Was heißt hier relevant?

Von News-Aggregatoren, Social-Media-Tools und dem Aufstöbern nützlicher Informationen im Web.

Menschen, die ganz genau wissen, was sie wollen, haben es leicht – auch im Netz. Wer da zum Beispiel ganz konkret benennen kann, wonach er sucht, dem schaffen Google und Bing in Sekundenbruchteilen Antworten herbei. Je konkreter die Suchanfrage ist, umso besser, und das klappt auch bei “brandheißen”, ganz aktuellen Entwicklungen – die Suchmaschinen-Spider klappern die großen Nachrichtenseiten mittlerweile im Minutenrhythmus ab. Für Menschen, die nicht so ganz genau wissen, was sie wollen, ist alles etwas komplizierter – auch im Netz. Denn mit der Fragestellung “was passiert gerade, worüber wird gerade gesprochen und was ist davon für mich persönlich interessant?” kann man einer Suchmaschine nicht kommen – noch nicht. Dabei ist eine solche “unkonkrete” Erwartungshaltung mittlerweile nicht mehr die Ausnahme, sondern völlig normal – für alle jedenfalls, die das Internet als zentrales Informationsmedium nutzen. Theoretisch ist das aktive Suchen ja ohnehin überholt, ganz im Sinne der legendär gewordenen Formulierung eines amerikanischen College-Studenten aus dem Jahre 2008: “Wenn eine Nachricht wirklich wichtig ist, wird sie mich finden.” Eine der vielen möglichen Interpretationen des Ausspruchs: Die Information wird dann irgendwann über Facebook oder Twitter hereinkommen – und das eben nicht nur, wenn sie einfach populär ist, sondern auch dann, wenn ein Bekannter denkt, sie könnte interessant für einen sein. Die Multiplikations- und die Filterwirkung der sozialen Netzwerke erzeugt also automatisch ein zusätzliches Relevanzkriterium; gewissermaßen ein personalisiertes “Relevanz-Tag” zu einer Nachricht. In der Tat bietet sich damit der vielversprechendste Ansatz, den “unkonkreten” Zugriff auf (vermutlich …) relevante Informationen und Themenfelder im Netz einigermaßen automatisiert und strukturiert in den Griff zu bekommen. Ein Kandidat für Verbesserungen wäre ja der RSS-Newsreader, nach wie vor das Mittel der Wahl, um sich zumindest schnell einen Überblick zu verschaffen. Normalerweise sieht man dort nur Nachrichten aus Quellen, die man abonniert, also vorher explizit ausgewählt hat. Zusätzliche RSS-Feeds aus Twitter und Facebook bringen zwar theoretisch den erwünschten Blick über den Tellerrand – aber egal ob beiden grafisch nett gemachten Applikationen wie Flipboard oder Pulse für das iPad oder bei Web-Lösungen wie Google Reader und Varianten: Alles läuft hier nebeneinander her, es fehlt die thematische Gruppierung – die auf einen Blick klarmachen könnte, welche Nachrichten gerade “heiß” sind, wo Beziehungen zwischen verschiedenen Netzquellen bestehen, worüber möglicherweise gerade in Blogs diskutiert wird. Semantisches Clustering ist aber ganz und gar nicht trivial; die zusätzliche “Würzung”, sprich die Gewichtung mit Relevanz-Indikatoren aus dem “social graph” erst recht nicht. Der Newsreader Fever, den man sich auf einem Webserver installieren muss, erkennt und sortiert Themen wenigstens dann, wenn verschiedene Quellen untereinander verlinkt sind. Das interessante Projekt “Tattler”, eine Drupal-Anwendung, die ebenfalls auf einem eigenen Server eingerichtet werden muss, scheint bedauerlicherweise eingeschlafen zu sein. Soll ein “intelligenter” News-Sammler nicht nur als private Webserver-Anwendung für wenige Personen, sondern als öffentlicher Web-Service laufen, dann drohen zudem sehr schnell massive Server-Kapazitätsprobleme. Das von der deutschen Web-Community als Nachfolger des Blog-Aggregators Rivva herbeigesehnte Newshype.de scheint zumindest keine “leichte Geburt” zu sein; ambitionierter und weiter ist man beim amerikanischen Xydo. Die neuen Aggregatoren werden dringend gebraucht – und sind eigentlich schon von Anfang an chancenlos: Während die Neuankömmlinge an Bewertungsalgorithmen herumschrauben, eigene Bots auf die Reise schicken oder APIs anzapfen, haben Google und Bing schon längst alles Nötige beisammen – auch für Surfer ohne konkrete Suchanfrage.

(Dieser Text erschien als “Netz.Blick” in der Zeitschrift “Digital”, Ausgabe Juli/August 2011.)

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