Archiv für den Monat: September 2015

Mit Handy-Bewegungsdaten lassen sich Epidemien genauer vorhersagen

Darüber, was eine Person den ganzen Tag oder auch das ganze Jahr über so treibt, wo sie wohnt, studiert, arbeitet; wo sie Freunde oder Verwandte besucht oder den Urlaub verbringt – darüber weiß eine Instanz sehr genau Bescheid: Der Mobilfunkprovider. Denn wir alle tragen ja praktisch immer einen Bewegungsmelder mit uns herum – unser Handy.

Und wenn man viele solcher individuellen Bewegungsprofile in einen großen Topf wirft und auswertet, dann lassen sich daraus interessante und nützliche Rückschlüsse ziehen und Vorhersagen treffen. Für manche solcher Prognosen braucht man Echtzeitdaten und die exakten GPS-Positionsmeldungen entsprechend ausgestatteter Smartphones – zum Beispiel um einen sich entwickelnden Stau auf einer bestimmten Autobahn zu identifizieren.

Einfachere Mobiltelefone übermitteln ihre Position nur beim Wechsel der Funkzelle, bei einem Telefonat oder beim Versenden oder Empfangen einer SMS. Aber auch das genügt, um die Bewegungsmuster ihrer Besitzer ziemlich genau zu erfassen. Und etwas langsamer als Staus ablaufende Dinge vorhersagen zu können – zum Beispiel den Ausbruch von Infektionskrankheiten.

Die Epidemiologin Caroline Buckee und ihre Kollegen hatten im Jahr 2013 in Kooperation mit einem großen Mobilfunkprovider in Pakistan Zugriff auf die per Handy ermittelten Mobilitätsdaten von fast 40 Millionen Nutzern – das entspricht einem Fünftel der pakistanischen Bevölkerung. Und mit diesen Mobilitätsdaten ließ sich, so das Ergebnis der im Fachblatt PNAS veröffentlichten Studie, der Ausbruch des gefährlichen Dengue-Fiebers in bestimmten Gegenden wesentlich besser prognostizieren als bisher.

Unter Umständen tauchen nämlich infizierte Personen aus einem Seuchengebiet schon deutlich früher in einer bislang seuchenfreien Region auf, als man rein von der Entfernung her vermuten würde – wenn diese Personen eben konkreten Bewegungsmustern folgen, hinter denen konkrete Beweggründe stecken.

Eine genauere Vorhersage kann Behörden und Ärzten dabei helfen, auf eine Epidemie besser vorbereitet zu sein, sagt Caroline Buckee – und das nicht nur bei der Ausbreitung von Dengue-Fieber in Pakistan:

Die Methode selbst kann eigentlich bei jeder Infektionskrankheit zum Einsatz kommen, wir haben ähnliches bei Malaria getestet, wir denken darüber nach bei Cholera und natürlich bei Ebola. Wir arbeiten daran, die Mobilität in Westafrika zu erfassen – Menschen reisen nun einmal, und Menschenansammlungen begünstigen die Übertragung von allen Infektionskrankheiten.

Die Studie in Pakistan hatte einen sehr “konservativen” Ansatz, so Caroline Buckee: die Mobilitätsdaten wurden anonymisiert und aggregiert, so dass kein Bewegungsprofil einer individuellen Person ablesbar war. Theoretisch hat die Methode aber natürlich Potential in die andere Richtung – bis hin zu einer Identifizierung und Zwangs-Quarantäne einer Person aus einem Risiko-Gebiet.

Ähnlich also wie bei anderen Big-Data-Anwendungen: Es gibt ein Spannungsfeld zwischen den potentiell nützlichen und detaillierteren Auswertungsmöglichkeiten und den Aspekten von Datenschutz und persönlicher Freiheit.

