Ob westliche Medien im Zusammenhang mit der russischen Annexion der Krim (bzw. anders herum formuliert, dem „selbstbestimmten Beitritt der Krim in die russische Föderation“ 😉 ) , nach dem Abschuss von MH17 oder dem laufenden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine immer ausgewogen und korrekt berichtet haben, darüber kann man streiten und darüber ist auch gestritten worden.
Die Aktivitäten der russischen Troll-Fabriken hingegen, in denen bezahlte Lohnschreiber nach klarer inhaltlicher Vorgabe als vermeintlich private Akteure Meinung machen; in den Kommentarspalten westlicher Zeitungen, Sendern und Blogs, in den einschlägigen Social-Media-Kanälen – das ist halt kein Beitrag zur Ausgewogenheit, sondern Propaganda und Desinformation als Teil einer sehr gut durchdachten russischen Medienstrategie.
Genau so, also sehr kritisch hat das auch die finnische Journalistin Jessikka Aro vom Sender Yle gesehen und dargestellt – dafür ist sie ins Visier der Troll-Fabrik geraten. Wenn man ihren Erfahrungsbericht liest, dann packt einen schon das Grausen…
Dass die Sache mit der am Dienstag vom EU-Parlament zwar im Grundsatz bekräftigten, aber zugleich in Details gelockerten Netzneutralität ein „Minenfeld“ ist, das ist Telekom-Chef Timotheus Höttges natürlich klar. Und dieses explosive Terrain hat er denn auch recht zügig, eindrucksvoll und flächendeckend hochgehen lassen mit seiner am Mittwoch vorgestellten Geschäftsidee, Start-Up-Unternehmen bei Bedarf eine Internet-Überholspur – also eben die demnächst zulässigen „Spezialdienste“ – gegen eine kleine Umsatzbeteiligung verkaufen zu wollen.
Seitdem tobt „das Netz“, in Schlagzeilen und Kommentaren in der Presse liest man von „abkassieren“, Internet-Maut oder Schutzgelderpressung. Bei Twitter wollen erboste Eiferer dem Telekom-Pressesprecher ins Gesicht spucken oder schlimmeres antun, weil der die These für einen „Mythos“ hält, die von seinem Chef angesprochene „Infrastruktur“ sei dereinst aus Steuergeldern finanziert worden.
Ob die Sache mit der Umsatzbeteiligung jetzt eine charmante oder eher abschreckende Idee ist, sei dahingestellt. Letzlich geht es um einen bestimmten Kostenfaktor x. Und wenn man Höttges „Vision“ noch einmal ohne Schaum vor dem Mund liest, dann zielt er doch ausdrücklich auf solche Start-Up-Unternehmen ab, die sich teure externe Dienstleistungen wie etwa Content Delivery Networks (CDNs) nicht leisten können – das heißt, das Telekom-Angebot würde dann logischerweise preislich unterhalb dieser Angebote liegen.
Und wer weder CDNs noch die Telekom-Spezialdienste braucht oder sich leisten kann, der hat eben wie bisher die „normale“ Internet-Anbindung zu einem bestimmten Preis, der sich ja auch jetzt schon nach gewissen Kapazitäts- und Verfügbarkeitskriterien bemisst. Und die halt „normal“ funktioniert, mit der gleichen Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit wie bisher. Dass die Telekom diesen „normalen“ Zugang demnächst dann für Nicht-Premium-Kunden verschlechtern wird, offen oder gar als versteckte Drohung, das ist doch eine ziemlich gewagte Spekulation. Im Zweifelsfall würde das gegen die gerade beschlossene „grundsätzliche“ Netzneutralität verstoßen oder ganz einfach imagemäßig (siehe „Drosselkom-Affäre“…) und wirtschaftlich nach hinten losgehen: Ein bisschen Konkurrenz gibt es ja auch noch am Markt. Und notfalls sind da noch die Wettbewerbs- und Verbraucherschützer der EU, die einem wirklich mafiös-monopolistisch agierenden Provider dann schon auf die Finger klopfen werden.
Übrigens – genauso wenig, wie die Spezialdienst-Ausnahmen nun alle europäischen Start-Ups zwangsläufig in die Provider-Knechtschaft und ins wirtschaftliche Verderben führen werden, genauso wenig hat die in den USA beschlossene strikte Netzneutralität die dortigen Provider an den Bettelstab gebracht oder wie angedroht zu einem Investitionsstopp gezwungen 🙂 …
Für die Befürworter ist der „Cybersecurity Information Sharing Act“ (CISA) ein notwendiges und im Hinblick auf die Rechte von US-Bürgern auch völlig „harmloses“ Projekt – ein Koordinierungs-Werkzeug, das Unternehmen bessere Abwehrchancen gegen Hackerangriffe aus dem Netz bieten soll. Für die Kritiker ist CISA ein Vehikel für eine totale digitale Überwachung, das im Schafspelz einer angeblichen Gefahrenabwehr daherkommt.
