischen Unterstützergruppen auf VKontakte beruht. Sie baut zum Teil auf einer früheren Arbeit aus dem Jahr 2013 auf, die bezeichnenderweise im Rahmen des IARPA-Programms des US-amerikanischen Geheimdienstkoordinators initiiert und gefördert wurde. In der Projektausschreibung wird deutlich, welche Informationen bzw. Prognosen die US-Dienste (und nicht nur die…) gerne aus Social-Media-Quellen herausdestillieren würden, nämlich zu:

  • Unruhen (aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen, gewaltsam oder nicht)
  • Wahlen und Referenden (bzw. deren wahrscheinlicher Ausgang)
  • Epidemien oder Pandemien (Grippe, Cholera, Gelbfieber etc.)
  • Wirtschaftsereignisse von großer Relevanz (Aktienmarkt- oder Währungseinbrüche)

Tatsächlich eignet sich das aus der Physik bzw. Chemie entlehnte mathematische Modell der „Phasenübergänge“ offenbar ganz gut zur Beschreibung der Social-Media-Aktivitäten von regierungskritischen Bürgergruppen in mehreren südamerikanischen Staaten bzw. dann auch zur zeitlich treffenden Prognose von Massenprotesten. Die liegen in einem solchen politischen Szenario aber auch logischerweise „in der Luft“ und können als erwartbares und weitgehend legitimes Ausdrucksmittel einer Zivilgesellschaft gesehen werden.

Die Presseankündigung zu der Science-Veröffentlichung (und vielleicht auch die Äußerungen des Hauptautors) versprechen nun allerdings mit dem Fokus auf islamistischen Extremismus mehr, als das mathematische Modell halten kann – von der Möglichkeit, „größere gewaltsame Ereignisse“ aus IS-Social-Media-Aktivitäten heraus vorherzusagen war da die Rede. Da denkt man natürlich an Terroranschläge und konkrete Warnsignale, de facto hat das mathematische Modell aber im Untersuchungszeitraum nur ein einziges signifikantes bzw. zuordenbares Signal geliefert. Es passt zeitlich auf die IS-Offensive auf Kobane 2014 – die Forscher hätten aber weder den Ort noch die Art des Ereignisses „liefern“ können.

Das wird Interessenten beim Geheimdienst nicht gerade aus ihren Sesseln fegen, und auch das Editoren-Team bei Science wünschte sich da wohl noch etwas mehr „Butter bei die Fische“, wie Koautor Stefan Wuchty mit charmanter Offenheit verrät:

Die haben gemeint; das ist ja alles recht gut und schön, aber was heißt das jetzt?

Und so bringen die Wissenschaftler noch eine zweite naturwissenschaftliche Analogie mit ins Spiel bzw. in ihr Modell – das gruppendynamische Verhalten der IS-Unterstützer unter Verfolgungsdruck (von Plattformbetreibern, Hackern und Geheimdiensten) trägt Züge einer Jäger-Beute-Balance und der dabei auftretenden Kosten-Nutzen-Erwägungen. Herauskommt eine zweite Empfehlung für nachhaltigere Anti-IS-Aktionen im Netz (neben der aus dem anderen Paper, bei den Frauen anzusetzen…): Besser die kleinen Gruppen attackieren, als die großen – auch hier bleibt der praktische Wert reichlich vage.

Internet – Terrorprognose mit Socia Media

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 17.06.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

Social-Media-Aktivitäten des IS: Frauen spielen eine zentrale Rolle

Wenn man sich so ganz allgemein anschaut, was Menschen dazu bringt, den sogenannten „Islamischen Staat“ zu unterstützen, dann hat das ja offenbar mit einer rationalen Entscheidung meist nicht allzu viel zu tun. Da sind anscheinend viele geistig unzurechnungsfähige oder psychisch Gestörte dabei, an oder jenseits der Debilitätsgrenze und/oder mit einer Klein- oder Schwerkriminellen-„Karriere“ im Gepäck. Oder eben die „ganz normal“ Orientierungslosen, die von tatsächlicher oder vermeintlicher Chancenlosigkeit Entmutigten – die entweder in islamischen Staaten oder in irgendwelchen westlichen „Gast“- oder „Einwanderungsländern“ ein dankbares Missionierungs-Zielobjekt von fanatischen Anwerbern werden. Und wo man in diesem Spektrum diejenigen hintun soll, die sich von über die Wüste galoppierenden Fantasy-Kämpfern unter der grünen Fahne des Propheten begeistern lassen und auch mal endlich nicht nur am PC, sondern „in echt“ mit Schwertern ungläubige Hälse abhacken wollen, die nach den Jungfrauen im Paradies lechzen und sich auch gern schon einmal auf Erden einen kleinen Vorschuss bei „Sexsklavinnen“ holen – das auch noch mal eine Spezialfrage.

