Unseren täglichen Cyberwar gib uns heute

Rumgetöse im Netz wird zum Dauerbrenner

Früher brauchte man für eine ordentliche Verschwörung einen Umhang oder eine Kutte wie beim Ku-Klux-Klan oder zumindest eine Gesichtsmaske aus Stoff, Leder oder Pappmaschee – und die geheime Übereinkunft wurde dann stilvoll mit dem eigenen Blut besiegelt. Heute braucht man sich nur irgendwelche Open-Source-Software aus dem Netz runterzuladen und zu starten. Dann stattet einem mit etwas Glück sieben Monate später die vereinigte Anti-Terror-Kavallerie von FBI, CIA und NSA einen kleinen Überraschungsbesuch ab. Schwarz vermummte und bis an die Zähne bewaffnete Elitekämpfer stellen die Bude gründlich auf den Kopf, packen alles ein, was einen Prozessor und einen Internetzugang hat – und man selbst landet schnurstracks, Gegenwehr empfiehlt sich nicht, in einem Verlies. Wegen „mutwilliger Beschädigung eines gesicherten Computersystems“ und wegen „Conspiracy“ – wegen Verschwörung also.

Der „Cyberwar“ ist eben in vollem Gang – bei Polizei, Geheimdiensten und Militär werden Task Forces und neue Kommandozentralen zu Verteidigungs- und Angriffszwecken aus dem Boden gestampft, mit Tausenden von Beschäftigten und mit Milliarden-Budgets. Wo plötzlich all die dafür benötigten Experten herkommen sollen, ist noch nicht so ganz klar, aber das macht ja nichts – schließlich erwägen Strategen ganz ernsthaft auch „konventionelle Vergeltungsschläge“ nach gravierenden digitalen Attacken. Die martialische Rhetorik passt natürlich auch den Medien bestens ins Konzept – da wird dann im Zweifelsfall kein großer Unterschied gemacht: die Stuxnet-Attacke auf iranische Atomanlagen, eine für zwei Tage lahmgelegte Website oder die Veröffentlichung eines sieben Jahre alten Speiseplans aus einer NATO-Kantine: alles gefährliche Hacker-Angriffe, alles Cyberwar.

Die Dauer-Aufgeregtheit nervt. Aber andererseits: Die „Hacker“ mit der digitalen Gesichtsmaske, Anonymous, LulzSec samt ihrer regionalen Ortsvereine, Splitter- oder Konkurrenzgruppen – die nerven auch. Vor allem die, die mit Sendungsbewusstsein daherkommen, mit aufgeplusterten Begründungen für eine schlichte DDoS-Attacke oder für das Ausnutzen einer uralten SQL-Lücke, mit spätpubertärem Geschwafel von Widerstand und Krieg gegen „das System“. Dabei sind ja, wenn nicht alles täuscht, politische Teilhabe und demokratische Veränderung zumindest in den „westlichen Staaten“ durchaus noch möglich – aber dazu muss man halt den Allerwertesten auch einmal aus dem Hocker heben und Chipstüte und Pizza-Box liegen lassen. Notfalls geht es sogar vom Hocker aus, aber sowohl analoge als auch digitale Beteiligungsformen sind natürlich immer etwas mühsam und zumindest in den unteren Etagen weitgehend unglamourös.

Wer meint, mit einer DDoS-Aktion per „Low Orbit Ion Cannon“ an einer legitimen „digitalen Demonstration“ teilzunehmen, der täuscht sich: Bei einer analogen Kundgebung tritt man nämlich als Individuum persönlich und identifizierbar für oder gegen etwas ein, auch wenn man dabei für gewöhnlich kein Namensschildchen trägt. Aber ganz klar – so schlimm ist ein solcher Irrtum allerdings nun auch wieder nicht, als dass die vereinigte Anti-Terror-Kavallerie anrücken müsste; schwerste Kriminalität ist halt schon noch einmal etwas ganz anderes.

Immer schön auf dem Teppich bleiben, so lautet also die Devise für alle Beteiligten. Wobei ja übrigens nichts gegen einen richtig schönen, durchdachten Hack gesagt sein soll, wie die Aktion gegen die selbst großmäulige „Sicherheitsfirma“ HBGary – und auch nicht gegen die Aufdeckung von Informationen über wirkliche Skandale oder Missstände. Aber wenn’s geht, alles immer mit etwas Augenmaß. Eines natürlich muss man dem ganzen Rumgehacke und Cybergekriege ja lassen: Es sichert Arbeitsplätze. Bei „Sicherheitsfirmen“ und Behörden. Und hier bei uns, in der Presse.

(Dieser Text erschien als “Netz.Blick” in der Zeitschrift “Digital”, Ausgabe September/Oktober 2011.)

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