Denn im Gegensatz zur hierzulande kürzlich eingeführten Cyberangriff-Meldepflicht für „infrastrukturrelevante“ Unternehmen versteht der CISA-Gesetzentwurf unter „Informationsaustausch“ auch die Weiterleitung von größeren Datenmengen an die koordinierenden Behörden wie das DHS, das Department of Homeland Security, aber auch an FBI und die CIA. Das soll ausdrücklich „ungeachtet jeglicher anderer gesetzlicher Vorbehalte“ möglich sein – ein so weit gefasster Blankoscheck hebelt aber sämtliche Datenschutzregelungen aus, monieren die Kritiker.
Und wie um deren Argwohn noch bestätigen zu wollen: Der Senat lehnte die Änderungsvorschläge ab, die das Gesetz in dieser Hinsicht präzisiert oder entschärft hätten.
Alles übrigens keine inneramerikanische Diskussion: Selbstverständlich wären auch nicht-US-Kunden von einer Datenweitergabe nach CISA betroffen, wenn das Gesetz letztendlich in Kraft tritt. Möglicherweise tut sich da nach „Safe Habor“ schon die nächste Datenschutz-Baustelle zwischen der EU und den USA auf.
Es ist zwar ein bisschen abgedroschen – das Bild vom GAU, vom „größten anzunehmenden Unfall“- aber wenn fremde Mächte jeden Buchstaben und jedes Komma, jedes Bit und Byte des obersten deutschen Volkssouveräns, der deutsche Bundestagsabgeordneten mitlesen oder mithören können, dann kann man schon sagen: „schlimmer geht’s nimmer“.
1962 bei der Spiegel-Affäre, da war der Schuss schon gewaltig nach hinten losgegangen. Zwei Jahrzehnte später, 1982 gab’s mal Ermittlungen gegen das Magazin „Konkret“, bei denen aber eher der identifizierte Informant im Fokus stand als die berichtenden Journalisten. Und die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org entpuppten sich dann auch wieder als klassischer Rohrkrepierer mit gewissen Kollateralschäden auf der Ankläger-Seite und mit gewaltigem ideellen und materiellen Rückenwind für die Beschuldigten. Irgendwie passt der Begriff „Landesverrat“ auch gar nicht mehr in unsere eher pragmatisch als patriotisch geprägten Zeiten.
Ob die nach wie vor reichlich unklare Gemengelage, wer in der Regierung was wann gewusst oder nicht gewusst hat; hätte wissen sollen, oder nicht habe wissen wollen – ob diese Lage also noch weiter aufgeklärt wird, das kann man bezweifeln; auch weitere personelle Konsequenzen erscheinen eher unwahrscheinlich.
Unwahrscheinlich geworden ist aber wohl auch die Hoffnung der Ermittlungsbehörden, den Verfassungsschutz(?)-Whistleblower noch in der dreistelligen Zahl der in Frage kommenden hausinternen potentiellen Verräter ausfindig zu machen. „Leider“ hat ja auch der Einblick in Markus Beckedahls und Andre Meisters Konten keine Überweisungen mit dem Betreff „Kohle für Staatsgeheimnis“ zutage gefördert. Sollte der Singvogel gar unengeltlich sein Vaterland verzwitschert haben? O tempora, o mores, wie der alte Lateiner zu sagen pflegte.
Der Facebook-Account „Berlin wehrt sich“ ist nach wie vor online, wenn auch mittlerweile unter heftigem Protest-Gegenwind. Der 26jährige Benjamin S. sammelt dort seit geraumer Zeit News-Fundstücke, vorwiegend aus Berliner Online-Medien – und zwar zum Thema Flüchtlinge und Ausländer. Er kommentiert viele Postings kurz mit hetzerischen Anmerkungen – wobei er es trotz der Kürze schafft, noch massenhaft Rechtschreib- und Grammatikfehler unterzubringen. Ein hochgebildeter, intelligenter Muster-Deutscher halt, wie so viele seiner Gesinnungsgenossen.
Mit seiner Zeile zum Bild des ertrunkenen kurdischen kleinen Jungen „Wir trauern nicht, sondern wir feiern es“ hat der rechte Hohlkopf den Bogen jetzt etwas überspannt – nach diversen Strafanzeigen, u.a. auch von seiten der Berliner Zeitung, ist ihm am Samstag morgen die Polizei in die Bude eingerückt und hat Computer und Mobiltelefone erst einmal beschlagnahmt – im Raum stehen Volksverhetzung und das Verunglimpfen von Verstorbenen.