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 8.9.2015 (Moderation: Marlis Schaum)

Akteneinsicht für Netzpolitik.org erhellt Details des Landesverrat-Verfahrens

1962 bei der Spiegel-Affäre, da war der Schuss schon gewaltig nach hinten losgegangen. Zwei Jahrzehnte später, 1982 gab’s mal Ermittlungen gegen das Magazin “Konkret”, bei denen aber eher der identifizierte Informant im Fokus stand als die berichtenden Journalisten. Und die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org entpuppten sich dann auch wieder als klassischer Rohrkrepierer mit gewissen Kollateralschäden auf der Ankläger-Seite und mit gewaltigem ideellen und materiellen Rückenwind für die Beschuldigten. Irgendwie passt der Begriff “Landesverrat” auch gar nicht mehr in unsere eher pragmatisch als patriotisch geprägten Zeiten.

Ob die nach wie vor reichlich unklare Gemengelage, wer in der Regierung was wann gewusst oder nicht gewusst hat; hätte wissen sollen, oder nicht habe wissen wollen – ob diese Lage also noch weiter aufgeklärt wird, das kann man bezweifeln; auch weitere personelle Konsequenzen erscheinen eher unwahrscheinlich.

Unwahrscheinlich geworden ist aber wohl auch die Hoffnung der Ermittlungsbehörden, den Verfassungsschutz(?)-Whistleblower noch in der dreistelligen Zahl der in Frage kommenden hausinternen potentiellen Verräter ausfindig zu machen. “Leider” hat ja auch der Einblick in Markus Beckedahls und Andre Meisters Konten keine Überweisungen mit dem Betreff “Kohle für Staatsgeheimnis” zutage gefördert. Sollte der Singvogel gar unengeltlich sein Vaterland verzwitschert haben? O tempora, o mores, wie der alte Lateiner zu sagen pflegte.

DRadio Wissen · Netzpolitik.org: Akteneinsicht in Landesverrat-Verfahren

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 7.9.2015 (Moderation: Marlis Schaum)

Wohnungsdurchsuchung nach Hassposting bei Facebook

Der Facebook-Account “Berlin wehrt sich” ist nach wie vor online, wenn auch mittlerweile unter heftigem Protest-Gegenwind.  Der 26jährige Benjamin S. sammelt dort seit geraumer Zeit News-Fundstücke, vorwiegend aus Berliner Online-Medien – und zwar zum Thema Flüchtlinge und Ausländer. Er kommentiert viele Postings kurz mit hetzerischen Anmerkungen – wobei er es trotz der Kürze schafft, noch massenhaft Rechtschreib- und Grammatikfehler unterzubringen. Ein hochgebildeter, intelligenter Muster-Deutscher halt,  wie so viele seiner Gesinnungsgenossen.

Mit seiner Zeile zum Bild des ertrunkenen kurdischen kleinen Jungen “Wir trauern nicht, sondern wir feiern es” hat der rechte Hohlkopf den Bogen jetzt etwas überspannt – nach diversen Strafanzeigen, u.a. auch von seiten der Berliner Zeitung, ist ihm am Samstag morgen die Polizei in die Bude eingerückt und hat Computer und Mobiltelefone erst  einmal beschlagnahmt – im Raum stehen Volksverhetzung und das Verunglimpfen von Verstorbenen.

Facebook hat nach massiver mehrmaliger Intervention das fragliche Posting gelöscht, ob dies allerdings auch nach einer Beschwerde einer “normalen Einzelperson” so passiert wäre, ist die Frage. Nach wie vor kann bezweifelt werden, ob das Social Network personell und von der inhaltlichen Kompetenz her ausreichend ausgestattet ist, um der digitalen Sudelei Schranken zu setzen. Und nach wie vor scheint eine gute alte Strafanzeige der bessere Weg zu sein als ein Appell an die “Gemeinschaftsrichtlinien”.

Hass mit Konsequenzen

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 7.9.2015 (Moderation: Marlis Schaum)

Neues Internet-Gesetz in Russland: Geht es um Datenschutz oder um Zensur?