Manch einer erklärt das ganze Phänomen „IS“ ja als Ausdruck einer systemischen sexuellen Neurose – aber so einfach ist die Sache wohl auch nicht. Denn es schließen sich ja auch Frauen dem „Projekt“ an oder unterstützen es – andererseits können natürlich auch Frauen bei einer systemischen sexuellen Neurose mitwirken; sie erziehen schließlich ihre Söhne zu neuen kleinen und später großen Arschlöchern emotionalen Krüppeln. (Zusätzliche traumatische Kindheitserfahrungen ggf. obendrein – geschenkt.) Wie dem auch sei – bei der Kommunikation im Netz, bei der Rekrutierung neuer Kämpfer oder Terroristen kommen anscheinend auch im vermeintlich männerdominierten IS-Universum die klassischen „Soft Skills“ ins Spiel, die Frauen nachgesagt werden. Laut einer Studie in Science Advances haben jedenfalls weibliche Akteure in islamistischen Unterstützergruppen beim russischen Facebook-Pendent VKontakte eine signifikant höhere Verknüpfungseffizienz („betweenness centrality“) als ihre zahlenmäßig stärker vertretenen männlichen „Freunde“.

Und damit bestätigen sich also auch bei einer „extremistischen Gruppe unter Druck“ im zeitgemäßen Cyberraum die netzdynamischen Strukturen aus der alten, analogen Welt – die Studienautoren bringen hier detaillierte Sozialgefüge-Analysen der PIRA (Provisional Irish Republican Army) im Nordirland der 70er und 80er Jahre zum Vergleich. Ob die Welt und die individuelle Kommunikations-, Verfolgungs- und Risikosituation damals nicht doch sehr weit von einer heutigen Social-Media-Aktion am warmen PC entfernt ist, ist eine berechtigte Frage. Aber zumindest die möglichen Konsequenzen laufen ja am Ende auf das gleiche, alte Lied hinaus: Gewalt und Tod im Dienste der höheren Sache; für andere und gegebenenfalls auch für die eifernden Akteure selbst.

Vielleicht liegt ja im besonders engagierten und effektiven weiblichen Netz-Einsatz für den „IS“ letztlich sogar ein emanzipatorisches Element? Aus der Perspektive unter den Kopftüchern mancher Frauen bestimmt. Ob’s stimmt, wird sich ja dann irgendwann nach dem ruhmvollen, unausweichlichen Sieg des Kalifats erweisen. Oder auch nicht.

Social-Media-Aktivitäten des IS: Die Anwerberinnen · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 13.06.2016 (Moderation: Till Haase)

Islamischer Staat: Frauen geben bei IS-Propaganda im Netz den Ton an – SPIEGEL ONLINE

(Spiegel Online – Netzwelt vom 14.06.2016)

Die KI spielt das Game of Thrones

Wovon hängt es ab, welcher Charakter in der Kultserie „Game of Thrones“ als nächster (mehr oder weniger grausam…) ins Gras beißen muss? Das lässt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an Faktoren wie dem Alter, Geschlecht, Nobilitätsrang oder Beziehungsstatus der Figuren festmachen, behaupten Bioinformatiker von der TU München und liefern auf ihrer Website gleich handfeste Zahlen, die manchen Fan in Verzweiflung stürzen könnten. Die Prognose beruht auf einem Maschinenlern-Algorithmus. Und da klingeln ja gleich die Alarmglocken. 🙂

Zuweilen liefern die modernen Methoden bekanntlich wunderbare statistische Korrelationen, hinter denen aber bei Licht (bzw. mit gesundem Menschenverstand) betrachtet keine Kausalitäten stecken, sondern Artefakte (sprich Bullshit…). Und auf dieser potentiell sehr wackeligen Basis werden dann unter Umständen Entscheidungen von erheblicher Tragweite getroffen: Maschinenlernverfahren liefern Prognosen zur Kreditwürdigkeit, zu Sicherheitserwägungen oder zum Erfolg von medizinischen Behandlungen – ohne dass sich immer nachvollziehen oder begründen ließe, wie diese Einschätzungen eigentlich zustande kommen und wie verlässlich sie sind.

