In der normalen Welt wäre das ja eine ziemlich angenehme Vision: Man hat da ein paar Euro in seiner Geldbörse, und plötzlich liegt da zusätzlich eine neue Münze drin. Eine Münze, die auch etwas wert ist, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wieviel; und welches Geschäft die dann auch tatsächlich als Zahlungsmittel annimmt. Genau so ist die Situation momentan beim Bitcoin – alle bisherigen Besitzer der Cyberwährung – zumindest die, die ihre digitale Geldbörse selbst verwalten – haben nun auch noch die gleiche Menge „Bitcoin Cash“ in ihrer Wallet.
Die Ursache für den wundersamen Geldzuwachs: Die Bitcoin-Community konnte sich nicht auf ein allgemeines technisches Protokoll einigen, wie man die Cyberwährung modernisieren wollte. Dass modernisiert werden musste, war unstrittig: Mit den bislang 1 Megabyte großen Blöcken des dezentral verteilten „Orderbuches“, der Blockchain, konnte man nur eine begrenzte Zahl von Transaktionen pro Zeiteinheit bewältigen – und das stellte die Akteure vor die unangenehme Wahl: Entweder schnelle Vorzugsbehandlung gegen hohe Gebühren – oder geduldig abwarten; bis zu 24 Stunden.
Bei der Abspalter-Version Bitcoin Cash wird die Blockgröße gleich auf 8MB erhöht, bei der weiterbestehenden „klassischen“ Bitcoin nur auf 2MB – dafür werden aber dort die Signatur-Komponenten in einen sozusagen separaten Zusatzblock ausgelagert. Das sind Feinheiten, die wahrscheinlich die allerwenigsten Bitcoin-User oder Bitcoin-Zocker auch nur ansatzweise technisch nachvollziehen können. Und trotzdem – der Teil der Community mit Durchblick hat die Abwägungen und die letztendliche Entscheidung für die eine oder andere Variante treffen können und auch getroffen – das ist, anders als von der „analogen“ Welt geprägte Beobachter vermuten, gerade kein Zeichen für Chaos und fehlende Verlässlichkeit, sondern genau das revolutionäre Element bei Cyberwährungen: Hier entscheidet keine Notenbank, keine Regierung, was richtig und falsch ist, hier entscheiden die Besitzer der Währung selbst.
Zugegeben – die Sache ist unglaublich kompliziert. Zu den technischen Feinheiten kommen ja auch noch die ökonomischen hinzu. In der „analogen“ Welt entspräche der Bitcoin-Fork ein Aktien-Split in zwei neue börsennotierte Unternehmen oder der Hinzubuchung von Bezugsrechten – wie etwa 2004 bei der Ausgliederung der Chemie-Sparte Lanxess aus dem Bayer-Konzern. In der normalen, analogen Welt und der analogen Ökonomie-Logik (die ja schon widersprüchlich und erratisch genug ist…) fällt „eigentlich“ der Wert der Haupt-Aktie um den Wert der ausgegliederten Tochter oder der Bezugsrechte; beide zusammen sollten „eigentlich“ genau soviel kosten wie vorher das „Gesamtpaket“.
Bei Bitcoin und Bitcoin Cash ist das nicht der Fall, hier hat anscheinend tatsächlich eine Bereicherung der bisherigen Besitzer stattgefunden (verdammt, warum habe ich das Zeug auch nach Jahren der Berichterstattung nicht gekauft? 🙂 …) – ökonomisch scheint das unsinnnig, Voodoo oder eine Blase zu sein. Aber es gibt genug plausible Erklärungen. Zum einen: Ja, die bisherigen Notierungen von Bitcoin Cash – der Kurs ist übrigens gerade noch einmal explodiert – sind sehr spekulativ, weil bislang wenige tatsächliche Transaktionen stattgefunden haben. Wenn alle Bitcoin Cash-Neubesitzer ihren unverhofften Neuzugang verkaufen wollen, schmiert der Kurs ab.
Aber im Bitcoin Cash-Kurs steckt natürlich auch andererseits wieder – wie bei einer Aktie oder einer Landeswährung auch – eine Zukunftserwartung, wie sich der zugrundeliegende Wert entwickeln wird. Wenn Bitcoin Cash der „Bitcoin Classic“ – was nicht zu erwarten, aber ja theoretisch möglich ist, den (Beliebtheits-)Rang ablaufen wird, dann werden sich die Kursnotierungen entsprechend „umdrehen“ – und die Bitcoin Cash-Fans hätten ein gigantisches Geschäft gemacht. Bei all diesen marktwirtschaftlichen Verrücktheiten: Nein, als „normaler Mensch“ brauchen Sie da nicht zwangsläufig mitzumachen. Die ganze Cyberwährungs-Kiste ist immer noch im Beta-Stadium.
Ab und zu passieren Software-Katastrophen, und ein paar Millionen Euro/Dollar/Renmimbi sind weg. Oder irgendwelche Betrüger hacken/kompromittieren beliebte Cyberwährungs-Börsen, und zocken mal eben dreistellige Millionensummen ab. Aber Betrüger und Zocker, im Nadelstreifenanzug und mit gehämmerten Visitenkarten gibt es ja in der analogen Finanzwelt auch. Fazit: Der Bitcoin-Fork hat offenbar geklappt. Von Chaos keine Spur.
Deutschlandfunk Nova · Cyberwährung: Bitcoins gibt es jetzt auch als „Cash“
Deutschlandfunk Nova – Hielscher oder Haase vom 02.08.2017 (Moderation: Till Haase)
Deutschlandfunk – Computer und Kommunikation vom 05.08.2017 (Moderation: Manfred Kloiber)