Facebook hat nach massiver mehrmaliger Intervention das fragliche Posting gelöscht, ob dies allerdings auch nach einer Beschwerde einer „normalen Einzelperson“ so passiert wäre, ist die Frage. Nach wie vor kann bezweifelt werden, ob das Social Network personell und von der inhaltlichen Kompetenz her ausreichend ausgestattet ist, um der digitalen Sudelei Schranken zu setzen. Und nach wie vor scheint eine gute alte Strafanzeige der bessere Weg zu sein als ein Appell an die „Gemeinschaftsrichtlinien“.
Die russische Presse und die russischen TV- und Radiokanäle hat Präsident Vladimir Putin, bekanntlich ein lupenreiner Demokrat, ganz gut im Griff: Die meisten Zeitungen und Sender gehören kremlnahen Akteuren, und wenn eine Schlagzeile oder Sendung allzu kritisch oder vorwitzig ausfällt, dann wird eben die Chefredaktion ausgetauscht; oder die Steuerfahnder rücken mit irgendeinem Vorwurf an und machen den Laden erst mal dicht. Das Internet unter Kontrolle zu bekommen, mit seinen ganzen internationalen Akteuren, das ist da schon deutlich schwieriger.
Vor diesem Hintergrund fällt es etwas schwer zu glauben, dass das am 1. September in Kraft getretene neue Internet-Gesetz nur zu Datenschutzzwecken dienen soll – von seinem Inhalt her ist es allerdings nicht allzu weit entfernt von ähnlichen EU-Vorschriften: Daten, die russische Bürger betreffen, sollen nämlich zukünftig auf russischem Boden gespeichert werden müssen. Das würde dann Netz-Akteure dazu zwingen, entsprechende lokale Rechen- oder Cloudzentren zu errichten, die dann unter Kontrolle der russischen Aufsichtsbehörde für Medien- und Telekommunikation Roskomnadzor stehen würden.
Beim Guardian und bei Bloomberg, die über das neue Gesetz berichten, wird jetzt noch einmal Putins Spruch aus dem letzten Jahr zitiert, wonach das Internet ja letztlich „ein CIA-Projekt“ sei. Wahrscheinlich hegt der russische Präsident eine Art Hassliebe: Einerseits mag er sich mit der US-Dominanz im Netz nicht abfinden; das ist ja noch nicht einmal völlig abwegig. Und andererseits braucht er das Netz selbst zur Meinungsmache – über seine Medienkanäle und über seine Social-Media-Trollfabriken.
DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 2.9.2015 (Moderation: Till Haase)
Pop-Popularität ist ja – siehe Donald Trump oder Arnold Schwarzenegger oder einst Ronald Reagan – schon einmal eine ganz gute Ausgangsbasis, um in den USA im Rennen für einen Gouverneurs- oder gar Präsidentenposten wahrgenommen zu werden. Ob die Ankündigung von Rapper Kanye West bei den Video Music Awards, 2020 antreten zu wollen, wirklich ernstgemeint oder ernstzunehmen ist, darüber gab es am Montag dann viele Spekulationen und Betrachtungen – auch wieder teils ernst gemeint, teils nicht.
Auf jeden Fall hat die ausführliche Rede und speziell dann die „Präsidenten-Passage“ zu neuen Twitter-Rekorden geführt, wie Wired schreibt. Im Laufe des Tages trendeten danach auch die Verballhornungs-Tweets, teils mit Seitenhieb auf Wests nicht minder populäre Gattin. 🙂
Eine ganz emotionsfreie und objektive Analyse kam dann aber von Watson, dem IBM-Supercomputer. Der kann nämlich nicht nur beim Jeopardy-Duell siegen und medizinische DIagnosen erstellen, sondern auch Menschen auf ihr „Big-Five“-Psychoprofil hin einschätzen. Kanye West performt da in manchen Bereichen („Glaubwürdigkeit, Emotionalität“) ganz gut, beim Punkt „Pflichtbewusstsein“ oder „Verläßlichkeit“ hapert es aber offenbar ziemlich, so das Elektronengehirn.
In jedem Fall ist der Künstler politisch keinesfalls völlig unbeleckt, berichtet der Guardian – Kanye West sympathisiert mit den US-Demokraten und unterstützt diese auch materiell – obwohl auch Vertreter der Republikaner keine Scheu haben, dem Rapper einen Wechsel ins andere Lager anzubieten. Also „Kanye West for President„? So ganz mag man das irgendwie noch nicht so ganz glauben – im Zweifelsfall empfiehlt sich vielleicht eine erneute Konsultation von Watson. Auch der wird bis 2020 seine Weisheit noch weiter ausgebaut haben.
DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 1.9.2015 (Moderation: Till Haase)
Die berüchtigten „Enthauptungsvideos“ sind sozusagen nur die Spitze des Eisbergs: Das Netz und die Social Media spielen eine kaum zu unterschätzende Rolle für islamistische Terrorgruppen wie Al Kaida oder Islamischer Staat – zum einen für die interne Kommunikation und Koordination, vor allem aber auch, um neue Unterstützer oder gar Mitkämpfer anzulocken und anzuwerben. Entsprechend aufmerksam verfolgen Ermittlungsbehörden und Geheimdienste das Treiben. Und entsprechend hart reagiert die Justiz – jedenfalls in den USA, wo am Freitag ein Gericht einen 17jährigen zu 11 Jahren und vier Monaten Haft verurteilt hat.
Ali Shukri Amin hatte ein Blog und einen Twitter-Account mit 4000 Followern betrieben – und dort zum einen das Vorgehen und die Ziele des „Islamischen Staates“ gutgeheißen und dann zum anderen den IS-Kämpfern – oder Sympathisanten auch technische Tipps oder Ratschläge gegeben.
Das waren nun allerdings nicht geheime oder schwer zugängliche Anleitungen zum Waffen- oder Bombenbau, sondern allgemein bekannte und überall frei zugängliche Informationen zum Einsatz von Verschlüsselungs- und Anonymisierungssoftware oder zur Verwendung von Bitcoins – ob sich daraus wirklich eine „materielle Unterstützung“ einer Terror-Organisation ableiten lässt, das bezweifeln auch amerikanische Beobachter. Eine weitere Frage ist, ob die Propaganda-Postings des im Alter von zwei Jahren in die USA gekommenen, Berichten zufolge hoch intelligenten Teenagers nicht vielleicht als fehlgeleitete Identitätssuche verbucht werden sollten oder sogar unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fallen.
Die Staatsanwaltschaft sieht jedenfalls keinen Unterschied zwischen Tweets und tödlichen Schüssen:
„Das heutige Urteil demonstriert, dass jene, die Social Media als Werkzeug verwenden, um dem IS Unterstützung und Hilfsmittel zukommen zu lassen, mit der gleichen Entschlossenheit identifiziert und strafrechtlich verfolgt werden wie jene, die sich dem IS als Kämpfer anschließen.“
DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 31.8.2015 (Moderation: Till Haase)
Als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Ende März seinen guten Bekannten Dieter Gorny, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie (BVMI), zum „Beauftragten für kreative und digitale Ökonomie“ ernannte, da gab es manch einen kritischen Kommentar. Der Cheflobbyist der Musikbranche ist bislang bekannt für seine eindeutigen Positionen z.B. in Sachen Urheberrecht – was wiederum bei netz-/kulturpolitisch anders aufgestellten Gruppen wie das berühmte rote Tuch wirkt.
Der Politiker Malte Spitz von den Grünen hat sich nun im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) die detaillierten Vorgänge rund um die Gorny-Bestellung vom BMWi zusenden lassen und das PDF mittlerweile auch auf seiner Website veröffentlicht. Für ihn ist Gorny als Digitalbeauftragter nun nicht länger haltbar. Das Ministerium habe nicht etwa einen geeigneten Kandidaten für ein vorab umrissenes Tätigkeitsfeld gesucht, Gorny habe sich dieses vielmehr selbst entworfen – und auch praktisch seinen Arbeitsvertrag selbst geschrieben.
Diese Neuigkeiten (die Spitz merkwürdigerweise ein paar Wochen bis zur jetzigen parallelen Veröffentlichung im Spiegel für sich behielt…) hören sich zunächst bedenklich an – letztlich scheint das Ganze aber eher ein Sturm im Wasserglas als ein Skandal zu sein.
Denn schließlich ist Gornys Tätigkeit ehrenamtlich, vollkommen unentgeltlich und – wie aus den Dokumenten hervorgeht – so vage umrissen, dass im Grunde nicht viel konkretes mehr als der schön klingende Titel und der Prestigefaktor gelegentlicher Auftritte in der Rolle übrigbleibt.
Am interessantesten in dem von Malte Spitz vorgelegten Dokument sind eigentlich die Einblicke in die Bürokratie-Maschine einer Behörde: Die Spitzenbeamten bemühen sich redlich, eifrig und am Schluss auch erfolgreich, die inhaltliche Nullnummer in eine juristisch niet- und nagelfeste Form zu bringen.
DRadio Wissen – Schaum oder Haase vom 31.8.2015 (Moderation: Till Haase)