Auf den ersten Blick scheint auch das Datenmaterial der GoT-Modellierung geradezu irrwitzig zu sein: In einem realen Szenario würden biologische und soziologische Parameter natürlich sehr viel mit der Fitness oder der Überlebenswahrscheinlichkeit einer Person zu tun haben – wer gut isst und trocken schläft, lebt gesünder als der Bettler im Schlammloch. Aber in einem Roman, in einer fiktiven Welt, in einer TV-Serie gar? Da sollte sich doch doch der freie Wille der Autoren jederzeit über Plausibilitäten (und über Abbildungen realer, „biologischer“ Wahrscheinlichkeiten…) hinwegsetzen können – sei es aus „Willkür“, sei es als Reaktion auf Publikumserwartungen, sei es aufgrund realer Fakten wie der Verfügbarkeit oder der Gagenforderung von Schauspielern.

Stimmt alles – und trotzdem macht die Modellierung der TU-Informatiker Sinn: Die Prognose bezieht sich halt nur auf interne, nicht offensichtliche Spielregeln oder Muster der fiktiven Welt; möglicherweise also auf die „Schreibstrategie“ des Autors – und sie gilt natürlich nur, solange keine externen, „realen“ Faktoren ins Spiel kommen, die in dem Maschinenlern-Datenmaterial nicht enthalten waren.

Deutschlandfunk – Wissenschaftliches Projekt zur Serie „Game of Thrones“

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 2.5.2016 (Moderation: Arndt Reuning)

Computerspieler optimieren Quantenphysik-Modellierung

In letzter Zeit sah es ja etwas schlecht aus für „Homo sapiens“ im epischen Duell „Mensch gegen Maschine“ – da bringt ein Artikel in der jüngsten Ausgabe von „Nature“ wieder reichlich Labsal auf unser angeknackstes Selbstvertrauen: Menschliche Computerspieler schneiden bei einem komplizierten Problem aus der Quantenphysik besser ab als ausgefeilte Algorithmen in Hochleistungsrechnern. Und das, ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung von verschränkten Teilchen, Tunneleffekten und Nicht-Lokalitäten zu haben.

„Quantum Moves“ gibt es in einer Windows- und einer MacOsX-Version, kostenlos herunterzuladen auf der Webseite www.scienceathome.org – aber besser spielt man das Spiel auf einem Android- oder Apple-Tablet. Denn um die schwappende Flüssigkeit in einem beweglichen Wellental schnell und sicher in den Zielbereich zu transportieren, braucht man ein ruhiges Händchen. Das scheinbar schlichte Geschicklichkeitsspiel ist in Wirklichkeit eine sehr realistisch nachgebildete Physik-Modellierung, wenn auch um den Faktor 30.000 zeitlich verlangsamt.

Screenshot aus dem Computerspiel "Quantum Moves"

Screenshot aus dem Computerspiel „Quantum Moves“

Ob nicht schon in Kürze neuronale Netze a la Alpha Go unsere intuitiv ausgeführten und trotzdem offenbar ziemlich performanten „Pi-mal-Daumen“ (bzw. hier Pi-mal-Zeigefinger…) – Operationen nachahmen und wiederum optimieren können, das ist noch eine andere Frage. 🙂

Quantenzocker – Computerspieler optimieren Quantenphysik-Modellierung

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 14.04.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

No Go für Lee Sedol gegen die KI

Und das war es auch schon mit der letzten Krone des Denksports – auch die dritte Partie in Folge geht an Alpha Go. Möglicherweise war der Kampf insofern etwas unfair, weil der Mensch halt keine Chance hatte, sich auf den tatsächlichen Gegner vorzubereiten (also auf die aktuelle, seit Oktober stark verbesserte Version von AlphaGo), möglicherweise würde auch ein anderer Top-Spieler besser mit dem KI-Gegner zurechtkommen als Lee Sedol (auch Gary Kasparov hatte ja bei seiner ebenfalls als „Meilenstein“ gesehenen Niederlage gegen DeepBlue weder seine eigene normale Spielstärke gezeigt noch überhaupt erfolgversprechende Anti-Computer-Strategien verfolgt…) – aber, das war ja auch vor dem Match jetzt in Südkorea schon klar: Es ging nicht um die Frage, ob die menschliche Bastion fällt, sondern wann.