Die russische Presse und die russischen TV- und Radiokanäle hat Präsident Vladimir Putin, bekanntlich ein lupenreiner Demokrat, ganz gut im Griff: Die meisten Zeitungen und Sender gehören kremlnahen Akteuren, und wenn eine Schlagzeile oder Sendung allzu kritisch oder vorwitzig ausfällt, dann wird eben die Chefredaktion ausgetauscht; oder die Steuerfahnder rücken mit irgendeinem Vorwurf an und machen den Laden erst mal dicht. Das Internet unter Kontrolle zu bekommen, mit seinen ganzen internationalen Akteuren, das ist da schon deutlich schwieriger.

Vor diesem Hintergrund fällt es etwas schwer zu glauben, dass das am 1. September in Kraft getretene neue Internet-Gesetz nur zu Datenschutzzwecken dienen soll – von seinem Inhalt her ist es allerdings nicht allzu weit entfernt von ähnlichen EU-Vorschriften: Daten, die russische Bürger betreffen, sollen nämlich zukünftig auf russischem Boden gespeichert werden müssen. Das würde dann Netz-Akteure dazu zwingen, entsprechende lokale Rechen- oder Cloudzentren zu errichten, die dann unter Kontrolle der russischen Aufsichtsbehörde für Medien- und Telekommunikation Roskomnadzor stehen würden.

Laut russischen Experten ist das Gesetz allerdings sehr schwammig formuliert – die Big Player Google, Facebook und Twitter versuchen gerade auszuloten, ob und wie stark sie betroffen sind. Und der juristische Grauzustand könnte sogar gewollt sein – um das Gesetz bei Bedarf dann plötzlich streng anwenden zu können, vermuten die Kritiker. Andererseits dreht Russland ja auch bislang schon notfalls den Hahn zu, wenn der Regierung Inhalte nicht passen.

Beim Guardian und bei Bloomberg, die über das neue Gesetz berichten, wird jetzt noch einmal Putins Spruch aus dem letzten Jahr zitiert, wonach das Internet ja letztlich “ein CIA-Projekt“ sei. Wahrscheinlich hegt der russische Präsident eine Art Hassliebe: Einerseits mag er sich mit der US-Dominanz im Netz nicht abfinden; das ist ja noch nicht einmal völlig abwegig. Und andererseits braucht er das Netz selbst zur Meinungsmache – über seine Medienkanäle und über seine Social-Media-Trollfabriken.

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 2.9.2015 (Moderation: Till Haase)

Google Chrome blockt Flash-Ads

Es mag ja etwas grausam klingen, wenn alle Welt auf einem kleinen Stückchen Software herumtrampelt, das einstmals so überaus beliebt war, zumindest bei Werbetreibenden 🙂 – weil damit erst so richtig Leben in unser Web hineinkam. Herrlich zuckende und pulsierende Banner, Laufschriften und Promo-Filmchen. Und bei Leuten mit speziellen Interessen; bei gewöhnlichen Cyberkriminellen oder staatlichen Hackern, da war diese Software auch sehr beliebt, weil sie dauernd wieder ein neues Hintertürchen in die Rechner von Usern sämtlicher Betriebssysteme eröffnete. Das wiederum minderte die Beliebtheit der Software bei den Leuten ohne diese speziellen Interessen.

Die Rede ist selbstverständlich von Adobe Flash, das mit dem neuen Chrome-Release einen weiteren zumindest auf längere Sicht tödlichen Stich verpasst bekommt – von Google als “Stromsparmaßnahme” annonciert. Ein gewisses Geschäftsinteresse könnte dabei auch noch eine Rolle spielen – aber egal: Der Mutter aller Exploits wird niemand hinterherweinen. Bis auf die Hacker natürlich.

DRadio WIssen – Schaum oder Haase vom 2.9.2015 (Moderation: Till Haase)

Wie präsidiabel ist Kanye West?

Pop-Popularität ist ja – siehe Donald Trump oder Arnold Schwarzenegger oder einst Ronald Reagan – schon einmal eine ganz gute Ausgangsbasis, um in den USA im Rennen für einen Gouverneurs- oder gar Präsidentenposten wahrgenommen zu werden. Ob die Ankündigung von Rapper Kanye West bei den Video Music Awards, 2020 antreten zu wollen, wirklich ernstgemeint oder ernstzunehmen ist, darüber gab es am Montag dann viele Spekulationen und Betrachtungen – auch wieder teils ernst gemeint, teils nicht.

