Wer bin ich? – Diese Frage hat sich bestimmt jeder schon einmal gestellt. Jetzt gibt Facebook die Antwort. Das Netz, so sagen die Medientheoretiker, ist zunächst einmal ein Kommunikationsmittel. Und Kommunikation im weiteren Sinne ist es ja auch, Inhalte mal einfach so in den Raum zu stellen – sozusagen als unverbindliches Angebot zur allgemeinen Kenntnisnahme. “Hier bin ich, und das ist meine Welt” lautet die Botschaft, und früher mussten dafür ein paar Katzen- und Babybilder auf der privaten Homepage ausreichen.
Die Zeiten ändern sich und auch der verfügbare Speicherplatz: Ab sofort lässt sich nun wirklich das ganze Leben dokumentieren und öffentlich sichtbar machen – bei Facebook nämlich. Ganz ohne Zweifel: Das neue Konzept des sozialen Netzwerks; der Zeitstrahl, die “Timeline” als zentrale Achse der angesammelten persönlichen Daten; der Facebook-Account also als ultimatives Tagebuch und multimediale Instant-Autobiografie – das hat schon Charme. “Wir geben Ihnen die Möglichkeit, die Geschichte Ihres eigenen Lebens zu kuratieren”, lockt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Chef des digitalen anthropologischen Weltmuseums. Und spricht damit auch freimütig schon gleich einen kleinen Haken an: Die User sollen nicht nur wie bisher Daten liefern, sondern diese auch noch selbst verschlagworten.
“Arbeit und Ausbildung”, “Familie und Beziehung”, “Gesundheit und Fitness” sind ein paar der neuen, vorgegebenen Kategorien – die doch bitte jetzt ausgefüllt werden sollten: Die Ehrenrunde in der elften Klasse und der erzwungene Studienfachwechsel von der Teilchenphysik zur vergleichenden Mediensoziologie gehören hier ebenso hin wie die erste Liebe, die zweite und alle folgenden; wenn dabei etwas herausgekommen ist, bitte eintragen unter “Kind hinzufügen”. Tragische Ereignisse lassen sich bequem unter “verlor einen geliebten Menschen” einsortieren, eine dadurch ausgelöste eigene körperliche oder seelische Fehlbefindlichkeit gehört dann aber in die Kategorie Gesundheit, Unterabteilung “überstand eine Krankheit” – oder gleich in die Kategorie “Meilensteine und Erfahrungen”.
Noch tiefergehende Einblicke in die Lebensumstände ermöglichen die neu eingeführten “Verben”: Wer gerade liest, hört, glotzt, kocht oder rennt, der kann dies per Button mitteilen – oder dies von “intelligenten” Apps in Webanwendungen, vom Smartphone oder von Sensoren im Joggingschuh automatisch erfassen lassen. Warum nicht auch einen Bewegungsmelder ins Ehebett montieren – die Auswertung interessiert schließlich nicht nur Voyeure, sondern auch den Versender von erotischem Spielzeug oder die neue Paartherapie-Praxis in der Nachbarschaft.
In diesen Tagen kursiert eine kleine Karikatur im Netz; zwei Schweine plaudern da miteinander: “Ist das nicht toll? Wir brauchen nichts für den Stall zu bezahlen – ja, und sogar das Futter ist umsonst.” Darunter die Zeile: “Facebook und du. Wenn die Sache gratis ist, bist du nicht der Kunde. Du bist das Produkt, das verkauft wird.” Die Frage “Wen soll denn der ganze private Quatsch interessieren?”– bei den Katzen- und Babybildern der Netz-Frühzeit noch berechtigt – hat Mark Zuckerberg nun hinreichend beantwortet. Es ist halt ein einfacher Deal: Die totale digitale Selbstvergewisserung des Users gegen die totale Information für Facebook bzw. für die angeschlossenen Datenverwerter.
Und wenn die Leute jetzt mitmachen und fleißig kategorisieren und taggen, und wenn die automatischen Datenquellen unermüdlich protokollieren und übermitteln, und wenn der Auswertungsalgorithmus dann ausgefeilt und ausgereift ist – dann müsste er eigentlich den Usern auch ihre Zukunft voraussagen können. Oder ihnen zumindest einen Tipp geben, was sie aufgrund der bisher erhobenen Daten jetzt eigentlich machen müssten. Schöne neue Welt – da verliert selbst der Gedanke an den bislang immer noch unvermeidlichen analogen Tod ein wenig den Schrecken; wo doch jedes Detail eines ganzen Lebens für alle Zeiten digital konserviert bleibt.
Wenn Mark Zuckerberg mal nicht der Speicherplatz ausgeht. Oder sonst irgendjemand versehentlich oder mit Absicht den Stecker aus der Cloud zieht. Dann, ja dann ist halt die ganze mühevoll kuratierte Existenz schon zu Lebzeiten im Nirwana.
(Dieser Text erschien als “Netz.Blick” in der Zeitschrift “Digital”, Ausgabe November/Dezember 2011.)