Das Sexualhormon Testosteron hat einen ziemlich zweifelhaften Ruf. Fest steht: es ist essentiell bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von männlichen Körpermerkmalen, bei der Spermienproduktion und dem Aufbau von Muskelmasse. Und es hat unzweifelhaft einen Einfluss auf das männliche Verhalten – auf den Geschlechtstrieb nämlich. Und jetzt wird es kontrovers: Testosteron macht aggressiv, es führt zu antisozialem Verhalten, das gilt fast schon als Allgemeinwissen. Aber so einfach ist die Sache nicht – wie eigentlich immer, wenn man evolutionsbiologische Erkenntnisse und menschliches Verhalten in einen Topf wirft und dann durch eine politische oder ideologische Brille draufschaut 🙂 .
Natürlich ist auch der Mensch von seinem evolutionsbiologischen Erbe noch stark beeinflusst – aber mit einem ganz einfachen Testosteron-Bashing a la Gender-Theorie tut man/frau selbst der Affenhorde unrecht. Vielleicht kann man es einfach erst einmal neutral so sagen: Testosteron hat den „Sinn“ oder die Funktion, den Fortpflanzungserfolg eines Männchens zu fördern. Und dazu gehört einerseits aggressives Verhalten – also dem Konkurrenten um das Weibchen eins auf die Birne zu geben. Und zwar im direkten Wettbewerb um ein konkretes Weibchen, oder im Streben nach Status – der wiederum den Erfolg bei den Weibchen eindeutig positiv beeinflusst 🙂 …
Status lässt sich aber auch durch nicht-aggressives Verhalten gewinnen – durch besondere Fähigkeiten, durch Mut oder Klugheit. Oder eben auch durch Großzügigkeit; wenn man es etwas kritischer benennen will: durch protzen oder „ganz entspannt einen auf dicke Hose machen“. Was im Grunde in der intuitiven Beobachtung menschlichen Miteinanders schon relativ plausibel erscheint, lässt sich offensichtlich auch experimentell nachweisen. Vollständig bewiesen ist die These „Testosteron fördert das Streben nach Status“ vielleicht noch nicht – aber die Indizien passen schon recht gut zusammen.
Wie Matthias Wibral anmerkt, ist der Titel der aktuellen PNAS-Studie (Testosterone causes both prosocial and antisocial status-enhancing behaviors in human males) eigentlich nicht ganz zutreffend: Dass Testosteron antisoziales Verhalten hervorruft, belegt die Untersuchung bzw. das Studiendesign nämlich nicht:
Also in der Literatur zu Bestrafung oder zum Ultimatum-Spiel oder auch in Public-good-Spielen, da bezeichnet man so eine Art von Bestrafung, wenn ich also jemand bestrafe, der besonders wenig gibt, eher im Gegenteil als prosozial.
Diesen Einwand konnte Jean-Claude Dreher auf Nachfrage sogar nachvollziehen. Gezeigt habe sein Experiment tatsächlich nur eine verstärkte „reaktive Aggression“. Und eben – als entscheidenden Punkt – eine kausal durch Testosteron verstärkte Großzügigkeit.
Paradoxes Hormon – Testosteron macht aggressiv, aber auch großzügig
Deutschlandfunk – Forschung aktuell vom 04.11.2016 (Moderation: Ralf Krauter)