Wie beim Schach bedeutet der Sieg von AlphaGo nicht, dass das (Turnier-) Spiel unter Menschen nun uninteressant würde. Ob allerdings menschliche Go-Profis ebenso schnell von der Assistenz von Computerprogrammen profitieren werden, ist noch fraglich. Zum einen dürfte es noch dauern, bis eine PC-Version von AlphaGo verfügbar sein wird (oder eben ein anderes Programm, das im wesentlichen die Erfolgsrezepte des DeepMind-Algorithmus aufgreift und auf „realistischer“ Hardware eine vergleichbare Performance liefert), zum anderen ist nicht ausgemacht, ob sich die faktisch erfolgreiche Spielweise der KI auch in eine für einen Menschen nachspielbare Strategie übersetzen lässt.

Bei aller Exzellenz in höchst komplexen Denksportarten – im richtigen Leben werden die Algorithmen aus dem Hause DeepMind erst einmal noch kleinere Brötchen backen. Aber auch da ergeben sich interessante Perspektiven, wie Demis Hassabis im Interview bei The Verge erläutert.

AlphaGo gewinnt erste Partie gegen Lee Sedol

Eigentlich hatte Lee Sedol ja die schwarzen Steine in seiner ersten Matchpartie gegen das Computerprogramm AlphaGo – als er dann irgendwann um 8 Uhr 35 deutscher Zeit einen weißen Stein ergriff und auf dem Brett postierte, da blieb den Kommentatoren bei der Live-Übertragung auf YouTube erst mal die Spucke weg. „Ich glaube, er hat gerade die Partie aufgegeben“ fiel dann bei Michael Redmond, immerhin der beste westliche Go-Spieler und wie Lee Sedol ein 9-dan-Großmeister, der Groschen. Redmond hatte nämlich in der Endspielphase auch schon immer wieder ansatzweise überschlagen, wer in der Partie eigentlich das größere Gebiet erobert hatte, aber dabei noch kein endgültiges Ungleichgewicht gesehen. Lee selbst wusste es besser.

 

Das Partieende wie aus heiterem Himmel – jedenfalls für die Beobachter in dieser Übertragung; andere Kommentatoren hatten den Braten schon früher gerochen – macht deutlich, wie extrem schwierig beim Go die Stellungsbewertung ist. Und genau das war auch bislang das Hauptproblem für Computerprogramme, die letzte Bastion des Denksports im Kampf Mensch gegen Maschine zu schleifen – beim Schach war der Drops bekanntlich schon länger gelutscht.

Offenbar hat AlphaGo seit dem Match im Oktober gegen den mehrfachen Europameister Fan Hui dazugelernt (Fan Hui, der ja 0-5 unter die Räder gekommen war, ist übrigens jetzt einer der Schiedsrichter und verspürt vielleicht eine ganz kleine Genugtuung, dass AlphaGo nun jemand anders quält. Vielleicht drückt er aber auch Lee Sedol in menschlicher Empathie ganz fest die Daumen…) – das „Dazulernen“ kann man wörtlich nehmen, denn die neuronalen Netze von AlphaGo trainieren sich selbstständig weiter, mit Millionen von gegen sich selbst gespielten Partien, ohne dass ihnen die Programmierer vorgeben müssen, was gut oder was schlecht ist.

Es ist sogar genau anders herum – im Grunde wissen selbst die Macher von AlphaGo bei Googles (bzw. Alphabets…) Tochterfirma „Deep Mind“ nicht ganz im Detail, was sich eigentlich in der „Black Box“ zwischen der Eingabe- und Ausgabeschicht der neuronalen Netze entwickelt hat. Möglicherweise hat AlphaGo Erkenntnisse über das Go-Spiel herausdestilliert, auf die noch nie ein menschlicher Spieler gekommen ist, die möglicherweise auch aus menschlicher Sicht absurd erscheinen mögen – die aber offensichtlich funktionieren. Und das ist ein weiterer Grund, warum der Kampf für Lee Sedol nun wahrscheinlich noch schwieriger wird, als seinerzeit bei den Mensch-Maschine-Matches beim Schach: Er kann nur sehen, was AlphaGo spielt, aber nicht, warum – damit entfällt die Chance, konzeptbedingte Schwächen zu identifizieren und gegebenenfalls gezielt auszunutzen.

Das heißt noch nicht, dass AlphaGo oder das algorithmische Konzept im menschlichen Sinne „intelligent“ ist. Würde man ein neuronales Netzwerk mit Daten über Börsenkurse und Minirocklängen trainieren, dann käme mit ziemlicher Sicherheit eine Korrelation und ein Prognosemodell heraus. Vielleicht sogar eins, das besser funktioniert als Analysten-Analysen. Fehlende Kausalitäten, sprich Bullshit, können Menschen immer noch besser diagnostizieren als Maschinen. Aber es wird garantiert immer schwieriger, die Ergebnisse von „künstlicher Intelligenz“ von denen menschlicher auseinanderzuhalten – das klassische Turing-Test-Szenario.