Auf jeden Fall hat die ausführliche Rede und speziell dann die “Präsidenten-Passage” zu neuen Twitter-Rekorden geführt, wie Wired schreibt. Im Laufe des Tages trendeten danach auch die Verballhornungs-Tweets, teils mit Seitenhieb auf Wests nicht minder populäre Gattin. 🙂

Eine ganz emotionsfreie und objektive Analyse kam dann aber von Watson, dem IBM-Supercomputer. Der kann nämlich nicht nur beim Jeopardy-Duell siegen und medizinische DIagnosen erstellen, sondern auch Menschen auf ihr “Big-Five”-Psychoprofil hin einschätzen. Kanye West performt da in manchen Bereichen (“Glaubwürdigkeit, Emotionalität”) ganz gut, beim Punkt “Pflichtbewusstsein” oder “Verläßlichkeit” hapert es aber offenbar ziemlich, so das Elektronengehirn.

In jedem Fall ist der Künstler politisch keinesfalls völlig unbeleckt, berichtet der Guardian – Kanye West sympathisiert mit den US-Demokraten und unterstützt diese auch materiell – obwohl auch Vertreter der Republikaner keine Scheu haben, dem Rapper einen Wechsel ins andere Lager anzubieten. Also “Kanye West for President“? So ganz mag man das irgendwie noch nicht so ganz glauben – im Zweifelsfall empfiehlt sich vielleicht eine erneute Konsultation von Watson. Auch der wird bis 2020 seine Weisheit noch weiter ausgebaut haben.

DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 1.9.2015 (Moderation: Till Haase)

Ashley Madison nennt Gizmodo-Bericht fehlerhaft, Gizmodo legt nach

Die Kundendatenbank gehackt, die Geschäftsemails und der Programmcode frei im Netz verfügbar, der Chef zurückgetreten und der ganze Betrieb als Chatbot-Abzocke enttarnt – spätestens nach den Veröffentlichungen von Annalee Newitz bei Gizmodo Ende letzter Woche konnte man den ganzen Laden Ashley Madison eigentlich nur noch für einen nicht mehr sanierbaren Totalschaden halten.

Stimmt nicht, sagt Ashley Madison nun selbst. Wir leben noch, es kommen sogar eifrig neue Kunden hinzu, und zwar auch zahlreiche Frauen. Die Schlussfolgerungen, die Newitz aus der gehackten Datenbank gezogen habe, seien falsch.

Nachdem die einschlägigen Tech-Websites das Statement des Seitensprungportals mit ironischem Kopfschütteln referiert hatten, meldete sich dann Annalee Newitz erneut ausführlich zu Wort.

Ashley Madison habe recht, so das EIngeständnis am Anfang – in der Tat seien ihre Annahmen über den verschwindend geringen Anteil von weiblichen Kunden auf dem Portal eine Fehlinterpretation gewesen. Die geleakten Datensätze sind nämlich offenbar nicht vollständig – und sie geben offenbar auch gar nicht die Aktivitäten menschlicher Kunden des Portals wieder, sondern die geradezu monströsen Aktivitäten der Fake-Profile, der Chatbots.

Hierzu liefert Newitz zahllose weitere Details, teilweise aus dem Quelltext des Portal-Programmcodes. Es bleibt also dabei; das Geschäftsmodell von Ashley Madison beruht im wesentlichen auf dem Anlocken und kostenverursachendem “bei-der-Stange-halten” 🙂 der seitensprungwilligen männlichen Kunden durch gefakte Kontakt”partnerinnen”. EIne Abzockerbude, bei der ulkigerweise nur eine einzige Gruppe von der Chatbot-Anmache unbehelligt blieb und damit eine realistische Chance auf einen realen Flirt hatte: Lesbische Frauen.

DRadio Wissen  – Schaum oder Haase vom 1.9.2015 (Moderation: Till Haase)