Ich hab heute wieder einmal einen Beitrag beim Deutschlandfunk online gestellt, der sich mit Kolonialismus und Rassismus in einer bestimmten Zeitepoche beschäftigt – nämlich der Blüte des Handels mit “Kolonialwaren” und ihrer Weiterverarbeitung in der Hansestadt Hamburg. Es gibt da zur Zeit eine Ausstellung im “Museum der Arbeit”, in der beleuchtet und gezeigt wird: Der Wohlstand der “ehrbaren Kaufleute” und der ganzen Stadt beruhte nicht zuletzt auf ausbeuterischen Mechanismen – die Zeche zahlte die indigene Bevölkerung in den “Kolonien”.
So weit, so richtig. Was ich nur immer wieder so intuitiv empfinde – dass tendenziell bei der Bewertung der aus heutiger Sicht rassistischen, ausbeuterischen und kolonialistischen Denk- und Handlungsweisen heutige, also ahistorische Maßstäbe angelegt werden. Klar, wenn man heutzutage etwas von der Minderwertigkeit des “Negers” nachliest, dann klingt das völlig abartig und absurd. Damals – wie etwa zur Zeit der im Artikel zitierten Zeitungspassagen war das allerdings nicht so.
Und ich sage mal ganz ketzerisch – dass sich “Weiße” und weiße Eroberer den Indigenen und “Negern” überlegen fühlten, das hatte ja objektive Gründe. Denn gemessen an Organisationsgrad, Produktivität, technischem Know-How, technischer Ausstattung und nicht zuletzt militärischer Schlagkraft waren die “Weißen” ja fast immer auch überlegen – von Paradoxien wie der Eroberung von sehr wohl organisierten und strukturierten Reichen wie der der Inka und Azteken durch ein Häuflein Konquistadoren jetzt einmal abgesehen… (die Menschenopfer der Inka und Azteken waren übrigens aus heutiger Sicht auch irgendwie nicht ok…)
Ob die “zivilisatorisch” fortgeschrittenen Kulturen jetzt auch qualitativ fortgeschritten waren oder sind; ob ein Leben eines ehrbaren Hamburger Kaufmanns dem eines vermeintlich “Wilden” in einer sehr rudimentären Lebensgemeinschaft tatsächlich qualitativ überlegen war – das ist eine berechtigte, aber auch schon wieder eine ziemlich moderne “romantische” Überlegung. Natürlich war es aus der damaligen Perspektive überlegen, und wohl zu einem nicht geringen Anteil auch aus der Perspektive der damals “Unterlegenen”.
Auch die Römer fühlten sich aus ziemlich gleichen Motiven heraus den “barbarischen” Germanen überlegen, die dann teilweise diese überlegene Kultur durchaus annahmen (“Arminius/Hermann”), andererseits wiederum sich dagegen auflehnten. Haben wir (bzw. die Italiener…) schon einmal den Rassismus und Kolonialismus der Römer gegenüber den Germanen “aufgearbeitet”? Und so war es die ganze Menschheitsgeschichte hindurch.
Furchtbare Sachen allerorts und allerzeiten – grausame Hinrichtungen, Feldzüge, Sklaverei, Hexenverbrennungen, religiöser Fanatismus; Frauenunterdrückung (von anderen Gender-Varianten jetzt einmal gar nicht zu reden…), Antisemitismus – ein Armageddon der politischen Unkorrektheit. Aus heutiger Perspektive. Ab welchem Zeitpunkt soll/muss man das eigentlich korrigieren, welche Statuen muss man beschmieren oder stürzen? Die von Leopold II. von Belgien, die von Bismarck oder auch die von Kaiser Augustus? Welche Bilder muss man zerstören, welche Bücher verbrennen?
Eine ganz heikle Frage. Klar – irgendein Denkmal, das mal Anfang des 20. Jahrhunderts den damals herrschenden Zeitgeist transportierte, wirkt heute auf die Nachfahren der damals vom Abgebildeten abgeschlachteten als reine Provokation. Aber auch das wirkt ja so nicht bis in alle Ewigkeit – von Attacken deutscher oder französischer Urlauber in Rom auf die Hinterbliebenschaften des römischen Reiches habe ich noch nichts gehört…
Und das zeigt ja eigentlich schon, worum es in Wirklichkeit geht: Dass es in der Geschichte immer und immer wieder Denkweisen und Handlungen gegeben hat, die nach heutigen Maßstäben unverzeihlich sind, ist unstrittig. Nur – diese heutigen Maßstäbe gab es damals nicht, und ob unsere heutigen Maßstäbe auch in fünfhundert oder tausend Jahren noch gültig sind, ist noch mal eine andere Frage. Klar ist nur – nach heutigen Maßstäben und in der Welt, in der wir heute leben, gibt es keinen Platz mehr für Diskriminierungen und Denkmuster, die aus lange, oder eben noch nicht so lange vergangenen Epochen stammen.
Es ist aus meiner Sicht ahistorisch und letzlich arrogant, an Menschen in vergangenen Epochen die Maßstäbe anzulegen, die heute gelten. Wie hätten wir uns denn in einem entsprechenden Umfeld verhalten? Es macht nicht viel Sinn, einen Hamburger Kaufmann aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert als “rassistisch” zu titulieren – weil halt damals praktisch alle Menschen in Europa “rassistisch” waren. Trotzdem ist es natürlich wertvoll, auf die Absurdität der damaligen Konstellation – aus heutiger Sicht – hinzuweisen.
Und vielleicht sollten wir noch mehr Augenmerk auf diejenigen ganz wenigen Menschen richten, die auch in ihrem historischen Umfeld Einspruch erhoben haben gegen den Mainstream – gegen die Versklavung der “Indianer” oder “Neger”, gegen Hexenverbrennung und gegen Antisemitismus.
Rassistisch sind natürlich heute diejenigen, die den historischen Wandel und den Perspektivwechsel nicht mitbekommen haben, und die immer noch den Überlegenheitsanspruch ihrer Großväter oder Urgroßväter fortführen wollen. Dafür gibt es eigentlich nur eine ziemlich einfache Erklärung: Dummheit. Oder/und ein vermeintlicher oder berechtigter Minderwertigkeits-Komplex 🙂