Irgendwann spielt es also keine Rolle mehr, ob die Algorithmen intelligent sind. Oder nur sehr perfektioniert so tun, als ob. 🙂

Maschine übernimmt letzte Bastion der Menschen · DRadio Wissen

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 09.03.2016 (Moderation: Till Haase)

Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 09.03.2016 (Moderation: Uli Blumenthal)

Nachtrag zu: „Ist Michael Gessat als Journalist noch haltbar?“

Inzwischen hatte ich einen Mailwechsel mit Dr. Sebastian Lüning, der sich als Autor des Artikels bei kaltesonne.de herausgestellt hat. Wir sind nach wie vor nicht einer Meinung, ob aus meinem DLF-Beitrag oder der (wie gesagt von mir gar nicht zu verantwortenden…) Anmoderation in der Sendung „Forschung aktuell“ vom 27. Januar die auf kaltesonne.de behaupteten Dinge wie „Ehrverletzung“, „Rufmord“, „perfide Strategie“ oder „Mobbing“ sachlicher- oder redlicherweise ableitbar sind. Ich halte diese Idee weiterhin, übrigens auch was die Rolle des Moderators oder des Senders angeht, für einigermaßen absurd.

Immerhin hat Herr Dr. Lüning jetzt meinen Namen aus dem Artikel und der Überschrift entfernt (die URL ist allerdings unverändert und stellt nach wie vor die Gretchenfrage ins Netz 🙂 … – Nachklapp: die URL ist jetzt auch geändert 🙂 🙂 ); auch die von mir kritisierte (und schlichtweg eine unrichtige Tatsachenbehauptung darstellende…) Passage mit der angeblich im Vergleich zur Audiofassung entschärften Schriftversion ist entfallen. Durch die Kürzung wird der Artikel allerdings nicht unbedingt nachvollziehbarer – jetzt steht ein Satz wie

In der Audio-Radioversion langt der DLF-Autor kräftig hin.

ein wenig verloren im ewigen Hyper-Raum; ein interessierter Nach-Hörer wird da vergeblich rätseln, wo die versprochene Deftigkeit eigentlich zu finden ist … 🙂

Ich nehme die Änderung trotzdem einmal als Zeichen des guten Willens von Herrn Dr. Lüning. Um das auch noch einmal umgekehrt klarzustellen: Herr Prof. Vahrenholt und Herr Dr. Lüning vertreten offensichtlich eine Minderheitenposition in der Klimadiskussion. Als Journalist würde ich die Tatsache, dass ihre Thesen von den führenden Vertretern der wissenschaftlichen Forschung nicht geteilt bzw. für falsch gehalten werden, als „warnendes“ Indiz auffassen. Ich würde aber andererseits nicht auf die Idee kommen, sachlich begründete Argumente oder Thesen oder Minderheitenpositionen von vornherein als absurd oder „verschwörungstheoretischen“ Unsinn abzutun.

Wohlgemerkt: Sachliche Argumente. Wer polemisiert, sägt sich selbst den Ast des Ernstgenommenwerdens ab und muss sein Dasein in den vordergründig populären, aber letztlich unfruchtbaren Niederungen und Nischen des Internet-Anti-Mainstreams fristen 🙂 …

Ich habe das auch Herrn Dr. Lüning geschrieben: Es ist unwahrscheinlich, dass ich selbst in die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten in der Klimadiskussion oder vielmehr in die Berichterstattung über sie einsteigen werde, so interessant die Sache auch ist. Und zwar schlicht, weil hier eine gewaltige Einarbeitung und Recherche notwendig wäre – und weil dem Zeitaufwand dafür eine entsprechende finanzielle Kompensation entgegenstehen müsste – ich verfüge ja weder über eine Festanstellung noch über einen Vorstandsposten…

Ich stehe aber natürlich als selbstständiger freier Mitarbeiter gerne für neue Aufgaben und thematische Herausforderungen zur Verfügung. Für einen ersten, aber schon ganz ordentlich fundierten Faktencheck einer Minderheitenposition in einer wissenschaftlichen Frage würde ich erst einmal eine Woche Arbeitszeit veranschlagen, also 5 (oder besser 7…) Tage a 390,- zzgl. Umsatzsteuer.  Selbstverständlich ohne Voreingenommenheit und mit der Gelegenheit zur Diskussion und Modifikation der Befunde. 🙂